Persönliches Budget: Aufbruch zu anderen Landschaften

Ein Gespenst geht um in Österreich. Das Gespenst des Persönlichen Budgets.

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Dieses Modell feuert Diskussionen an, es polarisiert, es sorgt für Euphorie und Angst gleichermaßen. Persönliches Budget, das erzeugt Phantasien und es ist ein bisserl unheimlich.

Geht das überhaupt?

Menschen mit Behinderung Geld direkt in die Hand zu geben? Und wenn ja, was ist angemessen? Und außerdem gibt es neun Länder in Österreich, neun Gesetzgebungen. Wer soll das kontrollieren, wie ist das mit dem Missbrauch der Gelder?

Generalargument politischer Entscheidungsträger und wichtiger Beamter ist, dass das bei uns in Österreich nicht geht. Dieses Argument lässt leider die Schlussfolgerung zu, dass der Bundeskanzler, die Landeshauptleute, die BürgermeisterInnen und BezirksvorsteherInnen nichts für Menschenrechte übrig haben, jedenfalls nicht für Menschen mit Behinderungen. Man muss sich nur den Nationalen Aktionsplan ansehen, der für Menschen mit Behinderung ein bisschen Kosmetik anbietet, aber die Kernfragen von Bildung, Mobilität, persönlicher Assistenz und Ermöglichung von BürgerInnenrechten großräumig umschifft und außerdem keine Verbindlichkeiten darstellt.

Gedankenspiele

Es sei an dieser Stelle einmal das Gedankenexperiment erlaubt, ob der Bürgermeister von Wien, der politische Entscheidungsmacht und Meinungsmacht in Wien verkörpert, so leben möchte wie andere Menschen, die nach einer beruflichen Karriere zum Beispiel als BeamtIn oder PolizistIn in einer vollbetreuten Wohngemeinschaft landen. Oder anders ausgedrückt, hineingenötigt werden. Nur, weil jemandes Wohnung nicht rollstuhlgerecht ist oder er ständige Begleitung im Alltag braucht, die für die eigene Geldbörse zu teuer ist. Es braucht dazu nur einen sogenannten Schicksalsschlag, einen Schlaganfall, einen Unfall im Haushalt oder ähnliches. Etwas, was man keinem wünscht und wovon man sich selbst stets verschont sehen möchte.

Hineinzuziehen in eine Wohnung, in der schon 12 andere Personen leben, die er nicht kennt. Dort könnte er die nächsten 10 oder 20 Jahre in einem 17-Quadratmeter-Zimmer leben, das Wohnzimmer muss er sich mit 12 anderen teilen. Er lebt von Taschengeld. Wenn er die Wohngemeinschaft verlassen will, dann hat er keine Assistenz, denn die wird nur für das Leben innerhalb der Wohngemeinschaft finanziert.

Unter Umständen muss er sich überlegen, ob er das Geld für einen Besuchsdienst gegen Physiotherapie tauscht. Dann nehmen halt Morgensteifigkeit und Schmerzen wieder zu. Was gegessen wird, das wird mit 12 anderen im Speiseplan ausverhandelt, das nennt man dann Mitsprache und Selbstbestimmung.

Wann er am Abend ins Bett gehen will, das wird mit 12 anderen verhandelt, denn es sind nur drei BetreuerInnen da. Aber um 21 Uhr ist Tagesende auch für ihn, weil dann der Nachtdienst allein ist.

Soll ich fortsetzen?

Keine Assistenz für eigenes Bildungsinteresse, keine Assistenz für Konzertbesuche. Die Einkäufe sind schwierig ohne Assistenz, weil viele Geschäfte nicht barrierefrei sind, Apotheken und Arztpraxen übrigens auch nicht, Restaurants und Kaffeehäuser ebenso wenig. Nicht mehr erwerbsfähig? Na, dann bitte jeden Tag ab in eine Tagesstruktur, wo er mit 15-60 anderen „Behinderten“ mit Tag-Verbringen „beschäftigt“ ist. Inzwischen gibt es Tagesstrukturen, wo er dafür dann auch noch das Mittagessen selbst bezahlen muss. Von dem Taschengeld, von dem er gern den Besuchsdienst hätte. Soll ich fortsetzen? – Lassen wir es.

Immer diese Menschenrechte

Sie finden, das ist einem Bürgermeister nicht zumutbar? Dann setzen Sie sich selbst in dieses Gedankenexperiment ein. Wollen Sie so leben? Menschenrechte und BürgerInnenrechte machen keinen Unterschied zwischen Bürgermeister und VerkäuferIn, zwischen Mann oder Frau oder behindert und nichtbehindert. Es wird hier deutlich, dass institutionelle Betreuung ein massiver Fremdeingriff ins eigene Leben sein kann, in eine massive Beschneidung der Privatsphäre und eine Verletzung persönlicher Freiheiten.

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung verlangt, dass es Alternativen dazu geben muss. Diese Alternativen sind ein Rechtsanspruch. Das hat Österreich als Staat unterschrieben und damit mit gesetzlicher Wirkung in Österreich anerkannt.

Wegweiser

Es gibt eine einfache praktische Lösung dafür. Wirklich einfach. Das Persönliche Budget. Was nicht einfach ist, das sind die Widerstände, die gewohnten Denkweisen der maßgeblichen PolitikerInnen, der Menschen in Landes- und Gemeinderäten, in Ministerien und Verwaltungen, in Organisationen und in Nachbarschaften.

Das Persönliche Budget gibt es. Tatsächlich, nämlich als Rechtsanspruch für Menschen mit Behinderung in Deutschland. Egal wie alt jemand ist, auch für Kinder. Es ist finanzierbar und es funktioniert. Es wird formlos beantragt, der Antrag darf bei Vorliegen einer Behinderung nicht abgelehnt werden. Der Antrag muss innerhalb von 14 Tagen entschieden sein. Es ist ein Bundesgesetz und gilt somit in allen Bundesländern in Deutschland.

Etwa 78% der Personen, die das Persönliche Budget in Anspruch nehmen, sind zufrieden mit den Unterstützungsleistungen. Das Persönliche Budget ist für den Staat in Summe nicht teurer als die Betreuung der betroffenen Personen in Institutionen. Die Kontrolle der Verwendung der Gelder erfolgt über einfache Rechnungslegung. Personen, die das nicht allein schaffen, bekommen Budgetassistenz als bezahlte Unterstützungsleistung. Die ist dann Teil des Persönlichen Budgets.

Klingt gut, oder? Und auch nicht kompliziert, oder? Soll ich fortsetzen? – In einfacher Sprache klingt das in Oberhausen/Rheinland- Pfalz so: Das Geld bekommt die Person, die die Unterstützung braucht. Nicht mehr die Organisation, die noch vieles andere mit dem Geld regeln muss, nicht nur die Unterstützungsleistung.

Die Person entscheidet selbst, wofür das Geld gebraucht wird und wofür sie es ausgibt. Und auch wer die Unterstützung ausführen soll. Die Person wählt selbst zwischen Angeboten. Das ist auch so, wenn die Person eine Lernbehinderung hat. Die Person entscheidet auch darüber, wenn es eine rechtliche Vertretung für sie gibt. Das Geld darf zum Beispiel nicht für Lebensmittel, Alkohol, Zigaretten, Mietkosten oder Kinokarten ausgegeben werden, sondern für Leistungen, die unterstützen. Das kann dann die Assistenz sein, die jemand benötigt, um ins Kino zu gehen.

Ein Amt prüft, wo überall gefragt werden muss, wer zuständig ist für die unterschiedlichen Gelder. Es geht um Wohnen, Freizeit, Arbeit, Pflege und Teilhabe. Es gibt ein Gespräch mit der Person mit Behinderung und jenen Menschen, die der Person helfen. Welche Hilfen werden gebraucht? Wie viele Hilfen werden gebraucht? Wie viel Geld gibt es dafür? Hier wird hart verhandelt. Es geht schließlich um öffentliche Gelder. Das ist für die Person oft nicht leicht. Deshalb arbeiten Menschen mit Behinderung, die andere Menschen mit Behinderung beraten, daran, mehr Beratungsstellen zu schaffen. Das wird als eine wichtige Verbesserung bei der Erstellung persönlicher Budgets gesehen.

Das erste Persönliche Budget für eine Person ist nicht höher als die Kosten für die institutionelle Betreuung wären. Wenn sich aber herausstellt, dass es Gründe für ein höheres Budget gibt, dann muss auch das bewilligt werden. Manchmal muss das noch vor Gericht eingeklagt werden.

JedeR muss und kann sich selbst entscheiden

Die meisten Menschen mit Behinderung in Deutschland haben noch kein Persönliches Budget beantragt. Es ist keine Pflicht, sondern eine Wahlmöglichkeit. Es lohnt sich, wenn die Person eine Idee oder mehrere Ideen davon hat, wie sie ihr Leben einrichten will. Und günstig ist es, Verbündete dafür zu haben. Mehr Entscheidungsfreiheit zu wollen bedeutet auch, Schwierigkeiten und Risiken auf sich zu nehmen. Freiheit ist noch niemals nur ein Geschenk gewesen. Man muss sich dafür entscheiden. Aber dafür muss in Österreich erst die Möglichkeit geschaffen werden.

Die Zeit ist reif

Tolle Infos zum Thema gibt es aus dem Workshop der IVS, der im Februar 2013 stattgefunden hat.

Dieser Text von Andrej Rubarth ist in der Zeitschrift BALANCER 56, 2/2013 erschienen.

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