„Nährwert wäre für die Katz“

Interview zum umstrittenen Prüfsiegel für barrierefreie Internetseiten in Deutschland.

Interview mit Mikrofon
BilderBox.com

Das in Deutschland heiß umstrittene Prüfsiegel für barrierefreie Webseiten hält Diplom-Informatiker Hubertus Thomasius für wenig zielführend.

Im kobinet-Interview sagte der Dozent in einem Berufsbildungswerk, der ehrenamtlich in diesem Nachrichtendienst mitarbeitet: „Barrierefreiheit machen ist mehr denn je gefragt. Sehr fraglich, ob ein TÜV uns da voranbringt.“

kobinet: Seit Monatsbeginn wird über ein für dieses Jahr angekündigtes Prüfsiegel gestritten, mit dem barrierefreie Webseiten quasi einem kostenpflichtigen Tüv unterliegen würden. Bringt uns das voran?

Hubertus Thomasius: Wohl kaum. Eine Zertifizierung ohne ausreichende Grundlage ist wenig zielführend.

kobinet: Behindertenverbände haben ein Qualitätskennzeichen gefordert …

Hubertus Thomasius: … aber dies bisher nicht in der Öffentlichkeit laut werden lassen. Barrierefreiheit machen ist mehr denn je gefragt. Sehr fraglich, ob ein TÜV uns da voranbringt.

kobinet: Warum nicht?

Hubertus Thomasius: Ein großer Teil der Verbände der Behindertenhilfe und -selbsthilfe sowie viele kleinere Initiativen haben es schwer, mit ihren Auftritten im Internet zugänglich für alle zu sein. Sie brauchen kein Prüfsiegel, sondern fachkundigen Ratschlag und Hilfe, ihre Seiten Schritt für Schritt barrierefrei zu machen. Dass dies kein 24-Stunden-Job ist, wissen wir aus eigener Erfahrung und haben es am Beispiel Taubenschlag erst kürzlich wieder sehen können. Nur Zertifizierung hilft nicht weiter. Der Nährwert wäre für die Katz.

kobinet: Barrierefreiheit könnte aber Mehrwert bringen?

Hubertus Thomasius: Für Unternehmen sicherlich, die sich so einen bisher vernachlässigten Kundenkreis erschließen. Doch auch hier gilt. Ein Qualitätssiegel kann Kunden anlocken, wird aber schnell zum Bumerang, wenn nicht drin ist, was draufsteht.

kobinet: Warum also dieser Vorstoß, noch in diesem Jahr eine Deutsche Norm für barrierefreie Seiten festzulegen?

Hubertus Thomasius: Das weiß ich auch nicht. Die Lebenssituation behinderter Menschen, die zunehmend Internet nutzen und vielfach noch von Webangeboten ausgeschlossen sind, wird durch diese Aktion nicht besser.

Maßstab kann nur die Frage sein: Können alle, die wollen, die angebotenen Informationen und Dienste nutzen oder werden Menschen durch mögliche Techniken ausgeschlossen. Letzteres ist Diskriminierung. Ein Zertifikat ändert an diesem Grundsatz nichts. An diesem moralischen Anspruch kann man nichts verdienen – außer mehr Nutzer und mehr Kunden.

(Das Gespräch führte Franz Schmahl.)

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