Hilft die Wiener Charta den Menschen mit Behinderung?

Die Wiener Charta wurde am 27.11. der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie soll zu einem guten und wertschätzenden Zusammenleben der Wiener Bevölkerung beitragen.

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Menschen mit Beeinträchtigungen sind nicht behindert, sondern sie werden behindert: Durch Barrieren in ihrem Lebensumfeld, durch unterlassene und mangelhafte Unterstützung und durch Geringschätzung oder Diskriminierung in der Öffentlichkeit. So lautet die heute gängige Definition von „Behinderung“.

Der Plan der Stadt Wien, ab April 2012 gemeinsam mit den Wiener Bürgerinnen und Bürger Richtlinien für ein besseres Zusammenleben und ein respektvolles, verständnisvolles Miteinander auszuarbeiten, erschien da wie geschaffen für die Beseitigung von Hindernissen und Behinderungen von Menschen mit Beeinträchtigungen.

Nach sieben Monaten Arbeit, 651 Gesprächen mit 8.500 Beteiligten und 325 Partnerorganisationen, darunter auch die Lebenshilfe Wien, haben Bürgermeister Michael Häupl, Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou und Stadträtin Sandra Frauenberger am 27.11.2012 die „Wiener Charta“ der Öffentlichkeit vorgestellt. (Volltext der Wiener Charta:)

Doch helfen die nun veröffentlichten Regeln auch für das gute Zusammenleben von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen?

Zuallererst fällt auf, dass Menschen mit Behinderung in der Wiener Charta nirgends ausdrücklich erwähnt werden, ganz im Unterschied zu Menschen mit Migrationshintergrund, Kindern und Jugendlichen sowie älteren Menschen.

Wer selbst eine Beeinträchtigung hat oder einen Menschen mit Beeinträchtigung gut kennt, wird sicher einige Richtsätze finden, die Menschen mit Beeinträchtigungen ganz konkret mit einschließen, z.B.

  • „Wir stehen im Alltag den Lebensgewohnheiten und Erfahrungen anderer aufgeschlossen gegenüber.“
  • „Wir sehen die Unterschiede, aber das Gemeinsame ist uns wichtiger.“
  • „Der öffentliche Raum muss allen Menschen gleichberechtigt zur Verfügung stehen.“
  • „Wir akzeptieren unterschiedliche Bedürfnisse und suchen daher gemeinsame Lösungen und tragfähige Kompromisse.“

Doch werden Menschen ohne Beeinträchtigung, die weder selbst noch über enge Bezugspersonen mit Ausgrenzung und Behinderung konfrontiert sind, erkennen, dass diese Regeln gelingenden Miteinanders in der Wiener Charta auch für Menschen mit Beeinträchtigungen geschrieben worden sind?

Werden Sätze der Wiener Charta wie „Miteinander kommunizieren, zu reden, ist für das gegenseitige Verständnis wesentlich.“ automatisch dazu führen, dass Menschen ohne Beeinträchtigungen sich bemühen werden, über einfache Sprache, sprachliche Hilfsmittel und geduldiges Zuhören Zugang zu einem ihm fremden Menschen mit intellektuellen und sprachlichen Beeinträchtigungen zu finden?

Ich bin überzeugt, dass es überaus notwendig ist, dass Interessenvertretungen und vor allem die Stadt Wien selbst der Wiener Bevölkerung so oft es geht zu vermitteln versucht, dass gutes Zusammenleben in Wien natürlich auch für Menschen mit Beeinträchtigungen wichtig ist!

Denn das vermeintlich Selbstverständliche ist noch lange nicht für alle selbstverständlich, und die „Wiener Charta“ ist erst dann ein wirklicher Erfolg, wenn sie das Zusammenleben ALLER Bürgerinnen und Bürger in Wien verbessern hilft.

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