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Deutschland: Wieder nichts mit dem Antidiskriminierungsgesetz

kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul beschäftigt sich in seinem Kommentar mit dem erneuten Scheitern des Antidiskriminierungsgesetzes in Deutschland.

Jetzt ist es also amtlich: Im Vermittlungsausschuss hat die CDU/CSU und FDP das Antidiskriminierungsgesetz am Montag endgültig für diese Legislaturperiode blockiert und heute hat der Deutsche Bundestag zum letzten Mal in dieser Legislaturperiode getagt, ohne dass das von vielen behinderten Menschen und anderen benachteiligten Gruppen so heiß ersehnte Antidiskriminierungsgesetz endgültig verabschiedet werden konnte.

Es war also wieder einmal nichts mit der Verabschiedung dieses Gesetzes. Es ist sozusagen auf der Zielgeraden hängen geblieben – gescheitert. Denn jetzt heißt es: „Gehe zurück auf Los“ und ins Gefängnis muss auch niemand, wie das beim Monopolispiel zuweilen auch so ist.

Und genauso, wie beim Monopolispiel mag man sich auch vorkommen, wenn man die Geschichte des Antidiskriminierungsgesetzes betrachtet – wie bei einer Art Glücksspiel. Unter der Kohl’schen CDU/FDP-Regierung war noch nicht an ein Antidiskriminierungsgesetz zu denken. Man konnte froh sein, überhaupt das Benachteiligungsverbot für Behinderte in Artikel 3 des Grundgesetzes bekommen zu haben, damals übrigens auch auf der Zielgeraden vor der Bundestagswahl 1994 und nach einem harten Kampf dafür. Dann war wieder jahrelang Funkstille.

Mit rot-grün kam ab 1998 Hoffnung auf, manche spürten sogar einen richtig neuen Wind in der Behindertenpolitik. Das dauerte aber alles ein bisschen, sodass es wieder in die Zielgerade ging, als endlich das Behindertengleichstellungsgesetz Anfang 2002 verabschiedet werden konnte – wieder nachdem viel Druck gemacht wurde. Dieses Gesetz wurde allerdings nicht ohne das Versprechen verabschiedet, das Antidiskriminierungsgesetz noch 2002 separat zu verabschieden, weil der zivilrechtliche Teil nicht im Behindertengleichstellungsgesetz verankert wurde. In einem nicht bundesratszustimmungspflichtigen Antidiskriminierungsgestz sollte das nachgeholt werden.

Aus diesem Versprechen, für das bereits im Dezember 2001 ein Entwurf vom Bundesjustizministerium unter Herta Däubler-Gmelin (SPD) vorlag, wurde dann im Wahljahr 2002 nichts mehr. Die Widerstände seien zu groß gewesen – und der Mut war wohl zu gering.

Umso größer war dann das Wahlkampfgetöse für das Antidiskriminierungsgesetz, nur um nach der Wahl gerade aus dem Bundesjustizministerium, nun unter Brigitte Zypries (SPD), zu hören, dass die Notwendigkeit für die Aufnahme behinderter Menschen und anderer benachteiligter Gruppen in das Gesetz nicht gesehen werde. Das kostete dann die sozialen Bewegungen wieder gut zwei Jahre bis klar war, dass es doch ein umfassendes Gesetz werden soll. Es verging noch mehr Zeit, bis das Gesetz endlich in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde.

Als ob ein Fluch auf diesem Gesetz zu liegen scheint – oder ist es vielleicht einfach nur die niedrige Gewichtung, die dem Gesetz gerade vom Justizministerium beigemessen wird – befand sich die Sache wieder schneller auf der Zielgeraden als gedacht. Denn Bundeskanzler Schröder ebnete den Weg für vorzeitige Neuwahlen. Trotzdem wurde das Gesetz mit einer Reihe von Abschwächungen noch vom Deutschen Bundestag verabschiedet, wobei sich dabei schon abzeichnete, dass es wohl wieder nichts werden wird.

Denn durch die veränderten Mehrheiten im Bundesrat hatte dieser plötzlich aufgrund der Kürze der verbleibenden Zeit in dieser Legislaturperiode die Möglichkeit das Gesetz aufzuhalten, was von der Union und FDP dann auch recht kaltschnäuzig umgesetzt wurde. Dies war die logische Fortsetzung der massiven Kampagne gegen das Gesetz, die die Union und die FDP seit Monaten mit zum Teil äußerst unsachlichen Argumenten betrieben hatte.

So ist das Antidiskriminierungsgesetz auch dieses Mal dazu verdammt, auf der Zielgeraden hängen zu bleiben und auf’s Neue zu scheitern. Jetzt geht also nach der Bundestagswahl wieder alles von vorne los, wahrscheinlich mit einem neuen Justizminister oder einer neuen Ministerin und mit der erneuten Notwendigkeit der mühsamen Überzeugung, wie wichtig dieses Gesetz gerade auch für behinderte Menschen im zivilrechtlichen Bereich ist und der mühevollen Lobbyarbeit, die dazu gehört.

Wie es ausgeht steht dabei noch in den Sternen, es zeigt aber, wie mühsam Politik manchmal sein kann, vor allem dann, wenn diejenigen, die es in der Hand hatten, so rumgeschlurt und dem Projekt eine solch geringe Priorität eingeräumt haben. Vor allem aber auch, weil das Gesetz von der Union und der FDP so massiv abgelehnt wird und wir dadurch wieder förmlich ins überwunden geglaubte Mittelalter der Behindertenpolitik abdriften. Wo wir uns wahrscheinlich wieder nicht enden wollende Litaneien über die nötige Aufklärung der Bevölkerung, den nötigen guten Willen und dass Gesetze doch nichts bringen, anhören müssen.

Der Behindertenbewegung war von Anfang an klar, dass der Weg zur Gleichstellung Behinderter ein sehr langer Marsch wird, ja, einem Marathon gleichkommt. Aber ehrlich gesagt, hätte ich selbst nicht gedacht, dass er so mühsam wird, denn beim Marathon wird man eher euphorisch, wenn man die Zielgerade sieht und geht mit einem Lächeln und Aufrecht über die Ziellinie. Hier werden wir immer wieder an den Start zurückgeschickt – und das haut zuweilen auch die stärksten LäuferInnen um.

Doch wie echte SportlerInnen wird der Behindertenbewegung wohl nichts anderes übrig bleiben, als erneut aufzustehen, munter an den Start zu gehen und das Ziel ins Visier zu nehmen. Denn, wenn wir dies nicht tun, akzeptieren wir Diskriminierungen, die heutzutage glücklicherweise nicht mehr zu akzeptieren sind.

Also, geben wir uns kurz dem Schmerz des verlorenen Laufes hin und rüsten uns für den nächsten Start, denn das Antidiskriminierungsgesetz ist für uns behinderte Menschen und andere benachteiligte Gruppen schlichtweg nicht verzichtbar – nicht in einer Gesellschaft, in der wir derzeit leben und es gibt wenig Aussicht darauf, dass sich diese sonderlich zum Besseren wenden würde – und daran ändern auch die besten Sonntagsreden nichts.

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