Der elektronische Akt – die Herausforderung für behinderte Menschen im Jahr 2003

Die Mehrheit der sehbehinderten und blinden Menschen ist im öffentlichen Dienst (Bund, Länder, Gemeinden, Bezirksverwaltungsbehörden, Magistrate) beschäftigt. Nun steht auch für sie die Herausforderung einer Megasystemreform vor der Tür.

Accessibility
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Entsprechend der politischen Zielsetzung der Bundesregierung im Regierungsprogramm 2000 soll bereits mit Ende 2003 der sogenannte „elektronische Akt“ (ELAK) in den Zentralstellen der Bundesministerien eingeführt werden. Was bislang schon vereinzelt umgesetzt wurde – z. B. im Bereich des Bundeskanzleramtes, des Verkehrsministeriums, einzelnen Magistratsabteilungen der Stadt Wien -, soll mit Ablauf des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen 2003 für alle Bundesministerien geschaffen werden – der elektronische Akt.

Was versteht man darunter?

  • Der elektronische Akt soll den Papierakt als Original ablösen.
  • Der Einsichts- und Schriftverkehr zwischen Ressorts (Ministerien) soll weitgehend auf elektronischem Wege stattfinden.
  • Der elektronische Akt soll mit einer möglichst weitverbreiteten Standardsoftware umgesetzt werden.
  • Eine Ausweitung auf nachgeordnete Dienststellen – z. B. Bundessozialamt, Finanzamt – ist nicht Gegenstand des derzeitigen Projektes.

Das Projekt „ELAK im Bund“ wurde mit September 2001 in Angriff genommen und sodann ausgeschrieben; mit 4. Jänner 2003 wurde die Ausschreibung abgeschlossen; den Zuschlag erhielt die ARGE-ELAK. Der elektronische Akt soll beim Bund bis zum Jahr 2003 umgesetzt werden. Damit müssen sich die Bediensteten im öffentlichen Dienst mit einer ganz neuen Form der Bearbeitung eines Aktes vertraut machen.

Nun stellt sich natürlich die Frage, wie sehbehinderte und blinde Arbeitnehmer diesen elektronischen Akt bedienen werden können. Gerade für sehbehinderte und blinde Menschen, die zu einem großen Teil in den Kanzleien und als Sachbearbeiter im öffentlichen Dienst – auch beim Bund – arbeiten, ist das ausgesprochen wichtig; schon die Umstellung auf die Arbeit mit grafischen Benutzeroberflächen (z.B. Windows), die nur mit sogenannten Screenreadern – Programme, die das Arbeiten am Computer mit Sprachausgaben und Blindenschriftzeilen bewirken – möglich wurde, war ein gewaltiger Schritt, der Dank der engagierten Hilfe all jener Firmen, die Rehabilitationstechnologie und -software erzeugen, gut bewältigt werden konnte. Doch nun steht uns ein mindestens ebenso großer Schritt in eine völlig neue Arbeitskultur bevor, der für sehbehinderte und blinde Menschen eine ziemliche Herausforderung darstellt; geht es doch darum, weiterhin im Arbeitsleben chancengleich mithalten zu können und damit auch um die nachhaltige Bewahrung von Arbeitsmöglichkeiten für behinderte Menschen.

Hier sollen die wichtigsten Problembereiche aufgezeigt werden, die es zu meistern gilt:

1. Zu bearbeitende Dienststücke als eingescante Grafikdateien

Künftig wird in den Amtsstuben nicht mehr mit Papier hantiert werden. Einlangende Schriftstücke werden von den Kanzleien eingescant und als Datei in einem Grafikformat – beispielsweise *.jpg, *.gif, *.tif – zur Bearbeitung in das ELAK-System eingespielt. Von dort holt es sich der Sachbearbeiter, liest es und bearbeitet es.

Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie ein blinder Bediensteter, der einen Screenreader mit Sprachausgabe und Blindenschriftzeile benutzt, diese Dateien lesen können wird. Bilddateien können nämlich erst vom Screenreader vorgelesen werden, wenn sie in ein Textformat übersetzt worden sind. Dies geschieht mit einer sogenannten OCR – einem Texterkennungsprogramm. Eine gute OCR – Texterkennung -, die es ermöglicht, diese Dokumente sofort in ein Textformat zu konvertieren wird dazu nötig werden. Diese OCR muss natürlich direkt mit dem ELAK verknüpft sein. Ansonsten bliebe nur, das Bilddokument auszudrucken und dann nochmals mit einer Texterkennung einzuscannen, was umständlich wäre und unnötig Zeit kostet.

2. Benutzerfreundliche Oberflächengestaltung

Was für die Gestaltung von behindertengerechten Websites gilt, wird auch für die Benutzeroberfläche des ELAK relevant sein; möglichst keine Frames, Bildtexte für Grafiken, übersichtliche Tabellengestaltung, entsprechend kontrastreiche Farbgestaltung von Links und Buttoms etc. Hier wird des Rätsels Lösung wohl in der weitestgehenden Beachtung der sogenannten WAI-Kriterien – Accessibility-Kriterien, also Richtlinien für behindertengerechte Programmierung von Websites – zu finden sein.

3. Geschützte Dokumente

Zu befürchten ist, dass es vermehrt zum Einsatz von PDF-Dokumenten kommen wird, die geschützt und damit grundsätzlich unveränderlich sind; deren Verwendbarkeit ist für blinde User erfahrungsgemäß umständlich und nachteilig. Oftmals bleibt nur, sie an den Konvertierungsservice der Firma Adobe, die PDF erzeugt hat, zu mailen oder, wenn sie nicht in ein Textformat konvertiert werden können, weil sie als Grafik gespeichert wurden, bleibt wieder nur, die Datei auszudrucken und sie neuerlich mit einer Texterkennung einzuscannen. Von Chancengleichheit könnte man dabei aber nicht gerade sprechen, sondern eher von einer ziemlich schlechten und benachteiligenden Ersatz-„Lösung“, die jedenfalls zu vermeiden wäre.

Nun, wie man sieht, bergen solche Entwicklungen, die zweifellos wichtig und gut sind, auch einige Hürden für behinderte Arbeitnehmer, die es zu bewältigen gilt; sind diese Probleme gelöst, so ist der elektronische Akt (ELAK) sicher auch ein großer Vorteil für die chancengleiche und gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen im Arbeitsleben; sind es doch gerade die elektronischen Medien, die insbesondere blinden und sehbehinderten Menschen ungeahnte Möglichkeiten gebracht haben. So wurde durch die Nutzung des Internets mit Sprachausgaben und Blindenschriftzeilen beispielsweise ein riesiger Informationspool auch für behinderte Menschen zugänglich, der blinde und sehbehinderte Arbeitnehmer gegenüber ihren nichtbehinderten Kollegen durchaus konkurrenzfähig macht.

Doch wenn man die Trends der letzten Monate verfolgt hat, so dürfte Zuversicht angesagt sein; so wurden etwa im Bereich der behindertengerechten Gestaltung von Websites gerade im Bereich der Homepages von öffentlichen Stellen – siehe jüngst die Websites des Bundessozialamtes Wien – massive Anstrengungen unternommen. Das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003 dürfte wohl ein Garant dafür sein, dass bei der Entwicklung des elektronischen Akts die Accessibility für behinderte Benutzer beachtet wird.

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