Justizminister Böhmdorfer hält an Behindertendiskriminierungen in seinem Ressort fest!

"Es muss um Verständnis dafür ersucht werden, dass Blindheit die Ausübung des Richterberufes faktisch und rechtlich unmöglich macht."

Dieter Böhmdorfer
Bundespressedienst

Nun ist sie endlich da, die heiß ersehnte Antwort des Herrn Bundesministers Dr. Dieter Böhmdorfer auf den offenen Brief des Vereines Blickkontakt vom 28. September 2002 betreffend den Ausschluss hochgradig sehbehinderter und blinder JuristInnen vom Richterberuf in Österreich; doch die darin geäußerten Positionen des Justizressorts stellen eine klare Absage an die längst nötige Behindertengleichstellung im Bereich der österreichischen Justiz dar: „Es muss um Verständnis dafür ersucht werden, dass Blindheit die Ausübung des Richterberufes faktisch und rechtlich unmöglich macht“, so Bundesminister Böhmdorfer im Schlussresume seines Antwortbriefes zu diesem, wie er schreibt, für die Gerichtsbarkeit bedeutenden Thema.

Das Justizressort definiert Behindertendiskriminierung offenbar in einer sehr eigenwilligen Weise; so versichert der Herr Justizminister einerseits, dass dem Justizministerium jede Form von Diskriminierung, und insbesondere die Diskriminierung behinderter Mitmenschen, fern liege, was aus der Sicht des Justizressorts offenbar durch die stetig steigende Zahl behinderter Mitarbeiter dokumentiert werden dürfte (laut Presseaussendung des BMJ vom 26.9.2002 sind das MitarbeiterInnen im Kanzlei- und Telefondienst); doch andererseits fänden diese Bemühungen, so der Herr Justizminister, dort ihre Grenze, wo eine Beschäftigung aus „faktischen Gründen rechtlich unmöglich sei“.

So lautet die Entscheidung des Herrn Justizministers: „Es muss um Verständnis dafür ersucht werden, dass Blindheit die Ausübung des Richterberufes faktisch und rechtlich unmöglich macht.“ Beweis wurde in diesem Verfahren „Sehbehinderte und Blinde JuristInnen gegen die Republik Österreich“ erhoben durch die eigene Fachkunde des BMJ betreffend die berufliche Praxis hochgradig sehbehinderter und blinder Menschen, die Zeugenaussagen des Vereines Blickkontakt – der Interessensgemeinschaft sehender, sehbehinderter und blinder Menschen -, die Zeugenaussagen von noch amtierenden oder ehemaligen blinden Richtern aus Deutschland sowie die Parteienaussage einer blinden kärntner Juristin. Doch leider bezog sich die Beweiswürdigung des Herrn Justizministers offenbar allein auf die eigene Fachkunde des Justizressorts und alle anderen Beweise – insbesondere die der sehbehinderten und blinden ExpertInnen – blieben als unschlüssig oder nicht nachvollziehbar unberücksichtigt. Anders ist es nicht erklärbar, dass das Justizressort die Indizien dafür, dass Blindheit eine körperliche Uneignung für den Richterberuf darstelle, insbesondere darin erblickt, dass das spontane Studium von nicht elektronisch erfassten oder erfassbaren Akten, das Einscannen von mangelhaften Druckvorlagen, das Lesen von handschriftlichen Vermerken bzw. Urkunden oder alten Büchern, die Würdigung des Wahrheitsgehaltes von Zeugenaussagen, das Lesen zahlreicher Aktenbände zur Verfahrensvorbereitung bei hochgradig sehbehinderten oder blinden RichterInnen einen erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand mit sich bringe und damit die uneingeschränkte Eignung für den Richterberuf ausschließe. „Sollte unter diesen Umständen eine Verfahrensführung überhaupt möglich sein, muss doch mit ganz erheblichen Verzögerungen gegenüber einem Regelfall gerechnet werden; die Parteien haben jedoch ein verfassungsmäßig verbrieftes Recht darauf, dass ihr Verfahren möglichst rasch durchgeführt wird“, so Dr. Böhmdorfer. Demnach müssten die Gerichtsverfahren in Deutschland bei derzeit rund 60 blinden Richtern – darunter auch Höchstrichter – wohl mindestens doppelt so lang dauern wie die Gerichtsverfahren in Österreich, oder? Und wie sieht das derzeit mit den Verfahrensdauern bei österreichischen Gerichtsverfahren aus? Niemand kann leugnen, dass die vom BMJ angesprochenen Herausforderungen für berufstätige sehbehinderte und blinde Menschen tatsächlich existieren, doch beweisen diese jeden Tag aufs neue, dass sie mit überdurchschnittlichem Einsatz, Flexibilität und Kreativität in der Lage sind, solche Herausforderungen sehr gut zu meistern. Doch um das richtig einschätzen zu können, müsste man einmal einen unvoreingenommenen Blick hinter die Kulisse, in die Lebensrealität berufstätiger sehbehinderter und blinder Menschen wagen.

Das Justizministerium ging aber auch auf die gesetzlichen Erfordernisse für die KandidatInnen für die Richterausbildung ein und betonte, dass über die uneingeschränkte persönliche, geistige und fachliche Eignung hinaus auch die körperliche Eignung erforderlich wäre. Und an dieser Stelle wird – wie das auch in der Vergangenheit in behindertenpolitischen Diskussionen des öfteren üblich war – eine Gruppe behinderter Menschen als Argument gegen die andere Gruppe behinderter Menschen instrumentalisiert: „Es wäre nun aber falsch, anzunehmen, das Kriterium der körperlichen Eignung schließe die Übernahme von Menschen mit körperlichen Einschränkungen in diskriminierender Weise in jedem Fall aus; tatsächlich sind etwa mehrere Richter mit Querschnittlähmungen aktiv tätig.“ Nun, dass Blickkontakt behauptet hätte, dass alle behinderten JuristInnen vom Richteramt ausgeschlossen würden, kann man wohl beim besten (interpretativen) Willen nicht behaupten. Doch Faktum ist dennoch, dass zumindest zwei Gruppen – die hochgradig sehbehinderten und blinden JuristInnen – vom Richterberuf in Österreich in diskriminierender Weise ausgeschlossen werden.

Ach ja, zum krönenden Abschluss rechtfertigt der Herr Justizminister diesen behindertendiskriminierenden Ausschluss vom Richterberuf gar noch durch eine Klausel der Richtlinie des Rates der Europäischen Union – RL 2000/78/EG -, mit der Behindertendiskriminierungen in Beschäftigung und Beruf entgegengewirkt werden soll. „In diesem Zusammenhang darf ich auf den 17. Erwägungsgrund der von Ihnen erwähnten Richtlinie 2000/78/EG Bezug nehmen, wonach auch der darin normierten Verpflichtung, für Menschen mit Behinderung angemessene Vorkehrungen zu treffen, keine absolute Geltung zukommt“, so Dr. Böhmdorfer. Offenbar dürfte nun das, was Blickkontakt erst unlängst in seinem Artikel zur obgenannten Richtlinie als eher unwahrscheinliche Befürchtung angesprochen hat, in Österreich Wirklichkeit werden; nämlich dass alle diskriminierenden Ausschlüsse behinderter Menschen von den verschiedensten Berufen durch diese Klausel der Richtlinie 2000/78/EG weiter gerechtfertigt und aufrecht erhalten werden können. So bliebe die „körperliche Eignung“ weiterhin die unüberwindliche und diskriminierende Barriere beim Zugang behinderter Menschen zu qualifizierten Berufen in Österreich; fragt sich nur, ob sich die Europäische Union das auch so gedacht hat?

Der Verein Blickkontakt und mit ihm die sehbehinderten und blinden Menschen in Österreich lassen sich jedoch durch eine derart beharrliche Argumentation mit Vorurteilen nicht entmutigen. Nun soll die Diskussion mit dem Justizressort unter Einbeziehung von sehbehinderten und blinden ExpertInnen aus dem In- und Ausland erst recht intensiv weitergeführt werden! Vor dem Hintergrund des vehement von allen behinderten Menschen in Österreich geforderten Behindertengleichstellungsgesetzes führt kein Weg an diesem harten aber notwendigen Diskurs vorbei!

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