Verkehrte Welt? Bitte mehr davon!

Manches Mal erlebt man staunend Überraschungen. Beispielsweise, dass die Wirtschaftskammer in der ORF-Sendung "BürgerAnwalt" die Barrierefreiheit verteidigt und die Volksanwaltschaft dagegen argumentiert. Ein Kommentar.

Deckblatt Hotel-Kriterienkatalogs
hotelsterne.at

Aber der Reihe nach. Was in der Sendung zu sehen war, hat mich doch schon sehr überrascht. Ich musste mir die Sendung auf TV-Thek 2 mal ansehen, weil es so unerwartet kam.

Die ORF-Sendung „BürgerAnwalt“ vom 18. Juni 2011 unter dem Titel „Der verlorene Stern“ wurde so angekündigt: „Der idyllische Brandtnerhof in Waidring in Tirol wurde von einem Dreisternebetrieb zu einem Zweisternebetrieb degradiert – obwohl der Hotelier viel Geld in den Ausbau investiert hatte. Doch im Haus fehle ein Lift und deswegen falle das Hotel aus der Dreisternekategorie, teilte ihm die Wirtschaftskammer mit.“

Brandtnerhof – die Geschichte

Vor vielen Jahren war der Brandtnerhof nach den damaligen Kriterien ein 3-Stern-Hotel. Man erfuhr im ORF-Beitrag, dass das Hotel seit dem Jahr 2004 nur mehr die Kriterien eines 2-Stern-Hotels erfüllt (im Beitrag wurde das Schreiben gefilmt).

Der Hotelier, Dieter Jungvogel (Brandtnerhof), hat in den letzten Jahren allerdings viel zum Wohle der Gäste investiert und u.a. eine Sauna und ein zusätzliches Lokal für 50 Personen eingebaut.

Nachdem die Umbauten und das Hotel ausgiebig gezeigt worden waren, folgte ein Studiogespräch zu dem der Hotelier, die Volksanwältin Mag. Terezija Stoisits sowie Mag. Matthias Koch (Fachverband Hotellerie, Wirtschaftskammer Österreich) eingeladen waren und welches Peter Resetarits (ORF-Sendung „BürgerAnwalt“) moderierte.

Qualität als Wettbewerbsvorteil

Im Rahmen der Diskussion erfuhr man, dass der wesentlichste Punkte, warum die Hotelpension Brandtnerhof (knapp 2 Dutzend Zimmer über mehrere Etagen verteilt) keinen 3. Stern bekommt, der fehlender Gästelift ist.

Der Hotelier zeigte sich verärgert, dass er „von der eigenen Interessensvertretung abgestuft“ wurde. Es dürfte so sein, dass sein Betrieb „gefühlt“ nun ein 3-Sterne-Betrieb sei, den in Österreich üblichen Kriterien aber nicht entspricht.

In der Diskussion erfährt man weiters, dass das freiwillige System der Hotelklassifizierung in den letzten Jahren auf europäischer Ebene harmonisiert wurde. Seither gibt es bei der Vergabe der Sterne fast deckungsgleiche Kriterien. Eine der wenigen Ausnahmen bildet der Gästelift, den Österreich unter gewissen Bedingungen verpflichtend vorschreibt, die Schweiz und Deutschland aber nicht. Der Hotelier fühlt sich gegenüber seinen Mitbewerbern im nahegelegenen Bayern benachteiligt und kritisiert diesen Unterschied.

Was dann folgte, war ein spannender Wortwechsel, den ich hier auszugsweise wiedergebe:

Matthias Koch (Wirtschaftskammer) bestätigte, dass es „für die Qualitätssicherung in Österreich abweichende Bestimmungen“ gibt.

Peter Resetarits fragte nach: „Strengere Bestimmungen?“

Darauf antwortet Koch: „Es ist die Frage, wo Sie hinwollen. Wir sehen Qualität als ein Wettbewerbsvorteil. … Es geht beispielsweise um Barrierefreiheit. Wir haben in Österreich immer schon diese strengere Bestimmung gehabt – mit dem Lift (Gästelift – 3 Stern). Wir haben diesen Bestand gesichert für die Zukunft. … Sie wissen es selber ganz genau. Es gibt jetzt auch das Thema Barrierefreiheit. Es gibt eine gesetzliche Bestimmung, die 2016 in Kraft tritt. Barrierefreiheit ist jetzt nicht nur eine Convenience-Frage oder eine Frage für Behinderte, das ist etwas, was uns alle trifft – man braucht nur Kinder haben. Und hier geht es uns um Komfort.“

Er ergänzt auf die Nachfrage (Vergleich zu Schweiz und Deutschland): Es hat daher überhaupt keinen Sinn die strengere österreichische „Bestimmung zum Gästelift aufzumachen, um sie womöglich in zwei, drei Jahren wieder zuzumachen.“

Freiwilliges System der Hotelklassifizierung

In Österreich gibt es ein System der Hotelklassifizierung, welches 270 einzelne Kriterien umfasst. Die Erfüllung der meisten Kriterien wird mit einer unterschiedlichen Anzahl von Punkten bewertet (die zusammengezählt werden), manche dieser Kriterien müssen in höheren Kategorien allerdings erfüllt sein.

So ist beispielsweise das Kriterium Nr. 29 „Gästelift“ bei einem Gebäude mit mehr als 3 Stockwerken (inkl. Erdgeschoss) für ein 3-Sterne-Hotel ein Pflichtkriterium.

„Die Hotelklassifizierung ist ein Service, den wir für unsere Gäste zur Verfügung stellen“, erklärte der Wirtschaftskammervertreter und stellte klar: Kein Betrieb sei verpflichtet, sich klassifizieren zu lassen.

Qualitätsmaßnahmen

Ich gebe es offen zu. An diesem Punkt war ich ziemlich beeindruckt (und erfreut). Hier hat ein wichtiger Wirtschaftsvertreter den Wert von Barrierefreiheit als Qualitätsmaßnahme für ALLE verstanden.

Doch das alleine hätte die Sendung nicht so außergewöhnlich erscheinen lassen (beeindruckend wäre sie allerdings schon deswegen gewesen).

Außergewöhnlich war der weitere Verlauf. Volksanwältin Stoisits ergriff davon ungerührt wortgewaltig für den Hotelier weiter Partei und kritisierte: „Österreich setzt sich für europäische Harmonisierung ein. Diese europäische Harmonisierung führt zu einem Wettbewerbsnachteil für österreichische Betriebe“, zieht sie am Schluss der Sendung ihr persönliches Resümee.

Dieser Sichtweise konnte sich der Wirtschaftsvertreter nicht anschließen und replizierte: „Der österreichischen Wirtschaft entsteht kein Schaden, sondern ein Nutzen.“

Neben diesen ziemlich verkehrten (zumindest bisher unerwarteten) Argumentationslinien – die Wirtschaftskammer argumentiert für Barrierefreiheit, die Volksanwaltschaft dagegen – gab es auch noch skurrile Momente im Filmbeitrag wie diesen: Der Hotelier, der kürzlich eine Meniskusoperation hatte, steigt mit zwei Krücken mühsam die Stufen seines Hotels hinauf und erklärt wenige Sekunden später im Beitrag, dass er den Sinn des Lifts nicht erkennen kann.

Er erklärt im TV-Beitrag auch, warum viele Gäste einen 3-Sterne Betrieb suchen. „In diesem Bereich fühlen sich die meisten Gäste zuhause“, denn „da ist alles vorhanden, was man braucht“. Noch Fragen?

Keine Sonderregelungen

In der Sendung wird klar, dass es keine Sonderregelung für den Brandtnerhof geben wird. Matthias Koch hält am Schluss der Sendung fest, dass er jedem rate „keinen Anzug zu kaufen, der einem nicht passt, weil er zu groß ist“.

Der Betrieb nennt sich nun auf der Homepage „3Pluspunkte-Hotel Brandtnerhof“.

Zusatzbezeichnung „Superior“ möglich

In einem Tage nach der Sendung geführten Telefongespräch bestätigte mir Mag. Matthias Koch den Sachverhalt nochmals und bekräftigte, dass Zugänglichkeit ein Qualitätskriterium für die Beurteilung darstellt. Erfreulich war auch, zu hören, dass er – ungefragt – gleich klarmachte, dass Barrierefreiheit mehr bedeutet als bei einem Gebäude mit mehr als 3 Stockwerken einen Lift zu haben. Dies sei erst der Anfang.

Für Hotels, die mehr Service anbieten (und damit viele Punkte bei der Hotelklassifizierung erreichen) und trotzdem die nächsthöhere Stufe nicht erreichen, gibt es die Möglichkeit der Zusatzbezeichnung „Superior“. So könne man den Gästen den gebotenen Mehrwert innerhalb der Kategorie vermitteln.

Der Brandtnerhof könnte evtl. bei Erreichen der notwendigen Punkte ein „2-Sterne-Hotel Superior“ sein und so in seinen Bemühungen gewürdigt werden.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich