Was könnte eine neue Bundesverfassung für Menschen mit Behinderungen bringen?

Am 12. Jänner 2005 präsentierte der Vorsitzende Dr. Franz Fiedler die Zusammenfassung der Ergebnisse des Österreich-Konvents für eine neue Österreichische Bundesverfassung.

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Österreich-Konvent

Am 15. Dezember 2003 hatten VertreterInnen der Österreichischen Behindertenbewegung die Gelegenheit, im Rahmen des Parlamentshearings des Österreich-Konvents ihre Erwartungen hinsichtlich einer neuen Bundesverfassung vor den Mitgliedern des Verfassungskonvents zu referieren. Mit Spannung wurde daher nun den Ergebnissen des Österreich-Konvents entgegengesehen.

Nach rund 19 Monaten der Arbeit des Österreich-Konvents liegen nun die ersten Ergebnisse vor, die jedoch nach wie vor weitestgehend umstritten sind und deren Umsetzungschancen daher ausgesprochen vage zu bleiben scheinen. Dennoch sei hier ein erster Überblick über die für Menschen mit Behinderungen wesentlichsten Inhalte der Ergebnispapiere des Konvents gegeben.

Nach einer ersten schnellen Durchsicht der bislang vorhandenen Papiere fallen zum Thema „Behindertengleichstellung“ in einer künftigen neuen Bundesverfassung folgende Passagen im Verfassungsentwurf ins Auge:

Geht es nach den Vorstellungen des Verfassungskonvents, so dürfte offenbar zumindest außer Streit stehen, dass auch eine künftige Bundesverfassung Behindertenrechte und Behindertengleichstellung ausdrücklich zu regeln hat. Im Entwurfspapier findet sich daher in Anlehnung an das bislang in Artikel 7 Abs. 1 dritter und vierter Satz B-VG geregelte Benachteiligungsverbot für Menschen mit Behinderungen und das Staatsziel der Gewährleistung der Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen des täglichen Lebens, folgende Bestimmung:

„Allgemeiner Gleichheitssatz, Diskriminierungsverbot

Artikel 34

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der sozialen Stellung, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Einstellung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters, einer Krankheit, der sexuellen Ausrichtung oder der Geschlechtsidentität sind verboten und zu beseitigen.“

Mit dieser Bestimmung soll offenbar bewusst ein neuer Weg in der Österreichischen Verfassungslandschaft beschritten werden, da erstmals in die Verfassung der Begriff „Diskriminierung“ aufgenommen werden soll und man von einem derzeit bestehenden „Benachteiligungsverbot“ zu einem „Diskriminierungsverbot“ übergehen wollen dürfte. Die Unterscheidung von „Benachteiligung“ und „Diskriminierung“ ist jedoch von wesentlicher Bedeutung, da ein Diskriminierungsverbot inhaltlich über ein Benachteiligungsverbot hinaus geht und auch jene Sachverhalte erfasst, bei denen kein erkennbarer oder messbarer Nachteil entsteht, wohl aber ein ideeller Schaden entsteht, z. B. herabgewürdigt, belästigt, gekränkt oder beleidigt wird.

Die Formulierung des Artikel 34 Abs. 2 dieses Entwurfspapieres brächte aber noch eine weitere Neuerung in die Bundesverfassungslandschaft; erstmals würden in Anlehnung an gleichartige EU-recchtliche Antidiskriminierungsbestimmungen die wesentlichsten Personengruppen, die bekanntermaßen immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt sind, ausdrücklich im Verfassungstext aufgezählt und noch dazu nicht einmal abschließend, sondern bloß demonstrativ, so dass auch noch Platz für andere, nicht genannte Personengruppen bliebe.

Der Verfassungskonvent hat für die künftige Bundesverfassung aber nicht bloß das oben zitierte Diskriminierungsverbot und einen Auftrag zur Beseitigung von Diskriminierungen vorgesehen, sondern beabsichtigt offensichtlich auch ein umfassendes subjektives verfassungsrechtliches Grundrecht auf Teilhabe am Gesellschaftsleben:

„Rechte von Menschen mit Behinderung

Artikel 36

(1) Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf volle Entfaltung ihrer Persönlichkeit durch Ausbildung, Arbeit und Teilnahme am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben und auf Beseitigung tatsächlicher Benachteiligungen.“

Mit dieser Bestimmung würde eine künftige Verfassung weit über den derzeitigen Regelungsgehalt des Benachteiligungsverbotes in Artikel 7 Abs. 1 dritter Satz B-VG hinaus gehen und weitgehende Gleichstellungsrechte verfassungsrechtlich einräumen, die letztlich auch vor dem Verfassungsgerichtshof durchsetzbar wären.

Aber auch der Forderung der gehörbehinderten und gehörlosen Menschen auf ein Recht, die Österreichische Gebärdensprache oder gleichartige Kommunikationsmittel im täglichen Leben verwenden zu können, soll durch den neuen Verfassungstext entsprochen werden, wenn es in Artikel 36 Abs. 2 dazu heißt:

„(2) Hör- und sprachbehinderte Menschen haben das Recht, die Gebärdensprache oder lautsprachbegleitende Gebärden zu verwenden.“

Darüber, ob diese Formulierung einer echten Anerkennung der Gebärdensprache gleich käme, kann man durchaus geteilter Meinung sein.

Soweit ein erster Einblick in die Ergebnisse. Auch wenn diese Vorschläge des Österreich-Konvents durchaus als ambitioniert bezeichnet werden können, ist aus Sicht der Behindertenbewegung derzeit jedoch nur sehr gebremster Optimismus angebracht, da diese Ergebnisse immer noch sehr kontroversiell gesehen werden und die Chancen, solch ambitionierte Ziele tatsächlich umsetzen zu können, äußerst ungewiss sein dürften.

Die RechtsexpertInnen der Österreichischen Behindertenbewegung werden aber jedenfalls in den nächsten Tagen die vorliegenden Papiere, die auf der Homepage des Österreich-Konvents abrufbar sind, im Hinblick auf die mehrfach kommunizierten Forderungen der Behindertenbewegung, wie z. B. einen ausdrücklichen Bundesgesetzgebungskompetenztatbestand „Behindertengleichstellung“, die Vereinheitlichung des Baurechts etc., genau analysieren.

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