Blindverkostung

Amy Dixon liebt Wein, Elvis und Brasilien. Ihre sportlichen Leistungen sind genauso beeindruckend wie ihr Weinwissen und ihr Geruchssinn.

Weinverkostung durch Amy Dixon
Lord, Kate

Wenn zu führen, dann tut er das. Ohne zu zögern, ohne zu murren und ohne mit ihr über ihre Weinauswahl zu diskutieren. Denn Elvis ist ein Blindenhund, und bei Wein kennt er sich aus. So wie Amy, die sich selbst „The Blind Sommelier“ nennt.

Sie ist eine von nur wenigen Betroffenen in den Vereinigten Staaten, denen eine besondere Kombination aus einer Autoimmunerkrankung und einer Uveitis (komplizierte Augenentzündung) langsam das Augenlicht nahm.

Schon während ihrer College-Jahre begann sie sich für Wein zu interessieren. Das lag jedoch nicht nur am edlen Tropfen selbst, sondern auch an ihrem deutschen Freund aus Kerpen. Gemeinsam mit ihm reiste sie in den Rheingau, ins Elsass und nach Burgund.

Von damals geblieben ist jedoch nur eine Liebe – die zum Wein. Sie entschloss sich, diese Berufung zum Beruf zu machen: „Ich arbeitete in einem Restaurant als Sommelière. Doch irgendwann konnte ich am Abend bei dämmrigem Licht, das in so einem Lokal wichtig für die Atmosphäre ist, einfach nichts mehr sehen. Ich hatte Unfälle ohne Ende. Also musste ich mir etwas überlegen, um in diesem Metier weiter tätig sein zu können“, erzählt Amy Dixon lachend. „Ich wurde einfach Weinhändlerin! Da muss man sich nicht spät nachts mit dem Auto auf den Heimweg machen, und schummriges Licht ist auch nicht nötig.“

Wein braucht keine Augen

Wenn Weinkenner in aller Welt ihre Gläser gegen eine Lichtquelle halten, um in blumigen Worten die Farbe von Rioja, Chardonnay und Burgunder zu beurteilen, ist Amy Dixon ihnen bereits um eine Nasenlänge voraus.

„Farbe ist nur ein Indikator für Alter, Eichenfässer oder Extrakt. Dass ich die Farbe nicht beurteilen kann, hindert mich in keiner Weise, den Wein zu bewerten. Der Geruch, die Blume des Weines sind vorrangig und meine Nase ausgezeichnet!“, sagt sie bestimmt. „Ich kann, auch ohne zu sehen, Weine verkosten, und – Sie werden staunen – mit einer neunzigprozentigen Trefferquote die Rebsorte, das Anbaugebiet und den Jahrgang erkennen.“

Wettbewerbsmäßige Blindverkostungen, wie sie heute in Mode sind, hält sie für eine gute Schulung des Gaumens und des Geruchssinns, aber nicht für eine Notwendigkeit, um zum Weinkenner zu avancieren. Amy Dixon schreibt regelmäßig Wein-Blogs und ist Motivationsvortragende für „Guiding Eyes“, eine Organisation für Blindenführhunde.

„Diese Arbeit für die Organisation ist sehr wichtig für mich, denn ich kann zurückgeben, was ich bekommen habe. Ich kann den Menschen, die ebenfalls blind sind, Mut machen und ihnen zeigen, dass es viele Möglichkeiten im Leben gibt, auch wenn man eine Behinderung hat. Nur weil man eine Herausforderung im Leben bekommt, heißt das nicht, dass es keinen Weg gibt! Passe die Challenge einfach an das Leben an!“ So wie Amy selbst es getan hat. Für kurze Zeit benutzte sie einen Blindenstock zur Orientierung.

„Menschen hatten deswegen Mitleid mit mir, und ich will keine Sympathie, nur weil ich blind bin. Ich selbst hatte beispielsweise noch nie Mitleid mit mir. Und der Stock beschützt einen auch nicht vor Autos und Überkopf-Hindernissen!“, erzählt sie. „Bevor ich meinen Blindenhund hatte, bin ich an ein herabhängendes Metallschild gelaufen, samt Verletzung an der Stirn. Ein anderes Mal war es ein Hybrid-SUV. Diese Autos hört man nicht, denn die machen keine Geräusche. Ich habe dann beschlossen, den unsinnigen Blindenstock gegen einen wunderbaren Blindenhund zu tauschen!“

In love with Elvis

Um ihr den Alltag im Weinkeller zu erleichtern, hat sie ihren semmelfarbenen Labrador Elvis zwar nicht das Verkosten, aber zumindest das Auffinden der Weine gelehrt. „Blindenhunde sind darauf trainiert, Orte, die man immer wieder besucht, oder bestimmte Stellen zu finden. Es ist sehr einfach für sie, Worte mit Plätzen zu assoziieren. Man belohnt sie mit Leckereien oder speziellen Liebesbekundungen, wenn sie etwas wiederfinden. Das wiederholt man einfach. Spätestens beim dritten Mal erinnert sich so ein Hund an jeden Platz. Auch an das Rioja-Regal!“, sagt sie lachend.

Elvis war auch Inspiration für ein Gastronomie-Konzept in ihrer Lade, doch das liegt zurzeit auf Eis. Denn Amy Dixon möchte sich auf ihre zweite Karriere konzentrieren. „Mein Leben als Para-Triathletin und Vortragende und regelmäßige Augenoperationen haben die Umsetzung des Restaurantkonzepts bis dato verhindert. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.“

Rio de Janeiro 2016

Neben ihrer späteren Liebe zum edlen Tropfen hatte der Sport bereits in ihren Kindertagen großen Stellenwert. „Ich bin auf einer Farm mit Pferden groß geworden, bin geritten und habe die Tiere auch trainiert. Und mit fünf Jahren habe ich meine ersten Schwimmwettbewerbe absolviert! Ach ja, und ich spielte meine gesamte Schulzeit Fußball und Tennis“, erzählt die begeisterte Sportlerin.

„Während ich als Weinhändlerin bei ›Boisset America‹ gearbeitet habe, bin ich für ein paar Jahre wieder auf das Trainieren von Pferden zurückgekommen. Und jetzt? Jetzt bin ich stolzes Mitglied des US Paratriathlon-Teams und bestreite internationale Wettkämpfe!“ Erst kürzlich war sie Teilnehmerin der Weltmeisterschaft der Paratriathleten und ist nun in der Weltrangliste auf dem sensationellen achten Platz gereiht. Ihr großes sportliches Ziel ist jedoch eine Medaille bei den Paralympics 2016 in Rio de Janeiro.

Und was sagt eine der besten weiblichen Sommelières der Welt zum Weinland Österreich? „Ich LIEBE Grünen Veltliner! Es gibt fabelhafte österreichische Weine, die von Thierry Thiese in die USA importiert werden. Diese Weine sind so ausdrucksstark, und ich liebe ihre Reinheit und Eleganz!“ Noch eine Empfehlung für die VALIDleben-Weinkennerschaft, bitte!

„Ich habe nie Lieblingsweine. Das wechselt täglich“, sagt sie verschmitzt. „Aber im Augenblick bin ich von den Rotweinen aus Chinon und Saumur im Loire-Tal begeistert. Sie sind frisch, lebendig und anregend.“ Danke für den Tipp, Prost und viel Glück in Rio!

Dieser Artikel von Michaela Golla erschien im Herbst 2014 in VALIDleben 06.

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