„Blind Date“ mit dem Christkind

Man wird sich ja wohl noch was wünschen dürfen, oder?

Blindlings durch den Schnee
Ulli Krispl

Als Benni Blindflug an einem dieser eisig kalten und stürmischen Wintertage von der Arbeit nach Hause kam, war er in ziemlich unweihnachtlicher Stimmung, und das nicht ohne Grund.

Als ihn seine Frau, Karola Kurzsicht, mit einem zärtlichen Küßchen begrüßte, spürte sie förmlich die negative Ladung, unter der Benni stand und so setzten sich die beiden zu einer Tasse Punsch in die wohlig warme Küche, damit sich Benni den Ärger von der Seele reden konnte.

„Ich sag Dir, das hältst Du ja beim besten vorweihnachtlichen Willen nicht aus. Zuerst überquerte ich wie immer am Fußgängerübergang die Straßenbahngeleise; doch bei dem eisigen Wind war es fast unmöglich irgendwas zu hören und so hab ich auch nicht bemerkt, dass da ein ULF gestanden ist, der gerade, als ich bereits mitten auf dem Gleiskörper war, loszufahren begann und dabei hektisch bimmelte. Im letzten Moment konnte ich fast instinktiv zurückspringen und spürte dicht vor mir die vorbeifahrende Straßenbahn.

Der Schreck zog sich ziemlich durch den ganzen Körper. Kein Wunder, dass mich meine Verspannungen dauernd quälen.“, begann Benni zu erzählen. „Und dann kam noch so ein obergescheiter Passant zu mir der meinte: Na, das war aber knapp; Sie sollten sich besser einen Blindenführhund anschaffen.“ Dieser gut gemeinte Rat erinnerte Benni an ein Zitat von Karl Kraus: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“, denn so ein Blindenführhund ist ja erstens auch keine 100%-Sicherheitslösung und bringt zweitens jede Menge Verpflichtungen für den blinden Hundehalter mit sich, die ja auch nicht ganz ohne sind.

Doch das konnte Benni dem obergescheiten Passanten nicht mehr sagen, war der doch so rasch, wie er erschienen war, auch wieder entschwunden und es hätte ihn wahrscheinlich gar nicht interessiert – wer lässt sich schon gern seine absolut genialen Ratschläge, was für einen „Behinderten“ das Beste ist, von einem „Blinden“ ins Wanken bringen?.

Doch das war noch nicht alles, was Benni auf seinem alltäglichen Heimweg zugestoßen ist, und so fuhr er nach einem herzhaften Schluck vom herrlichen Orangenpunsch fort zu schildern:

„Na und als ich dann endlich wieder am sicheren Gehsteig angekommen war, versuchte ich mich – letztlich mit Erfolg – gegen die rücksichtslos drängelnden und stoßenden Menschenmassen bei der Rolltreppe zu wehren. Unten angekommen fädelte ein ach so aufmerksamer Mensch mit den Beinen in meinen Blindenstock ein, katapultierte ihn mir aus der Hand, so dass er irgendwo in der Ferne deutlich klirrend aufkam und machte sich wortlos aus dem Staub. Ich hatte einiges zu tun, den Stock wieder zu finden, denn im Weihnachtsstress hatte offenbar niemand Zeit, mir zu zeigen, wo mein Stock gelandet ist und, naja, so nebenbei bemerkte ich dann, dass er auch noch ganz schön verbogen war, was das Weitergehen mit diesem U-Hackerl-Stock nicht gerade erleichterte.“, so Benni weiter. „Und als ob das nicht schon gelangt hätte, kam dann nach dieser minutenlangen dämlichen Suche, bei der ich mir auch die Hände nicht wenig dreckig machte, eine neugierige ältere Frau zu mir und meinte: Also ich beobachte Sie jetzt schon einige Zeit und kann nur sagen, ich bewundere Sie, wie sicher Sie den Stock jetzt wieder gefunden haben, einfach erstaunlich.“

Benni stopfte sich einen köstlichen Weihnachtskeks in den Mund, spülte ihn mit einem Schluck Punsch runter und sagte dann: „Ach ja, fast hätte ich es vergessen. In der U-Bahn saß ich dann neben einem etwas illuminierten Klugschei…, der meinte: Es gibt ja eh schon Operationen, damit solche Leute wie Sie wieder sehen können; warum lassen Sie sich nicht einfach operieren? Aber eigentlich können Sie ja froh sein, dass Sie sich wenigstens all diese Ungustln in der U-Bahn nicht anschauen müssen.“

Karola lauschte seinem Bericht und verstand nur zu gut seinen Ärger; hatte sie doch diese und viele andere Erlebnisse von Benni und anderen blinden Menschen immer wieder gehört. Deshalb überlegte Sie, wie sie Benni wieder aufheitern könnte. Da kam ihr plötzlich eine zündende und auch schon mehrfach erprobte Idee: „Weißt Du was“, meinte Karola, „zur Entschädigung suchst Du Dir im Internet jetzt ein schönes Hörbuch aus, das ich Dir schenken soll.“.

Benni begann zu strahlen, leerte den Rest seines Punsches mit einem Zug und setzte sich vor den Computer, der mit seiner zärtlich-synthetischen Stimme zu ihm sprach und ihm alles verlässlich sagte, was auf dem Bildschirm zu sehen war – sofern die Seite nicht saumäßig programmiert war.

Benni tippte eine seiner Lieblingsadressen – www.ebay.at – und begann in den dort zum Verkauf angebotenen Hörbüchern zu stöbern. Da endlich fand er ein echt super Hörbuch; er klickte es an, doch statt der Seite, wo man einen Kaufpreis dafür bieten konnte, erschien plötzlich … Ja was? Benni war ziemlich verdutzt, als eine sanfte Stimme über die Boxen zu ihm drang:

„Hallo Benni! Willkommen auf www.christkind.com! Ich bin Dein persönliches Christkind, von dem Du Dir nun alles wünschen kannst, was Du willst.“

Benni kam aus dem Staunen nicht heraus; das konnte doch nicht wahr sein. Als er plötzlich ein Eingabefeld auf dieser Seite fand, bei dem es hieß – Geben Sie hier Ihre Wünsche ein -, klickte Benni unverdrossen hinein und schrieb:

Liebes Christkind!

Ich wünsche mir nichts mehr als:

  • eine weitestgehend barrierefreie Welt,
  • Menschen, die mitdenken, die sich ernsthaft dafür interessieren, wie Menschen mit Behinderungen leben und welche Probleme es tatsächlich gibt,
  • eine Gesellschaft, die akzeptiert, dass Menschen mit Behinderungen die eigentlichen Experten in ihrer eigenen Sache sind und die ihre Meinungen auch respektieren und
  • jede Menge durchsetzbare Rechte auf ein selbstbestimmtes, chancengleiches und gleichberechtigtes Leben von Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen des täglichen Lebens.

Als Benni dann den „Wunsch-Senden-Schalter“ betätigte, geschah das Unfassbare; postwendend erschien auf dem Bildschirm eine Meldung, die auch für Benni vernehmbar mit der sanften Stimme aus den Lautsprechern an seine Ohren drang: „Unzulässige Wunscheingabe – systemfremde Weltverbesserungswünsche können auf www.christkind.com nicht erfüllt werden! Geben Sie realistische Wünsche ein und starten Sie einen neuerlichen Versuch.“

Benni konnte sich ein Schmunzeln nicht verbeißen, lehnte sich zurück und meinte: „Alles andere hätte mich schon gewundert, aber man wird sich ja noch was wünschen dürfen, oder?“

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