„Eine Schule für Alle!?“

Stellungnahme des Vereins "Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen - Integration Wien" zum Interview "Integration - nicht um jeden Preis" mit der Behindertensprecherin Mag.a Helene Jarmer.

Integration Wien
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„Das Interview mit dem Titel ‚Integration – nicht um jeden Preis‚ erinnert stark an ideologisch geführte Diskussionen in den 1980er Jahren. In diesen wurde die Frage gestellt, ob die schulische Integration von Kindern mit Behinderungen überhaupt möglich und sinnvoll ist und wenn ja, welche Kinder mit Behinderungen können integriert werden.

Dennoch waren zu diesem Zeitpunkt insbesondere Eltern von Kindern mit Behinderungen davon überzeugt, dass das gemeinsame Leben, Lernen und Arbeiten von Kindern mit und ohne Behinderungen, eine unabdingbare Voraussetzung für alle weiterführenden Angebote im nachschulischen Bereich ist und einen elementaren Beitrag für das gesamte Leben von Menschen mit Behinderung leistet.

So war auch der massive Einsatz der Eltern ein wesentlicher Bestandteil bei der Schaffung von gesetzlichen Bestimmungen für die schulische Integration im Pflichtschulbereich in Österreich. Eltern haben seit den Jahren 1993 (15. SchOG-Novelle) sowie 1996 (17. SchOG-Novelle) das Recht zwischen dem Besuch einer Volksschule, einer AHS-Unterstufe, einer Hauptschule, einer Mittelschule oder einer Sonderschule für ihr Kind – unabhängig von Art und Schweregrad der Behinderung – zu wählen“ führt Fritz Neumayer, Vorstandsmitglied des Vereins „Gemeinsam Leben – Gemeinsam Lernen – Integration Wien“, an.

„Wir sind verwundert, dass gegenwärtig noch immer von einer Behindertensprecherin der Standpunkt vertreten wird, „Integration – nicht um jeden Preis.“ Faktoren wie Entscheidungen und Versäumnisse der Bildungspolitik, Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern und dort wiederum in den Regionen, fehlende Ressourcen, u.a. die die derzeitige Umsetzung der schulischen Integration fördern und/oder hemmen, werden von der Behindertensprecherin Mag.a Helene Jarmer unzureichend berücksichtigt und auch nicht thematisiert“, setzt Fritz Neumayer fort.

„Dadurch scheint die Aufrechterhaltung von Sonderschulen für bestimmte Gruppen von Kindern mit Behinderungen – nach wie vor – legitimiert. Versäumnisse der österreichischen Bildungspolitik werden an Kindern mit Behinderungen festgemacht, anstatt Barrieren zu berücksichtigen, die im derzeitigen Umfeld sowie im System liegen und somit auch die individuelle Teilhabe verhindern“, zeigt sich Fritz Neumayer empört.

Dass Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen im Lebensbereich Schule mit einer Vielzahl von Barrieren, Diskriminierungen und Vorurteilen konfrontiert sind, zeigen die jahrelangen Erfahrungen der Beratungsstelle für (Vor-) Schulische Integration des Vereins Integration Wien.

Eltern von Kindern mit Behinderungen müssen häufig selbst aktiv werden, um eine Integration im schulischen Bereich ihrer Kinder einzufordern und umzusetzen. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt gesetzliche Grundlagen zur schulischen Integration auf der neunten Pflichtschulstufe und auf der Sekundarstufe II fehlen. Diese werden seit dem Jahr 2002 unermüdlich eingefordert.

„Die eigentliche Frage um die es im Schulsystem ganz allgemein und auch in dem Schwerpunkt in der Furche geht, ist nicht die Frage, ob die Integrationsklassen oder die Sonderschulklassen besser funktionieren. Die eigentliche Frage lautet: Gibt es ein Schulsystem, in dem ALLE Schüler/innen einen Platz haben und dort gemeinsam lernen und teilhaben können? Kann und soll ein Schulsystem dieser Art in Österreich etabliert werden?“ so Fritz Neumayer.

Fritz Neumayer weist darauf hin, „dass insbesondere für Kinder mit Sonderpädagogischem Förderbedarf und mit Behinderung die Bildungseinrichtung Schule zumeist der einzige Ort ist, um qualitätsvolle Bildung zu erhalten. Bildung ist zum einen die Voraussetzung für eine qualifizierte Erwerbsarbeit und somit für die Beteiligung am Lebensbereich Arbeit. Zum anderen vermittelt diese soziale und lebenspraktische Kompetenzen, die wiederum Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung sind.

Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung der Qualität von schulischer Bildung für alle Kinder und Jugendlichen deutlich.“ Dieser Aspekt wird auch im Artikel 24 „Bildung“ in der UN-Konvention „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ die die Bundesrepublik Österreich einschließlich des fakultativen Zusatzprotokolls durch das österreichische Parlament im Jahr 2008, ratifiziert hat, deutlich.

Dort heißt es: „(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen.“

Auch im Bildungsprogramm der Partei „Die Grünen“ (2009, 5) wird die Chancengleichheit von allen Kindern hervorgehoben. „Es wird deutlich, dass es bei Inklusion um eine Bildung aller Kinder und Jugendlicher in einer Schule für alle geht“ führt Fritz Neumayer an.

Dieser Grundsatz wird auch im Bildungsprogramm „Die Grünen“ (2009, 12; Hervorhebung im Original) hervorgehoben, und lautet: „An die Stelle des gegenwärtigen Systems von Volks-, Haupt- und Sonderschulen sowie gymnasialen Unterstufen gehört eine gemeinsame Schule aller Sechs- bis Vierzehnjährigen. Sie ist als differenzierte Gesamtschule mit individueller Förderung und mit einem Ganztagsangebot zu führen. Dies wäre ein weiterer entscheidender Schritt zur Beseitigung Ungleichheiten, die Kinder sonst von zuhause mitbringen. Denn es bietet breitgefächerte Möglichkeiten, Begabungen zu fördern und Lerndefiziten individuell zu begegnen … .“

„Entgegen dem Bildungsprogramm der Grünen trifft Helene Jarmer die Aussage ‚Integration – nicht um jeden Preis.’ Aus unserer Sicht impliziert diese Aussage, dass sich Kinder nach wie vor dem Schulsystem anpassen müssen. Können sich Kinder dem Schulsystem nicht anpassen – und das trifft auf immer mehr Kinder zu – dann findet neben der ohnehin schon bestehenden Selektion, die das österreichische Schulsystem unmittelbar mit sich bringt, eine zusätzliche Selektion in das Sonderschulsystem statt“ merkt Fritz Neumayer kritisch an.

„Dadurch wird weiterhin die Aufrechterhaltung des Sonderschulsystems gerechtfertigt und somit auch legitimiert. Es dürfte nach wie vor ‚normal sein’, bestimmte Gruppen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung auszugliedern, sodass diese auch lernen und gefördert werden können. Bestehende Barrieren, die im derzeitigen Umfeld sowie im System liegen und somit auch die individuelle Teilhabe verhindern bzw. wiederum zu einer Behinderung führen, werden völlig außer Acht gelassen. Der Verein Integration Wien empfindet die Aussagen – aus Sicht einer Behindertensprecherin – als äußerst kontraproduktiv, da damit die ohnehin so polarisiert geführte Diskussion zum Thema ‚Eine Schule für alle?!’ noch zunehmend verstärkt wird“, so Fritz Neumayer.

„In Anlehnung an die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen (1948), die UN-Konvention über die UN-Konvention über die Rechte des Kindes (1989), den Artikel 7 des Österreichischen Bundesverfassungsgesetzes (1997) sowie die die UN-Konvention über die Recht von Menschen mit Behinderung (2008) muss das oberste Ziel der österreichischen Bundesregierung eine Schule für alle bzw. muss ein rascher Umbau des Schulsystems gemäß der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu einer inklusiven Schule erfolgen. Dieses Ziel wird vom Verein ‚Gemeinsam Leben – Gemeinsam Lernen – Integration Wien’ weiterhin kompromisslos gefordert“, so Fritz Neumayer.

Die gesamte Stellungnahme (Stand: 19.10.2009) des Vereins ‚Gemeinsam Leben – Gemeinsam Lernen – Integration Wien’ zum Interview mit Mag.a Helene Jarmer zum Thema „Integration – nicht um jeden Preis“ ist unter zu finden.

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