Beschäftigungsschutz statt Kündigungsschutz

Ein Kommentar für die Presse (27. Juli 2010)

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Der Österreichische Zivilinvalidenverband hat sich auf die Suche nach Barrieren für behinderte Menschen in Unternehmen gemacht. Gedacht hat man dabei an fehlende Rampen, Stufen oder zu enge Türen. Das überraschende Ergebnis: Die Barriere schlechthin ist der Kündigungsschutz. Ein Großteil der befragten Unternehmer im Wirtschafts- und Nonprofit-Bereich bezeichnete ihn als „die Schwelle“ bei der Einstellung von Personen mit Behinderung.

Deshalb, so die Schlussfolgerung der Studien-Autoren, sollte „gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten an Änderungen beim erhöhten Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung gedacht werden, um Unternehmen verstärkt zur Einstellung von behinderten Menschen zu bewegen“.

Behinderte Menschen arbeiten heute als Lehrer oder Richter, kellnern in Cafés oder helfen in Buchläden aus. Sie sind viel selbstverständlicher Teil der Gesellschaft, als dies noch vor 20 Jahren der Fall war. – Nicht zuletzt deshalb, weil sie dank schulischer Integration vielfach besser ausgebildet sind. Zusätzlich wurde das Förderinstrumentarium für behinderte Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber massiv ausgebaut und ein Diskriminierungsschutz im Arbeitsbereich geschaffen.

Wenig verändert hat sich hingegen im arbeitsrechtlichen Bereich. Der Kündigungsschutz, ursprünglich als wohlmeinendes arbeitsmarktpolitisches Instrument entwickelt, erschwert heute vor allem gut ausgebildeten und lernbehinderten Menschen den Einstieg in die Arbeitswelt.

„Soll ich mich überhaupt als „begünstigter Behinderter“ beim Bundessozialamt einstufen lassen?“, fragte mich vor einiger Zeit ein blinder Uni-Absolvent aus der Steiermark. Mein „Ja“ kam nur zögernd, weiß ich doch, dass die Ängste des Akademikers, dadurch am Arbeitsmarkt schwerer vermittelbar zu sein, nicht unbegründet sind.

Viele Unternehmer schrecken vor dem Schlagwort Kündigungsschutz zurück – in dem Irrglauben, dass behinderte Menschen unabhängig von Ihrer Arbeitsleistung unkündbar sind. Immer mehr behinderte Menschen verzichten daher auf eine Einstufung und damit auch auf Fördermaßnahmen wie Lohnzuschüsse.

Um behinderten Arbeitnehmern hier eine Chancengleichheit zu ermöglichen, müssen die arbeitsmarktpolitischen Instrumente neu überdacht werden. Ich plädiere für eine Umwandlung des „strafenden“ Kündigungsschutzes in einen positiven Beschäftigungsschutz, der behinderte Menschen zusätzlich absichert und ihnen mehr berufliche Perspektiven eröffnet. Ziel aller Maßnahmen muss es sein, behinderten Menschen bei Neuanstellungen bessere Ausgangschancen zu bieten – und das muss jetzt passieren, um behinderte Menschen für die Zeit des kommenden Wirtschaftsaufschwunges „jobfit“ zu machen.

Der Kündigungsschutz sollte vorerst in einer Probephase für drei Jahre bei Neuanstellungen aufgehoben und die Auswirkungen evaluiert werden. Die emotionale Hürde für Unternehmer wird dadurch bei Neuanstellungen völlig aufgehoben.

Kommt es in dieser Zeit zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses, soll für die Betroffenen ein individuell maßgeschneidertes Vermittlungspaket geschnürt werden, in dem alle Fördermaßnahmen des Bundessozialamtes zusammengeführt sind. Ziel dabei ist, rasch eine Neuanstellung oder eine Qualifizierungsmaßnahme zu vermitteln. Finanziell sind Betroffene in dieser Zeit durch Arbeitsmarktleistungen, wie das Arbeitslosengeld oder der Deckung des Lebensunterhaltes abgesichert.

Vom beschriebenen Modell des Beschäftigungsschutzes profitiert der arbeitslose behinderte Mensch im Vergleich zum Kündigungsschutz ungleich mehr, da eine offensive Strategie für Neuanstellungen eingesetzt wird. Dies entspricht den weiterentwickelten neuen Förderinstrumenten, aber auch der europäischen Arbeitsmarktstrategie der Flexibilisierung – weniger Pflichten für Unternehmen, mehr Schutz durch den Staat.

Während die Verantwortung vom Unternehmer zum Staat umgeleitet wird, soll gleichzeitig die Ausgleichstaxe erhöht werden – dies trifft jene Unternehmen, die sich der Einstellungspflicht behinderter Menschen entziehen. Die so gewonnenen finanziellen Mittel sollen für die beschriebenen Arbeitsmarktmaßnahmen eingesetzt werden.

„Beschäftigungsschutz statt Kündigungsschutz“ lautet der Appell an die Sozialpartner, hier eine längst überfällige Lösung für die Erhöhung der Beschäftigung behinderter Menschen zu finden.

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