Menschen mit Behinderung: Stiefkinder im neuen Wiener Regierungsübereinkommen?

Sind wenige Zeilen von insgesamt 77 Seiten für nahezu 15 % der Wiener Gesamtbevölkerung wirklich ausreichend? Ein Kommentar.

Ortschild mit Aufdruck Wien
BilderBox.com

Desinteressiert, lieblos, uninformiert – diese Begriffe können einem in den Sinn kommen, wenn man im nagelneuen Koalitionsabkommen der Wiener Stadtregierung nach den Spuren behinderter Menschen sucht.

Desinteresse muss es wohl sein, wenn man für diese große Wiener Bevölkerungsgruppe nur wenige Zeilen übrig hat.

Lieblos und oberflächlich kann man es wohl nennen, wenn statt der politisch korrekten Begriffe Menschen mit Behinderung oder behinderte Menschen einmal von „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“, einmal von „speziellen Bedürfnissen“ und einmal gar von „Handicaps“ die Rede ist. Oder ist dies ebenfalls Desinteresse?

Uninformiert kann man es wohl bezeichnen, wenn behauptet wird, es gäbe „ausreichende Angebote in Sachen Arbeit und Freizeit“, während allen Betroffenen und Fachleuten die vorhandenen Defizite hinlänglich bekannt sind.

Im neuen Regierungsübereinkommen fehlt im Zusammenhang mit Menschen mit Behinderung das Antidiskriminierungsgesetz und der gesamte Gleichstellungsbereich, es findet sich auch sonst kein Wort zu unseren Bürgerrechten.

Es fehlen die Ankündigungen für die notwendige Novellierung des Wiener Veranstaltungsstättengesetzes und der Bauordnung für Wien und im Chancengleichheitsgesetz die Übernahme der Pflegegeldergänzungsleistung als Regelleistung, der Rechtsanspruch auf Persönliche Assistenz und auf Leistungen des Freizeitfahrtendienstes.

Weiters fehlt das klare Bekenntnis zum dringend notwendigen Ausbau der Sozialen Dienste sowie zu einer umfassenden barrierefreien Infrastruktur der Stadt. Stattdessen werden stationäre Angebote hervorgehoben und betont. Weit und breit ist – wenngleich in anderen Kapiteln des Abkommens sehr wohl – von innovativen Vorhaben und Projekten für unseren Personenkreis nichts zu lesen.

Auch ein Bekenntnis zur verstärkten Einstellung von Menschen mit Behinderung sowie die Abschaffung der diskriminierenden „Sonderaktion“ im Beschäftigungsbereich des Magistrats ist nicht zu finden.

Unrichtige und diskriminierende Feststellungen finden sich auch; so zum Beispiel dort, wo das Recht auf Integration durch die Formulierung „In jenen Fällen, wo eine Integration sinnvoll (!) und möglich (!) erscheint …)“ in Frage gestellt wird.

Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird zwar angekündigt, aber dabei wurde vermutlich ganz übersehen, dass das Regierungsübereinkommen selbst in verschiedenen Punkten dieser widerspricht. So wie es auch gegen das Benachteiligungsverbot in Artikel 7 des Bundes-Verfassungsgesetzes und die 15 a-Vereinbarung über gemeinsame Maßnahmen des Bundes und der Länder für pflegebedürftige Personen aus dem Jahr 1993 verstößt.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Menschen mit Behinderung wird, wenn es nach dem Willen der Wiener SPÖ und der Wiener Grünen geht, in dieser Stadt auch in Hinkunft eine Stiefkinderrolle zugedacht. Aber soll die Zukunft für Menschen mit Behinderung in Wien wirklich so aussehen?

Ob wir uns nicht bei den Chefverhandlern der beiden Parteien einmal sehr herzlich für ihre gute Arbeit bedanken sollten?

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich