Achtung Wahlkarten!

Die Tatsache, dass es zu Missbrauch bei der Briefwahl kommt, darf unter keinen Umständen dazu führen, bestimmten Personengruppen das Wahlrecht generell abzusprechen. Auch dies hat estwas mit Achtung bürgerlicher Freiheiten zu tun. Ein Kommentar.

Albert Brandstätter
Lebenshilfe Österreich

Die Diskussion über die sicherlich sinnvolle Reform des Wahlkartensystems ist um eine ungute Facette reicher. Im Report-Beitrag vom 19. Oktober 2010 über „Gezinkte Briefwahl-Karten“ hat der Verfassungsrechtsexperte Heinz Mayer einiges zum Umgang mit Wahlkarten gesagt, das ich nicht unwidersprochen lassen möchte.

Mayer nimmt Bezug auf die Ausstellung von Wahlkarten für Menschen mit Demenz in einem Wiener Krankenhaus und meint abschließend beinahe nebenbei: „Na ja, es gab ja früher eine Wahlausschluss wegen geistiger Behinderung, und ich denke, das sollte man auch wieder einführen, denn wenn jemand rechtlich nicht in der Lage ist sich einen Straßenbahnfahrschein zu kaufen, weil er geistig so behindert ist, dann gibt es auch keinen Grund den Betreffenden Wählen zu lassen. Das ist tragisch, aber eine Wahlentscheidung ist eine wichtige Entscheidung und die sollte man treffen im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte.“

Das sind in meinen Augen skandalöse Aussagen!

Zum einen lenkt Mayer von demenzkranken Menschen zu so genannten „geistig behinderten“ Menschen über. Es gibt nicht „den“ intellektuell behinderten Menschen. In Wirklichkeit existiert eine große Bandbreite von kognitiven Beeinträchtigungen – Menschen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten, aber auch unterschiedlichsten Unterstützungsbedarfen.

Und: Menschen mit intellektuell-kognitiven Beeinträchtigungen sind nicht „krank“ Richtig ist, sie leben ihr Leben lang mit einer Beeinträchtigung und haben einen Unterstützungsbedarf. Behindert an der vollen Teilhabe in der Gesellschaft werden sie erst durch die Gesellschaft selbst – durch Vorurteile, Ungleichbehandlungen und Ausgrenzung.

Das Recht und die Möglichkeit zu Wählen ist ein Menschenrecht. Geregelt ist dieses Recht für Menschen mit Behinderungen im Artikel 29 der UN-Behindertenrechts­konvention. Das Recht zu Wählen an sich darf nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr ist zu überlegen, wie Missbrauch bei der Ausübung des Wahlrechts in Zukunft verhindert werden kann und wie Menschen mit Behinderungen dabei bestmöglich unterstützt werden können.

Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass Wahlkarten „für“ die Person ausgefüllt werden sollen. Nicht Wahlmanipulation „für“ unterstützte Menschen ist das Ziel, sondern die Assistenz bei ihrer eigenen Entscheidungsfindung.

Unterstützung sehr schwer beeinträchtigter Personen bedeutet sehr viel Zeit, Geduld, Liebe, Know-how und Einfühlungsvermögen. Und es müssen alternative Kommunikationsmethoden entwickelt werden. Also nicht ein Wahlausschluss ist anzudenken, sondern die achtsame Veränderung des Briefwahlrechts und der Aufbau entsprechenden Unterstützungsmechanismen ist gefragt.

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4 Kommentare

  • Ich bin der Meinung, wenn ein Mensch nichts selbst entscheiden kann, auch nicht wählen kann. Wer füllt den Zettel für die
    Stimmabgabe aus?! Ich will dabei niemand diskriminieren!

  • @Brigitte Bogensperger: Es kann den von Heinz Mayer angedachten Ausschluss nicht geben, dass ist verboten. Konkret geht es um Artikel 26 Abs. 5 des Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), wo es heißt: „Die Ausschließung vom Wahlrecht und von der Wählbarkeit kann nur die Folge einer gerichtlichen Verurteilung sein.“

    Wahrscheinlich hat der Verfassungsrechtsexperte Heinz Mayer diesen Teil der Bundesverfassung vergessen gehabt.

  • Ich halte den Ausschluss vom Wahlrecht prinzipiell für sehr gefährlich. Wer bestimmt denn, welcher Grad an Demenz vom Wahlrecht ausschließt? Die Vermischung Demenz und geistige Beeinträchtigung und das über einen Kamm scheren verschiedenster geistiger Beeinträchtigungen zeugt von „Sachkenntnis“ a la Kirchenwirt Sonntag um elf Uhr…

    Allerdings verstehe ich die Besorgnis angesichts des verstörend laschen Umgangs mit den jüngsten Wahlbetrugsvorfällen seitens des Täters und seiner Partei vollkommen. Erstaunlich auch, dass die anderen Parteien so leise bleiben. Dieser bewusst begangene Betrug am Volk zeigt, dass auch die Wahlkarten von Menschen mit Beeinträchtigungen für Wahlbetrug missbraucht werden könnten. Die Konsequenz kann aber doch nicht sein, diesen Menschen ihr Wahlrecht vorzuenthalten, sondern muss doch sein, die Täter mit Strafen abzuschrecken. Mindeststrafe: Ausschluss vom passiven Wahlrecht bei der betreffenden Wahl!

  • Ich sehe es so, dass beide Recht haben. Für das Wahlrecht ist es meiner Meinung nach unverzichtbar, dass ich mir der Konsequenzen meiner Wahl bewusst sein muss. Das sollte auch der Massstab sein, nach dem das Wahlrecht aberkannt wird. Das kann sowohl für Demenzkranke als auch für geistig Behinderte im Einzelfall gelten und muss daher auch im Einzelfall zu prüfen sein. Pauschalaussagen in beide Richtungen sind hier weder hilfreich noch sinnvoll.