Folge 12: Ich glaube, Normalität ist heilbar – Die Gute Nachricht zum Jahresanfang!

Rollend, rasant und rabiat durch Wien und den Rest der Welt

Symbolbild: Ronja Rollerbraut

Heute möchte ich euch von einem besonderen Ereignis berichten, eines von drei sehr ähnlichen, die sich in meinem Alltag in den letzten drei, vier Monaten zugetragen haben.

Ich schlenderte im Rollstuhl an Büchertischen einer großen Buchhandlung vorbei. Da gab es einerseits sehr preisgünstige Angebote aufgrund von leichten Beschädigungen. Wenn man Glück hat, findet man ab und zu auch einmal ein echtes Schnäppchen. Ein vergriffenes Buch, das man schon lange gesucht hat oder ein Buch zu einem Spezialthema, das einen eben in besonderem Maße interessiert.

Andererseits ist es einfach ulkig und entspannend, in den ganz unterschiedlichen Büchern zu stöbern und dabei zu so mancher Erkenntnis zu gelangen. Sei es die Kurzlebigkeit von Themen bzw. das rasante Fortschreiten der Zeit oder ein bisher nicht bedachtee Aspekt eines Themas.

Eine Schatzsuche macht neugierig!

Ganz in diese Tätigkeit versunken, wurde ich plötzlich von zwei Frauen angesprochen. Sie machten einen sehr seriösen Eindruck, gaben sich sehr freundlich und waren allem Anschein nach nicht behindert. Sie fragten mich, ob ich etwas Zeit hatte, denn sie würden an einer Schatzsuche teilnehmen und bräuchten Hilfe.

Die eine Frau, die hauptsächlich das Wort führte, machte einen aufgeregten Eindruck. Nun, ich hatte Zeit, hatte zwar schon eine leise Ahnung aufgrund ähnlicher Erlebnisse, aber beschloss für mich, dass ich auf dieses Gespräch zunächst eingehen will.

Eine ihrer Aufgaben bei der Schatzsuche, sei es, etwas Gutes zu tun. Etwas wirklich Gutes. Ich könne ihnen helfen, indem ich ihnen einen persönlichen Wunsch mitteile. Diesen wollen sie auch erfüllen. „Das könnte interessant werden“, dachte ich mir und hörte weiter zu. Plötzlich fragte sie mich, warum ich im Rollstuhl sitze. Eigentlich hasse ich solche Situationen, in denen mich wildfremde Personen in der Öffentlichkeit ansprechen und an meiner Story teilhaben möchten.

Doch ich wollte wissen, wie es weitergeht. Ich gab ihr die Information (seltene, genetisch-bedingte Muskelerkrankung). Und dann kam sie endlich zur Sache: Sie könnten doch für mich beten. Beten, dass ich geheilt werde, von meiner Erkrankung. Es kann doch ein Wunder geschehen und ich könne wieder gehen. Gott kann Wunder bewirken und sicher auch dieses.

Eine neue Erkenntnis!

„Na, das ist ja wirklich stark“, dachte ich mir und musste mir ein Lächeln verkneifen. „Nein, ich möchte nicht, dass Sie für mich beten“, war meine Antwort, und: „Nicht meine Krankheit und Behinderung sind das Problem, sondern die Barrieren meiner mehr oder weniger gesunden Mitmenschen. Bitte beten Sie für diese Menschen. Denn sie haben ein Problem mit dem Thema. Sie behindern uns. Barrieren in den Köpfen, Barrieren überall im Alltag. Wenn diese ‚gesunden‘, ’normalen‘ Menschen endlich zur der Einsicht kommen, dass Krankheit und Behinderung ganz einfach zum Leben dazugehören, dann, ja dann geht es auch uns behinderten Menschen besser. So können Sie etwas Gutes tun.“

Verdutzt schauten mich die beiden Frauen an und wussten zunächst gar nicht, was sie darauf erwidern sollen. Sie wünschten mir noch schnell alles Gute für meine Zukunft und verabschiedeten sich. „Hoffentlich nehmen sie meinen Wunsch auch wirklich in ihre Gebete auf“, dachte ich mir und wandte mich wieder den Flohmarktbüchern zu.

Mein Fazit

Nein, ich möchte keine religiösen Gefühle anderer verletzten. Auch wenn ich persönlich keiner Religionsgemeinschaft angehöre, finde ich ein weltanschauliches Fundament gut, wenn es für ein friedliches Miteinander, gegenseitigen Respekt und gewisse menschliche Grundwerte steht.

Die Art der geschilderten Kontaktaufnahme, die ich genau so erlebt habe, finde ich mehr als grenzwertig. Ich habe, wie gesagt, seit letztem Herbst einige ähnliche Situationen erlebt. Welche religiöse Bewegung, „Sekte“ oder Kirche auch dahinter stecken mag, diese Methode und Masche ist übergriffig. Wenn eine religiöse Anmache, dann bitte gleich und nicht verdeckt. Und gleich am Anfang muss klar sein, wer dahinter steckt.

Und solche Situationen veranlassen mich, auch grundsätzlich über das Verhältnis „Religion/Kirche(n) und behinderte Menschen“ nachzudenken.

Warum gibt es kein lautes und klares Bekenntnis der etablierten Kirchen/Religionsgemeinschaften zur Integration und Inklusion von behinderten Menschen?

Warum wird bei ihren Räumlichkeiten/Gotteshäusern nicht viel mehr Wert auf Barrierefreiheit gelegt?

Warum halten die meisten von ihnen noch immer an total veralteten Anschauungen über Krankheit und Behinderung krampfhaft fest?

Wir behinderte Menschen brauchen keine kirchlichen Almosen und kein Mitleid, wir wollen nicht instrumentalisiert oder in ein System eingeordnet / gezwängt werden.

Wir haben Rechte! Wir möchten Respekt und einen Dialog auf Augenhöhe. Wir möchten volle Inklusion. Auch in diesem Bereich. „Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein ganz „normaler“ Mensch ins Himmelreich kommt.“ – Oder habe ich da im Religionsunterricht nicht gut aufgepasst?!

Was ich auf jeden Fall glaube: NORMALITÄT IST HEILBAR. Es ist ein mühsamer Weg. Dieser kann lange dauern. Aber zuletzt werden wir behinderte Menschen „… die Ersten sein“.

Bis bald, eure Ronja.

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