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Gutachter meldet sich ausführlich zu Wort

Ein Schwurprozess in Wien sorgte für helle Aufregung. Nun meldet sich der Gutachter zu Wort.

BIZEPS-INFO berichtete am 25. Jänner von einem Schwurprozess in Wien und zitierte die Tageszeitungen Standard, Kurier und APA, die ausführlich berichteten.

Massiv kritisiert wurde in den Berichten der Sachverständige Dr. Wolfgang Friedl. Hier finden Sie unseren Artikel vom 25. Jänner 2005.

Nun hat sich Dr. Friedl zu Wort gemeldet, der sich massiv missverstanden fühlt. Wir bringen hier seine umfangreiche Darstellung der Dinge:

Dr. Wolfgang Friedl, 12. April 2005

Justizskandal? Journalistenskandal?
In Ihrer Ausgabe vom 25. Jänner 2005 berichten Sie unter „Justizskandal“ über einen Strafprozess, wobei implizit schwere und rufschädigende Angriffe auf meine Tätigkeit als Sachverständiger getätigt wurden. Aus rechtlichen Gründen ist es mir nicht möglich speziell, personenbezogen, darauf einzugehen.

Ausgangspunkt dieser Polemik war eine halbiertes und aus dem Zusammenhang gerissenes, von der Staatsanwältin im Sinne ihres Interesses verwendetes Zitat. Tatsächlich habe ich umfangreich Literatur betreffend die Gehörlosenkultur zitiert. Darunter war auch historische Literatur, also z.B. einen Pionier der Schweizer Gehörlosenbewegung aus 1914, der eben in der Sprache seiner Zeit , bestimmte Sachverhalte kommentiert.

Viele andere, auch sehr berührende, Zitate wurden nicht wiedergegeben. Dieser Literaturüberblick wurde gegeben, um dem Gerichtshof eine Vorstellung von der Vielschichtigkeit der aktuellen und historischen Diskussion zum Thema Gehörlosigkeit zu geben. Eine unmittelbare Identifikation mit einem dieser Zitate erfolgte nicht. Es sollte vielmehr aufgezeigt werden, was zum Thema so alles, widersprüchliches geschrieben und „zusammengeschrieben“, geredet und „dahergeredet“ wird und wurde.

Auch wurde ein Autor zitiert, der behauptet, dass Gehörlose selten einen IQ von 100 erreichen. Ausdrücklich wurde diese Position von mir verworfen, u.A., da die Möglichkeiten einer validen Intelligenzmessung gar nicht vorlag. Was soll daran diskriminierend sein?

Es gibt keinen Hinweis auf erhöhte Delinquenz bei Gehörlosen, obwohl die mit Gehörlosigkeit einhergehenden Defizite derartiges für möglich erscheinen lassen würden. Was soll an dieser Feststellung diskriminierend sein? Das Gegenteil ist der Fall.

Entwicklungsdefizite im Sinne einer Persönlichkeitsstörung kommen in allen denkbaren Konstellationen nicht selten vor. Kein unmittelbarer, zwingender Zusammenhang mit Gehörlosigkeit im Allgemeinen wurde je behauptet. Was ist daran diskriminierend?

Der, es sei ausdrücklich gesagt, nicht von mir in die Debatte gebrachte Begriff „Milieu“, wird emotional besetzt. Warum? Es gibt ein bürgerliches Milieu, ein Arbeitermilieu, aristokratisches, katholisches Milieu, usw.

Banker, Beamte, Gastwirte, Gehörlose, Polizisten, junge Mütter, Bauern, Ärzte usw. sind im Allgemeinen ehrenwerte Leute. Kommt es in seltenen Fällen doch zu einer strafbaren Handlung, so wird es in der Mehrzahl der Fälle einen losen Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu diesen (jetzt muss es sein:) Milieus und der jeweiligen Tat , bezw. der Färbung dieser geben. Weshalb sollten durch diese völlig banale Festsstellung Banker, Beamte, Gastwirte, Gehörlose, Polizisten, junge Mütter und Ärzte diskriminiert sein?

Das „Gutachtermilieu“ könnte tatsächlich Gegenstand vermehrten Nachdenkens sein. Gibt es eine unvertretbare Nähe zu Versicherungen, Richtern oder Traditionen? Oder gibt es diese Nähe nicht? Empfehlenswert wäre dazu die Lektüre der Homepages diverser deutscher Selbsthilfegruppen Gutachtensbetroffener . Dort wird nicht undifferenziert herumgeraunzt, sondern es werden konkrete Missstände angeprangert und beseitigt.

Wirklich „merkwürdig“ und ungemein interessant ist im Zusammenhang mit diesem Fall das fabelhafte funktionieren des „Journalistenmilieus“. Niemand recherchiert eigenständig, schlampig aufgenommene Wortfetzen werden sinnentstellend zu ganzen Sätzen zusammengefasst, falschen Personen zugeordnet und diese fleißig abgeschrieben, aber dafür politisch korrekt.

Wird angenommen, dass man durch besonderes Engagement wenig sorgfältiges Arbeiten kompensieren kann? Will man dadurch Denkarbeit vermeiden? Missbraucht man dadurch nicht die Sache für die man zu stehen vorgibt um eigene Bequemlichkeit zu kaschieren?

Dringend zu empfehlen wäre eine gründliche, eigenständige journalistische Recherche der gesamten in Rede stehenden tragischen und hochkomplexen Vorgänge. Daraus würden sich viele Ansätze einer ernsthaften Diskussion, auch über Diskriminierung von Behinderten, ergeben. Es würden im konkreten Fall Details sichtbar, die ich aus rechtlichen Gründen hier nicht darstellen darf.

Ist die aktuelle Publizistik davon überfordert?
Hat am Ende doch ein junger Medienanwalt recht, der mir gegenüber freundschaftlich äußert: „Wenn Du glaubst, dass ein Journalist, der die Option zwischen Wahrheit und einem reißerischem Sager hat, sich für den Versuch von Wahrheit entscheidet, bist Du ein dummes Schaf“?

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