Ein Beispiel für institutionelle Gewalt: „Krawatten-Szene“

Dank dieses Vorfalles in der Doku-Serie "Üsi Badi" konnten für einmal auch nichtbehinderte Menschen sehen, wie es in Heimen zu und her geht.

Transkription

Ausschnitt aus „Üsi Badi“ vom 09. August 2010. Quelle: Schweizer Fernsehen.

Wir befinden uns im Wohnwagen von Niklaus

Erzählerin: Für so eine Gelegenheit hat Niklaus extra eine Krawatte eingepackt.

Niklaus: Das hat der Markus noch nie gesehen! Das hat er noch nie gesehen!

Betreuer: Meinst du, du übertreibst ein Bisschen mit der Krawatte?

Niklaus: Weiss nicht …

Betreuer: Hä?!

Betreuer: He, es ist ein Bisschen heiss heute … Ich glaube einmal für die Kamera und nachher … … lassen wir sie hier. Wir tragen keine Krawatte heute. Es ist viel zu heiss.

Erzählerin: Der Niklaus ist enttäuscht.

Niklaus: Ich muss sie wieder ausziehen, hat er gesagt.

Wir sind im Studio von SL-TV.

David Siems: Diese Szene ist ein typisches Beispiel für alltägliche, institutionelle Gewalt und zwar gleich aus zwei Gründen: Zum Einen mischt sich der Betreuer in etwas ein, das ihn nicht das Geringste angeht. Es ist für ihn eine Selbstverständlichkeit, dass er einem erwachsenen Mann solche Vorschriften machen kann, nur weil dieser behindert ist und er selber nicht. Zum anderen macht er es eben auf eine ganz hinterhältige, unehrliche Weise: Er gibt sich kumpelhaft und locker und anstatt gleich zu sagen, dass er Niklaus die Krawatte verbietet, versucht er zuerst ihm mit seiner Suggestiv-Frage die Krawatte madig zu machen.

Die Szene wirkt auf nichtbehinderte Menschen vielleicht harmlos, aber das ist eine der klassischen Methoden, mit der die Persönlichkeit von behinderten Menschen in Institutionen unterdrückt und langfristig kaputt gemacht wird. Man bringt ihnen auf diese Weise bei, dass sie keine Entscheidungen treffen können und auf die Institution angewiesen sind. Das merkt man auch daran, dass Niklaus gar nicht versucht, zu widersprechen. Er hat gelernt, in der Institution zu überleben.

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