Neue Namen braucht der Ring. Ein Vorschlag zur Güte

Der Dozent trifft Groll vor der Wiener Universität.

Erwin Riess bei der Lesung im BIZEPS 20120508
Peter Miletits

„Freund Groll! Wie schön, Sie in der Stadt anzutreffen! Ich weiß, daß Sie Floridsdorf nur selten verlassen, eine Sache von einiger Bedeutung muß Sie in die Innenstadt geführt haben.“

„Verehrter Dozent, Sie haben recht. Ganz Europa feiert am 8. Mai den Tag des Sieges über Nazi-Deutschland, nur Österreich nicht. Ich mache den Anfang.“

„Tatsächlich! Heute vor siebenundsechzig Jahren erfolgte die bedingte Kapitulation Nazi-Deutschlands vor den Alliierten.“

„Ich feiere aber noch etwas.“

„Ich höre.“

„Ich feiere die Umbenennung des Dr. Karl Lueger Rings. Er heißt jetzt Universitätsring. Diesen Umstand feiere ich aber mit Vorbehalt.“

„Wieso das? Hegen Sie heimliche Sympathien für den ´schönen Karl´“?

„Das nicht. Ich hätte diesem Teil der Ringstraße lieber einen anderen Namen gegeben.“

„Welchen?“

„Straße des 13. März 1992.“

„Ich verstehe nicht.“

„Ganz einfach. Der 13. März ist, wie Sie wissen, ein bedeutsames Datum in der österreichischen Geschichte. An einem 13. März brach hier ums Eck, in der Herrengasse, die 48-er Revolution aus; am 13. März 1938 marschierte die Deutsche Wehrmacht in Österreich ein; am 13. März 1957 wurde die Paritätische Kommission, das Herzstück der Sozialpartnerschaft, in der Wiener Zeitung amtlich verlautbart – und am 13. März 1992 gründeten behinderte Menschen nach jahrelangen Kämpfen gegen bevormundende und ausgrenzende Sozialbehörden das erste Selbstbestimmt Leben Zentrum Österreichs – BIZEPS. Es wäre mutiger gewesen, den Lueger-Ring in `Straße des 13. März 1992` umzubenennen, denn die Leistung dieser Behindertenaktivistinnen- und Aktivisten kann in seiner zivilisatorischen Dimension gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.“

„Ein interessanter Gedanke.“

„Noch besser wäre es allerdings gewesen, man hätte die Namen hervorragender Kämpferinnen und Kämpfer der Bewegung ebenfalls mit Namensnennungen geehrt, und zwar auf der gesamten Ringstraße: Ladstätter-Ring, Srb-Ring, Brozek-Ring, Maronbastei, Scheuer-Passage und so weiter. Die Leute hätten gefragt, wer diese Menschen sind und was sie geleistet haben, und wir könnten den Fragestellern sagen, das – und etliche andere – sind die Namen jener Menschen, die Österreich, was die Politik von und für behinderte Menschen betrifft, in die Moderne versetzt haben. Ihre Leistungen und ihre Namen würden der Welt zeigen, daß Österreich nicht nur der Hort rechtsradikalen Protestes ist. In den Schulbüchern würden sich die Lebensläufe dieser Veteranen der Bürgerrechtsbewegung behinderter Menschen finden. In kenntnisreichen Fernsehdokumentationen (die zum Teil von behinderten Menschen stammten) würden Leben und Wirken den übrigen Österreichern näher gebracht, so daß die werten nichtbehinderten Mitmenschen nicht mehr Scheu oder Ekel gegenüber Menschen mit Behinderung empfänden, sondern Respekt und ein klein wenig Stolz. Schließlich würden die Antlitze dieser Kämpferinnen und Kämpfer für ein besseres Österreich auf Briefmarken erscheinen, Fußballstadien und Kulturzentren würden nach ihnen benannt werden.“

„Das ist wahrlich ein schöner Traum.“

„Noch ist es ein nur ein Traum.“

„Was macht Sie so zuversichtlich, daß der Traum Wirklichkeit wird?“

„Die Tatsache, daß behinderte Menschen in Österreich in den vergangenen drei Jahrzehnten mehr und mehr Verfügungsgewalt über ihr eigenes Leben erkämpften, daß sie entgegen aller Schwarzseherei das Pflegegeld durchsetzten, die schulische Aussonderung zumindest zeitweise beendeten und erste, wichtige Schritte in Richtung Antidiskriminierung erreichten.“

„Aber Sie wissen selber am besten, daß an vielen dieser Errungenschaften in den letzten beiden Jahren gezerrt und gezwickt wurde, Herr Hundstorfer, der in der Schmierenkomödie der heimischen Sozialpolitik den Minister gibt, hat sogar Dutzende Erleichterungen und Unterstützungen für behinderte Menschen komplett gestrichen, worauf sich seine steirischen Genossen ein Beispiel nahmen und ihrerseits noch perfidere Attacken auf die Menschenrechte und die Würde behinderter Menschen ins Werk setzten.“

„Die Schande, die diese Leute auf sich geladen haben, ist groß. Allen Rückschritten zum Trotz gilt aber: Wir sind noch immer vorhanden, und wir wehren uns. Und BIZEPS ist ein wesentlicher und unverzichtbarer Teil unseres Widerstands. Daß es in diesem Land, in dem behinderte Menschen vor 70 Jahren massenhaft ermordet wurden, eine autonome Behindertenorganisation gibt, die sich den Ideen des Internationalen Independent Living Movement verschrieben hat und von Jahr zu Jahr an Durchsetzungskraft, Ausstrahlung und Expertise zulegt, macht Mut für kommende Auseinandersetzungen. Wir werden zwar nicht alles erreichen, was wir uns vorgenommen haben, aber wir werden mehr erreichen, als uns andere zutrauen. Viel mehr.“

„Dessen sind Sie sich sicher.“

„So sicher wie die Räder meines Joseph mich durch die Stadt geleiten. Kommen Sie mit?“

„Wohin?“

„In die Schönngasse im zweiten Bezirk. Ins BIZEPS-Headquarter, es gibt Gratiswein- und Kuchen.“

„Meinen Sie nicht, daß ich dort fehl am Platz bin?“

„Die BIZEPS-Leute sind für ihre Großzügigkeit bekannt. Kommen Sie schon. Das Geburtstagsfest beginnt in wenigen Minuten.“

Groll beschleunigt den Rollstuhl, der Dozent läuft, sein Rennrad an der Hand, neben ihm her.

(Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde von Erwin Riess beim BIZEPS-Fest am 8. Mai 2012 vorgetragen.)

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich