Das Israelitische Blindeninstitut in Wien

Ein Festakt am "Tag des weißen Stockes" - 15.10.2002 - zum Gedenken.

Bereits 1869 wurde ein Fonds zur Errichtung des Israelitischen Blindeninstitutes ins Leben gerufen. Das Institut wurde dann – auf Initiative von Ludwig August Frankl – vom Bankier Baron Jonas Freiherr von Königswarter gestiftet und 1871-1872 vom Architekten Wilhelm Stiassny erbaut.

Heute beherbergt es das Bezirkspolizeikommissariat Döbling.

Das Israelitische Blindeninstitut befand sich von 1872-1938 an eben dieser Adresse – Hohe Warte 32 in Döbling – und durchlebte dort eine wechselvolle Geschichte.

Zum Gedenken an dieses Institut veranstaltete die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs am 15. Oktober 2002 – dem weltweiten Tag des weißen Stockes – im ehemaligen Institutsgebäude eine feierliche Enthüllung einer Gedenktafel in Form eines kolorierten Holzstiches mit der Ansicht des Institutsgebäudes. Die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen verbindet mit dem Israelitischen Blindeninstitut der Vater der Selbsthilfeorganisation, Prof. Robert Vogel (gestorben 2001), der als selbst blinder Jugendlicher seinen Unterricht im Israelitischen Blindeninstitut auf der Hohen Warte bekam und über diese prägende Zeit in seiner Autobiographie „Die gewonnene Schlacht“ erzählt.

Als Ehrengäste konnte insbesondere die 2. Präsidentin des Wiener Landtages, Gemeinderätin Prof. Erika Stubenvoll, der Bezirksvorsteher von Döbling, Adolf Tiller, Prof. Herbert Exenberger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes sowie Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde, des Bundes-Blindenerziehungsinstitutes Wien und des Vereines Blickkontakt begrüßt werden. Die musikalische Umrahmung kam vom „K & K Vierteloktett“, Ulli und Michael Krispl, das mit jiddischer Folklore erfreute.

Prof. Exenberger beleuchtete im Rahmen des Festaktes die Geschichte des Israelitischen Blindeninstitutes: Auf einem 6000 m2 großen Grundstück wurde ein dreistöckiges Institutsgebäude mit Internatsräumen für rund 20 Mädchen und 30 Buben geschaffen. Neben dem Schulunterricht wurden auch Berufsausbildungen für Bürstenbinderei und Seilerei angeboten. Im Jänner 1873 begann der Unterricht am Israelitischen Blindeninstitut mit 13 blinden Schülern unter dem Oberlehrer Leopold Österreicher. Auf Leopold Österreicher folgten Simon Heller (1873-1922), der Modellieren und Zeichnen in den Lehrplan aufnahm und Prof. Siegfried Altmann (1922-1938), der Massiv die Selbsthilfeorganisation der jüdischen blinden Menschen förderte und die Integration blinder Menschen in alternative Berufsbereiche (Stenotypie, Juristerei, Philosophie, Fremdsprachenkorrespondenz …) initiierte, als Direktoren des Blindeninstitutes. 1933 wurden auch die deutschen blinden jüdischen Schüler von Berlin nach Wien verlegt. 1938 wurde der fortschrittlichen und innovativen Blindenbildungsanstalt durch die Naziherrschaft ein jähes Ende gesetzt und die jüdischen Selbsthilfeorganisationen dem reichsdeutschen Blindenverband einverleibt. Im Juni 1939 erging schließlich der Bescheid zur Auflösung des Institutes.

Mit August 1939 begann die Unterbringung von mittellosen behinderten und alten jüdischen Personen in dem ehemaligen Schulgebäude; dieses Alters- und Behindertenwohnheim wird jedoch im Juli 1942 aufgelöst und die Mehrzahl der Bewohner in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Damit wurden die Bewohner und Schüler des Israelitischen Blindeninstitutes zum überwiegenden Teil Todesopfer des Naziregimes. Prof. Robert Vogel war der letzte Überlebende Schüler des Institutes, der aus all diesen Erlebnissen und Torturen des Naziregimes seine Kraft für eine der größten Selbsthilfebewegungen sehbehinderter und blinder Menschen in Österreich gewann, die seine Nachfahren, allen voran Direktor Heinz Vogel, sehr bewusst fortführen.

Prof. Erika Stubenvoll (SPÖ) betonte in ihrer Rede besonders, dass sie sich vor all den Menschen, die dieses Institut geschaffen, die in ihm unterrichtet haben und die durch den Unterricht in diesem Institut zu selbstbewussten Menschen wurden, die dann Opfer der Theorie des „unwürdigen Lebens“ des dritten Reiches wurden, verneige. Die fortschrittliche Blindenbildung des Israelitischen Blindeninstitutes, so Stubenvoll, sollte für uns alle ein Auftrag sein, dass wir derartige Einrichtungen brauchen und uns massiv für die Anliegen behinderter Menschen in dieser Stadt einsetzen müssen. „Mögen die Gräuel des Naziregimes und das Wissen, wie man damals mit behinderten Menschen umgegangen ist, für uns alle als immerwährende Mahnung dienen, um nie wieder solche Grausamkeiten und Erniedrigungen für behinderte Menschen in unserer Gesellschaft entstehen zu lassen!“, so Stubenvoll.

Die Eindrucksvollen Schilderungen des Engagements der – zumeist selbst blinden – Lehrer und der blinden Schüler des Israelitischen Blindeninstituts nimmt der Verein Blickkontakt zum Anlass, an alle behinderten Menschen in Österreich zu appellieren, sich aktiv – je nach ihren Möglichkeiten – für Chancengleichheit und Gleichberechtigung behinderter Menschen in unserer Gesellschaft einzusetzen. Nur eine engagierte und umfassende Selbsthilfebewegung behinderter Menschen kann vor benachteiligungen, Diskriminierungen und Entmündigungen schützen und eine gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens sichern. deshalb kommt es auch nicht von ungefähr, dass der Verein Blickkontakt eben am 15. Oktober 2002, dem Tag des weißen Stockes, unmittelbar nach dem Festakt durch eine Fahrt mit einem Lautsprecherwagen durch die Wiener Innenstadt unter dem Motto „Aktionstag gegen Behindertendiskriminierungen in Österreich“ einen lautstarken und selbstbewussten Appell der Selbsthilfebewegung sehbehinderter und blinder Menschen gegen Diskriminierung und für ein Behindertengleichstellungsgesetz in die Bevölkerung trug.

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