Was Conchita Wurst mit behinderten Menschen verbindet. Warum das auch gut ist.

Conchita Wurst (alias Thomas Neuwirth) gewann am 10. Mai 2014 mit dem Titel "Rise Like a Phoenix" den 59. Eurovision Song Contest als Österreichs Vertreterin in einem äußerst spannenden Finale mit eindeutigem Ergebnis.

Conchita Wurst
Paz Stammler Photography

Bereits im Vorfeld gab es eine breite zum Teil heftig geführte mediale und gesellschaftliche Diskussion über Conchita Wurst und ihre Teilnahme am Contest.

Eine Dame mit aufgemaltem Bart, eine glamouröse Diva, eine Kunstfigur, ein Travestiekünstler, … ja darf das denn sein? Und was hat das überhaupt hier im behindertenpolitischen Kontext verloren?

Worum es eigentlich geht – die Botschaft von Conchita Wurst

Am besten ist, wir lassen Conchita Wurst selbst zu Wort kommen. Auf ihrer Homepage schreibt sie:

Conchita verdankt ihre Geburt dem Umstand, dass Tom Zeit seines Lebens mit Diskriminierung zu kämpfen hatte. Also schuf er eine Frau mit Bart. Als auffälliges Statement. Als Katalysator für Diskussionen über Begriffe wie „anders“ oder „normal“. Als Ventil, mit dem er seine Botschaft unübersehbar und unüberhörbar in alle Welt tragen will. Aussehen, Geschlecht und Herkunft sind nämlich völlig WURST, wenn es um die Würde und Freiheit des Einzelnen geht. ‚Einzig und allein der Mensch zählt‘, sagt Tom/Conchita, ‚jeder soll sein Leben so leben dürfen, wie er es für richtig hält, solange niemand zu Schaden kommt.‘

Conchita Wurst wird vor allem mit der schwul-lesbisch-transgender Community in Zusammenhang gebracht. Auch heute noch werden in Österreich homosexuell lebende Menschen ausgegrenzt und im Alltags- und Berufsleben diskriminiert. Auf der Straße aufgrund äußerer Merkmale oder dem Umstand, dass sie z.B. untereinander Zärtlichkeiten austauschen, noch immer angefeindet. Sie bekommen immer noch blöde Sprüche zu hören. Das kann auch bis zu Beschimpfungen bzw. zu gewalttätigen Übergriffen führen.

Was uns eint, das ist die Diskriminierung

Auch behinderte Menschen kennen Diskriminierungen, Ausgrenzung und Anfeindung zur Genüge. Denn auch sie fallen durch äußere Merkmale (z.B. Rollstuhl, Blindenstock) auf. Auch sie bringen die von der Gesellschaft geprägten Normen und Ideale durcheinander.

Mit Vorurteilen, Diskriminierung und Abwehrmechanismen begegnet die Mehrheitsgesellschaft den meisten Minderheiten. Sei es homosexuellen Menschen, sei es Menschen mit Transidentität, sei es Migranten und Migrantinnen aufgrund ihrer Erscheinung und anderer Kultur/Religion/Weltanschauung, oder sei es behinderten Menschen. Die aufgezählten Minderheiten haben miteinander scheinbar oft gar nichts oder wenig gemeinsam.

Im Gegenteil: Obwohl sie auch zu einer Minderheit gehören, diskriminieren sie selbst andere Minderheiten. Mit dem Rollstuhl und mit von der Norm abweichenden Körpermerkmalen tut frau/mann/man sich in der schwul-lesbischen Szene schon sehr schwer. Viele behinderte Menschen in Österreich grenzen sich stark von Migranten und Migrantinnen ab. Und ein sicherlich sehr großer Teil von Muslimen kann mit einer Conchita Wurst nicht wirklich etwas anfangen. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Nachdenkliches über den Conchita-Hype

Die offizielle Facebook-Seite von Conchita Wurst hatte am Samstag kurz vor dem Voting ca. 120.000 „Gefällt mir“-Bekundungen. Sekunden und Minuten nachdem Conchita als Siegerin feststand, sprang die Zahl in 1.000-Schritten auf über 266.000. Mittlerweile Stand Sonntag 23.00 Uhr: über 436.000. Das ist einerseits natürlich erfreulich. Der Auftritt und Sieg von Conchita Wurst hat eine nationale wie internationale Begeisterung ausgelöst.

Andererseits: Warum hat erst der Sieg (sprich: „Leistung“) von Conchita zu dieser Steigerung geführt? Warum haben sich nicht schon vorher mehr Menschen zu Conchita bekannt? Aus Angst, was Bekannte darüber denken könnten? Oder aus Berechnung: Mal abwarten, und wenn es alle klasse finden, dann spring ich mit auf den Zug? Und was wäre, wenn sie nur auf Platz 2 oder Platz 10 oder Platz 24 gelandet wäre?

Nachdenklich stimmen mich z.B. auch die vielen konträren Postings und Äußerungen. Klar, Conchita Wurst polarisiert, ob sie will oder nicht. Aber wenn als Posting auf der Homepage einer österreichischen Tageszeitung dann sinngemäß folgendes zu lesen ist: Super Conchita. Jetzt können sich die konservativen Moslems zusammenpacken und von Österreich verschwinden; dann ist das meiner Meinung nach sehr bedenklich.

Minderheiten dürfen nicht in einer Wertung gereiht oder gegeneinander ausgespielt werden. Die Gefahr dafür ist in der Politik und Gesellschaft jedoch stets gegeben. Minderheiten sollten sich auch nicht untereinander bekämpfen. Das Andere akzeptieren lernen, ohne das Eigene aufgeben zu müssen.

Zumindest erwähnen möchte ich das Phänomen der Mehrfachbetroffenheit und somit Mehrfachdiskriminierung. Das heißt zum Beispiel: Ein behinderter Migrant oder ein schwuler Moslem oder eine lesbische sehbehinderte Frau. Diese Menschen haben es in Beruf und Alltag oft doppelt schwer. Diskriminiert von der Mehrheitsgesellschaft, abgelehnt und angefeindet von den eigenen Communities. A‘ la „Jetzt sitzt er ohnehin schon im Rollstuhl, und dann auch noch schwul!“ Folgender Gedanke ist mir in den letzten Tagen gekommen: Was wäre gewesen, wenn Conchita Wurst in ihrer glamourösen Erscheinung noch zusätzlich eine sichtbare Behinderung gehabt hätte? Eine echte Diva im Rollstuhl zum Beispiel.

Der Tag danach. Visionen heute leben

Wie es auch immer mit Conchita, der „Queen of Austria“, der „Queen of Europe“ weitergeht, ihr Auftritt kann eine Sternstunde gewesen sein. Ein Anstoß für uns alle, das Andere nicht nur zu tolerieren, sondern vielmehr zu akzeptieren, Vielfalt zuzulassen, Inklusion wirklich zu leben. Im Alltag über Schatten springen. Aufeinander zu gehen. Fremdes und Neues kennenlernen. Oft mit der Aussicht auf eine bereichernde Erfahrung/Erkenntnis. Der Schlüssel dazu: Selbst diese Haltung vorleben und umsetzen. Das erfordert von uns jedoch die Bereitschaft und Fähigkeit zu differenzieren, Spannungen auszuhalten.

Die inklusive lebenslange Bildung ist hier ebenfalls ein Grundpfeiler. So hat mich der Umstand, dass Conchita Wurst die Aktion „Licht ins Dunkel“ unterstützt hat, schon etwas geschmerzt. Auch behindertes Leben ist buntes Leben, gehört zur Vielfalt, verdient Anerkennung und Respekt und hat Rechte wie jedes andere auch.

Ich möchte die grundsätzliche Haltung von Conchita Wurst aufgreifen und auch für unseren Kampf gegen Diskriminierung und für Vielfalt verwenden: Wir sind behindert und das ist gut so. Und wir werden solange kämpfen, bis der letzte Paragraph der UN-Konvention und somit Inklusion umgesetzt ist, denn “ … we are unstoppable“!

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