Österr. Gehörlosenbund: Barrieren im Bildungssystem für gehörlose Menschen nach wie vor enorm

21. Februar: Tag der Muttersprache: Förderung in Gebärdensprache für gehörlose Kinder muss im Kindergarten beginnen

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Österrreichischer Gehörlosenbund

„Der Tag der Muttersprache erinnert mich an ‚täglich grüßt das Murmeltier‘, wir fordern jedes Jahr das Gleiche – nämlich die Umsetzung des Menschenrechts auf bilingualen Unterricht in Gebärdensprache“, stellt Mag. Helene Jarmer, Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes, fest. Es gibt kaum gehörlose PädagogInnen – dabei ist es gerade in der Frühförderung so wichtig, bilinguale Angebote zu setzen. „Denn Zweisprachigkeit ist die Grundvoraussetzung für die Chancengleichheit gehörloser Kinder und Jugendlicher“, so Jarmer.

„Es ist ein Skandal – bereits seit 2005 ist die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) als eigenständige Sprache in der Verfassung verankert. Aber an der miserablen Bildungssituation für gehörlose Menschen hat sich in den letzten neun Jahren nichts geändert“, empört sich Jarmer. Es gibt keine inhaltlichen Reformen, es fehlt ein Lehrplan für bilingualen Unterricht und auch das Unterrichtsfach ÖGS existiert nicht. “ Man muss sich das vorstellen – nicht einmal an Gehörlosenschulen wird ÖGS unterrichtet. Und von flächendeckender bilingualer Förderung in Kindergärten ist man ebenfalls weit entfernt“, erklärt Jarmer.

In Österreich gibt es rund 10.000 gehörlose Menschen, deren Muttersprache die ÖGS ist. Im Gegensatz zur deutschen Laut- und Schriftsprache ist ÖGS für gehörlose Menschen die einzige Sprache, in der sie sich vollständig und barrierefrei ausdrücken können. „Daher ist es auch so wichtig, dass gehörlose Kinder bereits im Kindergarten von gebärdensprachkompetenten Personen betreut werden. Das ist die Basis für die weitere Bildungslaufbahn“, erklärt Jarmer.

Doch an eben dieser Basis scheitert es.  Der Kindergarten Gussenbauergasse in Wien ist der einzige öffentliche Kindergarten, der ein vorbildliches bilinguales Betreuungsmodell anbietet. In den anderen Bundesländern sieht es nicht viel anders aus. Seitens der Kindergärten ist durchaus Interesse vorhanden, gehörlose PädagogInnen einzustellen, weiß Gabriele Koppensteiner, Leiterin des Kindergartens Gussenbauergasser: „Aber es ist extrem schwierig, qualifiziertes gehörloses Personal zu finden.“

Die Gründe dafür kennt Karin Lang nur zu gut. Sie absolvierte nach der Matura ein 4-semestriges Kolleg in Wien und ist derzeit die einzige von der Stadt Wien beschäftigte gehörlose Kindergartenpädagogin: „Es gibt viele gehörlose Menschen, die gerne eine derartige Ausbildung machen würden, die meisten scheitern schon am Aufnahmeprozedere. Ich hab kämpfen müssen, dass ich aufgenommen werde, unzählige Briefe geschrieben, bürokratische Hürden überwinden müssen. Meine Eltern haben mich sehr unterstützt, schließlich hat man mich für ein halbes Jahr als außerordentliche Studierende aufgenommen und dann übernommen.“

Vielfach sind die pädagogischen Institutionen nicht vorbereitet auf die Aufnahme gehörloser InteressentInnen. Da gibt es Nachholbedarf erklärt Helene Jarmer. „Gerade wieder ist uns ein bedauerlicher Fall bekannt worden – eine junge gehörlose Frau bewarb sich für den Lehrgang zur interkulturellen Mitarbeiterin in Kindergärten bei der Landesakademie Niederösterreich. Nach einem positiv verlaufenen Bewerbungsgespräch erhielt sie monatelang keine Information, ob sie nun aufgenommen würde oder nicht. Und das trotz mehrfacher Urgenzen ihrerseits. Mittlerweile ist der Lehrgang beinahe schon im zweiten Semester und sie weiß immer noch nicht Bescheid – das ist auch eine Form von Diskriminierung“, berichtet Jarmer.

Die Forderungen liegen auf der Hand, so Jarmer weiter, es brauche bilinguale Kindergärten in allen Bundesländern, entsprechende pädagogische Materialien in Österreichischer Gebärdensprache und – essentiell für die sprachliche Vorbildwirkung – qualifizierte KindergartenpädagogInnen, die selbst gehörlos sind.

„Es kann nicht sein, dass gehörlose Menschen der miserablen Bildungssituation ausgeliefert sind. Sie haben genauso ein Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft wie andere StaatsbürgerInnen auch“, stellt Helene Jarmer klar.

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