Dänemark: „Hamlet“ in Kopenhagen

Die Presse: Eine Ophelia mit Down-Syndrom?

Flagge Dänemark
Henrik Larsen on Unsplash

Dieser Artikel ist in „Die Presse“ erschienen:

„Regisseur Stefan Bachmann hat am Königlichen Theater die Ophelia mit einer Mongoliden besetzt – und damit einige Polemik ausgelöst.

Shakespeares „Hamlet“ just am Königlichen Theater in Kopenhagen zu inszenieren, erfordert Mut und frische Ideen, um sich von Traditionen nicht erschlagen zu lassen. Der Schweizer Regisseur Stefan Bachmann hat beides. Das droht jetzt, die Aufführung platzen zu lassen.

Der Hamlet ist ein dänisches Nationalepos. Hamlet war Prinz von Dänemark. Shakespeare hat den Schauplatz seines Dramas nach „Elsinore“ verlegt, ins dänische Helsingör, wo Schloß Kronborg als klassische Kulisse gilt, auch wenn der wirkliche Hamlet ein Prinz aus Jütland war. „Etwas ist faul im Staate Dänemark“ zählt zu den Klischees, dem kaum ein Berichterstatter widerstehen kann. Und die Königliche Bühne in Kopenhagen ist derart Patina-befallen, daß Schauspielchef Klaus Hoffmeyer schon vor fünf Jahren klagte, daß junge Dramatiker die Traditionsbühne meiden.

Just in Kopenhagen also just den Hamlet – und just mit Bachmann, der vor ein paar Jahren seine Scheu vor dem Klassiker bekundet hat, weil es langweilig sei, „ständig das bürgerliche Repertoire zu wiederholen“? Justament. In Basel hat Bachmann den Prinzen mit einer Schauspielerin besetzt und die Ophelia mit einem als „tuntenhaft-debil“ bezeichneten Mann. In Kopenhagen hat er für die meisten Rollen erfahrene Schauspieler gewählt. Die Ophelia aber will er von einer 35-jährigen Amateurin spielen lassen. Einer Frau mit Down-Syndrom.

Das hat jetzt, zwei Monate vor der für den 13. September geplanten Premiere, zum Eklat geführt. Drei Hauptdarsteller sind abgesprungen: Sie nennen die Wahl Bachmanns „ethisch verantwortungslos“. Sie fürchten, daß die Laiendarstellerin als „Phänomen“ vorgeführt wird, daß sie nicht verstehen werde, was um sie geschehe – und darauf nicht reagieren könne.

„Viele ethische Fragen“
„Nicht, daß ich nicht mit Menschen mit Down-Syndrom arbeiten wollte“, sagt Henning Jensen, einer der bekanntesten Schauspieler Dänemarks, „aber es geht darum, wie man sie auf der Bühne benützt. Das hat so viele ethische Fragen aufgeworfen, daß ich mich zum Rückzug entschlossen habe.“

Regisseur Bachmann wolle das „Normale“ mit dem „Unnormalen“ konfrontieren, sagt Michael Christiansen, der Direktor des Theaters. „Er will keine gespielte Unsicherheit. Wenn er Wirklichkeit – die mongoloide Frau – mit Schauspiel – den professionellen Künstlern – mischt, verbreitet er Schrecken und Unsicherheit auf der Bühne.“

Die Behinderte soll nicht Shakespeares Texte lernen oder den Anweisungen des Regisseurs folgen. Sie soll agieren, wie es ihr einfällt. Bachmann wolle einen Hamlet zeigen, der einen Geisteskranken spiele, und eine Ophelia, die als einzige dieses Spiel nicht durchschaue, erläutert Schauspielchef Hoffmeyer.

Ist das eine Zurschaustellung einer Außenseiterin, die sich nicht wehren kann? Oder eine Anerkennung ihres Anders-Seins? Die Frage spaltet Dänemarks Theaterwelt. Die Eltern der 35jährigen haben ihre Zustimmung gegeben, auch die Behindertenorganisationen stehen hinter dem Projekt. John Möller, Vorsitzender von deren Dachverband: „Ich habe viel mit ihr und ihren Eltern gesprochen, und sie ist sich ganz im Klaren darüber, was vor sich geht.“

„Entwicklungsgestörte sollen auf allen Ebenen am öffentlichen Leben teilnehmen“, sagt Möller: „Je sichtbarer sie sind, desto besser lernen die anderen, mit ihnen umzugehen.“ Die mongoliden Tellerwäscher, die in Lars von Triers TV-Schocker „Riget“ (Geister) mitspielten, wurden in ihrer Heimat zu Kultfiguren. Doch Filmaufnahmen, die nach Belieben wiederholt, redigiert werden können, sind etwas anderes als das allabendliche Spiel auf der Bühne.

Ob es dazu kommen wird, ist jedoch fraglich. Bachmann ist zur Zeit auf Urlaub in Italien. Schauspielchef Hoffmeyer sagt jedoch, daß der Regisseur „völlig schockiert“ auf den Absprung der Schauspieler reagiert habe: „Ich zweifle daran, daß der Hamlet verwirklicht wird.““

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