Sieben Fragen zum Wiener Antidiskriminierungsgesetz

... damit aus dem Begriff "Gleichbehandlung" mehr als eine Floskel wird!

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Österreich ist eines der wenigen westeuropäischen Länder, das noch über kein Antidiskriminierungsgesetz verfügt. Die Antidiskriminierungsbestimmung in der Bundesverfassung verbietet zwar Diskriminierung, die Rechtsordnung sieht aber für viele Fälle, in denen Diskriminierung tatsächlich (ja tagtäglich) vorkommen keine Konsequenzen vor. Wenn Menschen nun aus welchen Gründen auch immer diskriminiert werden – und das passiert leider immer und überall – gibt es für sie oft keine Möglichkeit rechtlich vorzugehen, um zu ihrem Recht zu kommen.

Vor diesem Hintergrund werden Diskriminierungen in Wien nach wie vor als „Kavaliersdelikt“ betrachtet – die Stadt Wien bekennt sich zwar zum Grundsatz der Integration und Gleichstellung aller Bevölkerungsgruppen, allerdings ohne konkrete Verpflichtungen für sich selbst zu definieren und ohne Konsequenzen (etwa bei Nicht-Einhaltung einer Verpflichtung) vorzusehen.

So kann man sich auch erklären, weshalb die Frauenförderungspläne oder das Behinderteneinstellungsgesetz zu „Papiertigern“ verkommen – weshalb die Stadt Wien es sich leistet, ein Fünftel der eigenen Bevölkerung wegen ihrer Nationalität vom kommunalen Wohnbau auszuschließen etc.

Der vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte ausgearbeiteter Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz auf Bundesebene liegt bis auf weiteres „in der Schublade“. Die aktuelle Regierungskonstellation auf Bundesebene lässt auch kaum hoffen, dass es vor den kommenden NR-Wahlen beschlossen wird. Selbst wenn ein Bundesgesetz in Kraft treten würde, müssten die Länder eigene Gesetze beschließen, um die Auswirkungen des Gesetzes in ihren Wirkungsbereich herein zu holen. Hoffentlich auch deswegen, um (nach dem Vorbild britischer Städte) weitergehende Bestimmungen zu entwickeln.

Wien könnte zur österreichischen „Musterstadt“ auf dem Gebiet der Menschenrechte werden!

Wien braucht ein Antidiskriminierungsgesetz, damit die Stadt es sich selbst zur Verpflichtung macht, alle Wienerinnen und Wiener gleich zu behandeln, gleich zu stellen und mit gleichen Chancen auszustatten.

Insbesondere erwächst durch ein solches Gesetz der Stadt die Verpflichtung, allen BürgerInnen ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, etwaiger Behinderungen …

  • den selben Zugang zu sämtlichen Leistungen der Stadt Wien zu gewähren
  • den selben Zugang zu allen Ressourcen der Stadt zu gewähren
  • den selben Zugang zu Arbeit zu gewähren (sofern sie von der Gemeinde selbst angeboten oder gefördert wird bzw. für die Gemeinde erfolgt)
  • Selbstbestimmung und Mobilität für alle Bevölkerungsgruppen durch geeignete Maßnahmen im Rahmen der Möglichkeiten der Gemeinde (des Landes) zu gewährleisten
  • Teilhabe und Repräsentanz aller Bevölkerungsgruppen aktiv zu fördern und – wenn möglich – zu gewährleisten

Gleichbehandlung bedeutet, dass es insbesondere in den folgenden Bereichen keinerlei direkte oder indirekte Diskriminierung gibt:

  • Ausübung einer beruflichen Tätigkeit für die Stadt Wien, sei es durch selbständige oder unselbständige Arbeit;
  • Zugang zu einem Arbeitsplatz oder einer Funktion im Wirkungsbereich der Stadt Wien sowie bei allen dienstrechtlichen Angelegenheiten;
  • Gesundheits- und Sozialleistungen;
  • Erziehung, Bildung, Berufsberatung und berufliche Ausbildung;
  • Zugang zu Wohnungen im öffentlichen Wohnbau;
  • Bereitstellung von Waren, Einrichtungen und Dienstleistungen durch die öffentliche Hand;
  • Ausübung von Funktionen in öffentlichen Gremien
  • Teilnahme am politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Leben.

Was soll ein Antidiskriminierungsgesetz bezwecken?
Die Stadt Wien verpflichtet sich dazu, aktiv zu werden und alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Diskriminierungen innerhalb ihres Wirkungsbereiches zu beseitigen.

Ein Antidiskriminierungsgesetz verpflichtet die Stadt Wien konkret dazu:

  • bestehende offenkundige (d.h. direkte) Diskriminierungen in ihrem gesamten Wirkungsbereich zu beseitigen
  • die gesamte aktuelle und künftige Landesgesetze nach „versteckten“ (d.h. indirekten) Diskriminierungen zu durchforsten und diese allenfalls zu beseitigen sowie
  • zusätzliche Förderungsmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, damit Angehörige benachteiligter Gruppen den Zugang zu den selben Standards, die für den Rest der Bevölkerung „automatisch“ gelten, erhalten.
  • Antidiskriminierungsbüros einzurichten, die sowohl bei der Schlichtung bzw. Verfolgung von Konflikten tätig werden, als auch für die Erarbeitung von Vorschlägen zur Besserung der städtischen Angebote und Maßnahmen zuständig sind.
  • Einen entsprechenden Fonds einzurichten, um rechtliche und nötigenfalls auch finanzielle Hilfestellung für die Opfer von Diskriminierungen für Gerichtsverfahren zur Verfügung zu stellen.
  • Maßnahmen zu entwickeln, um positive gesellschaftliche Entwicklungen in Gang zu setzen bzw. jene Lebensbereiche in der Stadt, die durch ein solches Gesetz nicht erfasst werden können, indirekt zu beeinflussen
  • Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben
  • Bei Nicht-Einhaltung dieser Verpflichtungen konkrete Konsequenzen (u.a. auch dienstrechtliche Konsequenzen) zu ziehen!

Was soll ein Antidiskriminierungsgesetz konkret bewirken?

  • Öffnung des Gemeindebaus für die gesamte Wiener Bevölkerung „ohne wenn und aber“.
  • Umgehende Novellierung des Wiener Sozialhilfegesetzes, damit auch WienerInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft Sozialhilfe zu denselben Bedingungen beziehen können.
  • Entwicklung von Förderungsplänen zu Erhöhung des internationalen Anteils unter dem Personal der Stadt Wien
  • Gezielte Förderung von Mehrsprachigkeit (im Bereich des Personals oder etwa im Schulbereich)
  • Contract Compliance: die Stadt Wien nutzt ihre Rolle als Großautraggeberin oder Großeinkäuferin, um Betrieben den Vorzug zu geben, die benachteiligte Gruppen unter ihrem Personal besonders fördern.
  • Umsetzung der Frauenförderungspläne
  • BehindertenbeauftragteR im Wohn(bau) ressort …

Was soll ein Antidiskriminierungsgesetz „können“?
Dienstrechtliche Konsequenzen für die verantwortlichen Magistratsbediensteten bei Diskriminierungen seitens des Magistrats: diskriminierende Äußerungen oder Auslegungen von Gesetzen und Bestimmungen, Vernachlässigung der Pflicht, sämtliche Maßnahmen und Vorhaben, darauf hin zu überprüfen, dass sie nicht zur Diskriminierung eine bestimmten Bevölkerungsgruppe führen oder unbegründete Nicht-Einhaltung der Verpflichtung innerhalb eines bestimmten Zeitraums den vorgesehenen Anteil von Frauen oder Personen mit Behinderungen oder etwa von Angehörigen verschiedener Volksgruppen zu erreichen.

Rechte des Einzelnen
Sofern eine Person der Ansicht ist, dass sie durch eine Handlung bzw. durch die Unterlassung einer Handlung seitens des Magistrats diskriminiert wurde, kann sie sich an das Antidiskriminierungsbüro wenden bzw. bei Gericht Klage einreichen. Ebenso sind Beschwerden beim UVS zulässig. Durchsetzbar ist das Recht, von MagistratsbeamtInnen, die Landesrecht vollziehen, in diesem Vollzug nicht diskriminiert zu werden. Einer einzelnen Person steht dieses Recht auch dann zu, selbst wenn sie nicht unmittelbar und gezielt als Person diskriminiert wurde, sondern als Teil einer Gruppe Nachteile erfahren hat.

Gesetzesprüfungsverfahren
Das Land hat die Verpflichtung alle künftigen Entscheidungen in Hinblick auf ihre Auswirkungen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu überprüfen. Sollte eine solche Prüfung unterbleiben bzw. mangelhaft erfolgen, können betroffene Personen oder Verbände in Vertretung von betroffenen Bevölkerungsgruppen mittels Beschwerde eine (erneute) Prüfung einleiten.

Arbeitskreise zur Durchforstung der Landesmaterie
Nach dem Vorbild der Arbeitsgruppe, die bereits seit ein paar Jahren, die Gesetzesmaterie des Landes durchforstet und Vorschläge zur Beseitigung von behindertendiskriminierenden Bestimmungen erarbeitet, müssen analoge Arbeitskreise für die sonstigen durch das Gesetz erfassten benachteiligten Bevölkerungsgruppen eingerichtet werden.

Wie wirkt sich ein Antidiskriminierungsgesetz auf die Magistratsstruktur aus?
Auf Landesebene muss ein weisungsunabhängiges Antidiskriminierungsbüro (Schlichtungsstelle) eingerichtet werden. Das Antidiskriminierungsbüro geht Beschwerden nach, führt Schlichtungsversuche durch, wacht über die Einhaltung der Gesetzesbestimmungen im Rahmen des Magistrats und entwickelt Vorschläge für weitere Maßnahmen.

Das Antidiskriminierungsbüro hat die Möglichkeit, Verfahren von Betroffenen vor Gericht u.a. auch finanziell zu unterstützen. Zu diesem Zweck wird seitens der Stadt ein Fonds eingerichtet.

Wie soll ein Antidiskriminierungsgesetz entstehen?
Der Gesetzesentwurf sollte von unabhängigen ExpertInnen verfasst werden und in einer Tagung gemeinsam mit VertreterInnen der betroffenen Bevölkerungsgruppen sowie VertreterInnen des Magistrats weiterbearbeitet und abgeändert werden.

Das Vertrauen der erfassten Gruppen in eine solches Gesetz ist von besonderer Wichtigkeit – die frühzeitige Einbildung ihrer VertreterInnen hilft ein Gesetz zu entwickeln, das von allen getragen wird. Bei einem Gesetz mit derart weitreichenden – u.a. auch dienstrechtlichen – Konsequenzen für das Magistrat ist es andererseits ebenso wichtig, dass es von externen ExpertInnen und nicht vom Magistrat selbst (d.h. von den Betroffenen solcher Konsequenzen) verfasst wird.

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3 Kommentare

  • Sehr geehrter Herr Ivashchenko! Da Sie in Österreich bis zur Invalidität brutal behandelt und gefoltert (!) wurden, haben Sie ohne weiteres die Möglichkeit, in einem anderen Land um Asyl anzusuchen. Rumänien oder Bulgarien, zwei Länder der Europäischen Union, würden sich für Sie anbieten. Dort wären Sie auch näher bei Ihrer Tochter. Zeigen Sie der Hölle Österreich einfach die lange Nase, sagen Sie Ätsch zum österr. Netto-Steuerzahler und reisen Sie wieder aus. Mit freundlichen Grüßen.

  • @ivashchenko&d – Warum bleiben Sie 8 Jahre lang in der Hölle Österreich? Sie haben die Möglichkeit AUSZUREISEN! Es gibt so viele Länder auf dieser Erde, daher, warum gerade die Hölle Österreich? Auf Wiedersehen!!!

  • Das, was Herr Ivashchenko als anerkannter Flüchtling über erfahrene und fortdauernde Diskriminierungen sowie gesetzwidrige und menschenunwürdige Behandlung berichtet, halte ich für ein (leider) realistisches Beispiel von Mehrfachdiskriminierung! Zu unserer – österreichs – Schande ist festzustellen, dass die nationalen Institutionen und Rechtsmittel offensichtlich nicht ausreichen, solche Leidenswege zu verhindern bzw. abzustellen.