BIZEPS-Kongress 2013: Wie im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz ein Aktionsplan entstand

Ottmar Miles-Paul, bis 2012 noch Behindertenbeauftragter für das Bundesland Rheinland-Pfalz im benachbarten Deutschland, berichtete in seinem Vortrag über die Erstellung und Umsetzung eines Aktionsplans.

Ottmar Miles-Paul beim BIZEPS-Kongress 2013
BIZEPS

Als langjähriger Aktivist in der emanzipierten Behindertenbewegung initiierte er die Interessensvertretung Selbstbestimmt Leben Deutschland und half mit, diese auf zu bauen. In Kassel hatte Miles-Paul viele Erfahrungen gesammelt, bevor ihn der Ruf aus Rheinland-Pfalz erreichte. Dem Bundesland sagt man nach, dass viel und gerne geredet wird.

Zum Beginn: Auf Vorhandenes aufbauen und die beteiligten Menschen miteinbeziehen

2008 trat Miles-Paul sein Amt als Behindertenvertreter an. Er wusste um die Bedeutung von Kommunikation und um die Tatsache, dass man das Rad nicht neu erfinden muss. Deutlich wurde dies durch seine Aussage: „Das Wichtigste ist, wenn man sich mit Veränderungen beschäftigt, dass man nicht nur schaut: okay, was ist unser Ziel, was ist in dem Fall die UN Behindertenrechtskonvention, sondern auch schaut, was hat man denn schon. Denn man trifft ja auf Leute, die auch lange schon engagiert sind und die muss man ja auch mitnehmen und man hat vor allem auch eine Reihe von anderen Gesetzen oder Regelungen, auf die man aufbauen kann.“

Aufbauen konnten Miles-Paul und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter auf Artikel 3 des Grundgesetztes, der lautet:“ Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Er ist eine Art Landesgleichstellungsgesetz für behinderte Menschen.

Dann gab es einen Ministerratsbeschluss aus dem Jahr 2007, der besagt, dass sämtliches Geld diskriminierungsfrei, somit auch barrierefrei, ausgegeben werden muss.

Um die Lage einschätzen zu können, verfasste Miles Paul im Vorhinein einen Vorschlag für einen Landtagsbeschluss zur Umsetzung der UN-BRK mit Einbeziehung der Betroffenen.

Prompt war der Entwurf beschlossene Sache und dem erstaunten Abgeordnetenkollegium wurde dazu mit Sekt gratuliert.

Knapp ein Jahr nach dem Amtsantritt von Miles-Paul trat in Deutschland die UN-BRK per Gesetz in Kraft, er bemerkte dazu: „Und ich habe mir als Landesbehindertenbeauftragter zusammen mit vielen anderen Aktiven, sowas macht man nie allein, im Vorfeld natürlich schon überlegt: na ja, wenn nicht jetzt, wann dann. Die Behindertenrechtskonvention ist recht neu und wenn wir das nicht gleich aufgreifen, dann wird wahrscheinlich auch nichts passieren.“

Schritt für Schritt wurde in internen Gesprächen und Sitzungen der Weg geebnet für einen Aktionsplan. Mit der Aussage der Ministerpräsidentin: „Ja, wir erstellen einen Aktionsplan“, konnten die Betroffenen endgültig zu arbeiten beginnen.

Miles-Paul betonte, wie wichtig es ist, dass klar festgeschrieben ist, wer was wie umsetzt und zwar in jedem betroffenen Feld der Politik.

Zur Arbeit einer entstandenen Arbeitsgruppe erzählte der ehemalige Behindertenbeauftragte: „Und jetzt hatten wir das Glück, dass man von vorigen Prozessen schon erfahrene Leute hatte. Ja, dass man nicht alles von Anfang an wieder diskutieren muss und in diesen zwei Workshops, das werden Sie noch sehen, haben wir zum Beispiel die Visionen formuliert, die dann vom Land auch übernommen wurden.“

Wichtig waren auch Treffen mit Staatssekretären und -sekretärinnen, diese regeln und koordinieren viel, sind quasi die zweite Person hinter der Ministerpräsidentin.

Wiederum wurde im Vorhinein überlegt und entworfen. Acht bis fünfzehn erarbeitete Punkte, konnten den jeweiligen Ministerien für den Aktionsplan so vorgelegt werden. Gute Beispiele, wie etwa ein schon bestehendes Angebot von Gebärdensprache, die zur Barrierefreiheit beiträgt, im Museum ums Eck, durften dabei nicht fehlen.

„Wir hatten am Ende insgesamt zehn Punkte, wie gesagt, Arbeit, Wohnen, das Klassische, aber auch zum Beispiel Barrierefreiheit als großer Block, Mobilität und Interessenvertretung“, berichtete Miles-Paul.

Zum weiteren Geschehen erzählte er: „… wir haben einen sehr kritischen Staatsekretär gehabt, der war mit Rechtschreibung und Formulierung, da war immer der rote Stift im Spiel und bei diesen Visionen gab es keinen roten Strich, nichts, also die Landesregierung hat am Ende die vorgeschlagenen Visionen für die einzelnen Punkte sozusagen von den Verbänden übernommen. Und man denkt, steht auf dem Papier, aber als ich dann das erste Mal gemerkt hatte, wie der Ministerpräsident, die Minister oder irgendwelche Vertreterinnen und Vertreter des Landes dann immer die Visionen zitiert haben, bei Veranstaltungen, da dachte ich: oh, das hat sich gelohnt. Weil damit wird auch eine Botschaft gegeben.“

Inklusion von Anfang an und eine Reise nach Schweden

Der Slogan „Inklusion von Anfang an“ entstand mit der Zeit. Wie es in der Praxis funktioniert, wurde für die Ministerin, Vertreter und Vertreterinnen von Einrichtungen sowie Wohnbeiräte während einer Reise nach Schweden deutlich. Gezielt wurde angesehen, wie Einrichtungen verändert und neue gemeindenahe Wohnangebote geschaffen waren.

Miles-Paul und andere Aktivisten hatten den Fuß immer am Gaspedal, sie wollten den Aktionsplan rasch umsetzen und nicht warten, bis eine neue Landesregierung gewählt wird.

Ungefähr ein Jahr dauerte es, bis der Plan stand und durch den Ministerrat beschlossen wurde.

Für die Vorstellung des Aktionsplans wurde ein Staffelstab entworfen. Viele kleinere Modelle folgten, sie wurden mit den Worten verteilt:“ Hier ist ein Staffelstab und wenn man einen Staffelstab bekommt, dann heißt es, jetzt muss man loslegen, jetzt muss man was tun.“ So konnten viele Leute motiviert werden.

Miles-Paul berichtete dazu: „Um da einfach mal so ein paar Beispiele, was uns gelungen ist, rein zubekommen, ist lange nicht alles. Das ist der Aktionsplan der Landesregierung und nicht der Behindertenbewegung, aber es ist eine Menge, die wir mit rein bekommen konnten mit vereinten Kräften. Das ist immer ganz wichtig gewesen. Zum Beispiel, das klang heute schon so ein bisschen an, die Durchführung von Zukunftsprozessen zur Umwandlung von Behinderteneinrichtungen.“

Ein weiterer wichtiger Punkt war die Förderung der Nutzung des persönlichen Budgets. Als gutes Beispiel wurde auf die bestehenden 500 gezeigt. In Rheinland-Pfalz leben ca. 400.000 Menschen mit Behinderung.

Der personenzentrierte Gedanke war immer von großer Bedeutung im Laufe des Prozesses. Teilhabepläne in von Einrichtungen wurden weiterentwickelt. Miles-Paul dazu: „Was für den einen die persönliche Assistenz von 24 Stunden ist, die er oder sie braucht, ist für den anderen vielleicht, dass in der Woche mal jemand für eine Stunde vorbeikommt und guckt, oder was auszufüllen und dafür ist diese Teilhabeplanung enorm wichtig, dass die eben nicht nur von den Einrichtungen gemacht werden, für die Leute, die da wohnen, sondern dass das unabhängiger wird und auch im Sinne von ambulanten Struktur, dass, wenn es Knatsch mit den Nachbarn gibt, irgendwie da ein bisschen zu unterstützen.

Die Umsetzung des Aktionsplans erforderte von vielen Menschen ein Umdenken, dieses anzuregen hat viel Energie gekostet und war harte Arbeit, wie in folgendem Statement deutlich wird: „Aber ich sag mal der Kern der Sache, was auch für persönliche Assistenz unheimlich wichtig ist, ist, dass sozusagen genau dieser Ansatz unterstützt wird, dass man seine Hilfen auch selber organisieren können und vor allem so, dass es auch für einen passt. Und das hat uns Energie gekostet so manche Maßnahmen da mit aufzunehmen, denn man muss die einzelnen Leute überzeugen.“

Wie wichtig dabei positive Beispiele von konkreten Personen sind, betont der Vortragende öfters, denn ein Aktionsplan ist oft abstrakt und kompliziert. Mit Beispielen kann der Plan gut gefüllt werden und sie zeigen immer wieder, wie ein selbstbestimmtes Leben für viele Personen Realität werden kann.

Zu seinen Aufgaben zurückkommend, war von dem langjährigen Aktivisten zu hören: „Meine Aufgabe bestand natürlich auch darin, Druck zu machen, dass was passiert und die Leute mitzunehmen, aber ganz viel auch zu loben. Wenn ich irgendwo mitgekriegt habe, dass irgendein Ministerium was Gutes gemacht hat, habe ich einfach mal schnell eine E-Mail geschrieben, an die Mitarbeiterin, La-Ola-Welle im Sozialministerium oder irgendwie sowas. Die brauchen auch Anerkennung.“

Zum Ende hin wurde hervorgehoben, wie wichtig und bereichernd es wäre, wenn verschiedene Akteure (Kirche, Verbände, Interessensvertretungen) praktisch und ohne Umwege in kleinen Schritten anfangen, für sich die UN-Behindertenrechtskonvetion umzusetzen. Sie brauchen nicht zu warten.

Zum Punkt Bildung, der auch leichte Sprache als Thema beinhaltet, hörte das interessierte Publikum folgende Geschichte: „Wir haben, nachdem der Aktionsplan fertig war, haben wir sozusagen den Aktionsplan gemacht und dann haben wir gesagt, das muss auch in der Zusammenfassung zumindest in leichter Sprache, muss das kommen. Wir hatten das erst in zwei verschiedenen Formaten und dann kamen die an von der Pressestelle und sagten: Moment, das ist eigentlich nicht richtig. Dann hat der eine nur das eine und dann haben die gesagt, wir machen einen ganz neuen Druck und machen das so. Und da habe ich gemerkt, da hat man die im Boot, weil damit haben die mitgedacht und waren auch aktiv. Also deshalb gibt’s da auch eine Zusammenfassung in leichter Sprache und ich kann Ihnen sagen, die meisten fangen an der Stelle an zu lesen.“

Zusammenfassend hält Miles-Paul noch fest:“Ich habe das Ganze jetzt sehr positiv geschildert und es war auch, es war richtig Aufbruch und es ist, denke ich, jetzt auch immer noch, aber man arbeitet unheimlich hart dafür. Man löst damit leider nicht alle Probleme, aber ich glaube, was wichtig ist, ist dass man sich auf den Weg macht.“

Der Aktionsplan von Rheinland-Pfalz und viele Informationen dazu können auf der Website www.un-konvention.rlp.de angesehen werden.

Über die Veranstaltung

Der Kongress zur Persönlichen Assistenz am 18. und 19. April 2013 in Wien wurde von BIZEPS-Zentrum für Selbstbestimmtes Leben organisiert und vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gefördert. Fotos vom Kongress sind auf Flickr zu sehen. Hier finden Sie die Liste aller Vorträge.

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