Schienen mit einer Weiche

Mit begrenzten Möglichkeiten: Zug fahren in den USA

Die USA gelten als Land der ungegrenzten Möglichkeiten, auch und gerade für behinderte Menschen. Aber beim Thema Bahn fahren, gibt es leider Einschränkungen.

Wir hatten uns entschieden, von New York nach Toronto (Kanada) mit dem Zug zu fahren. Anders als in Deutschland, Österreich oder der Schweiz, gehört der Zug nicht zu den populären Verkehrsmitteln in den USA und Kanada. Die Fahrkarte kauften wir in der Penn Station in New York, einem der großen Fernbahnhöfe. Ein Schalter ist extra für Rollstuhlfahrer eingerichtet – ein niedriger, unterfahrbarer Tresen erleichtert die Kommunikation.

Für schwerhörige Kunden gibt es Induktionsschleifen. Man wies uns darauf hin, dass es für behinderte Fahrgäste Spezialangebote gäbe und so zahlten wir für die Hin- und Rückfahrt der jeweils etwa 12-stündigen Tour für zwei Personen etwas mehr als 300 Dollar – ein Flug hätte etwa das Doppelte gekostet. Für Europäer kann es aber dennoch günstiger sein, sich vor der Abreise im Heimatland einen speziellen Pass zu kaufen, mit dem man, ähnlich wie mit einem Interrail-Ticket, fahren kann.

Wir sollten uns vor Abfahrt in der Wartehalle melden. „Red Caps“ würden uns zum Zug bringen. Die Amerikaner haben sich beim Zug fahren viel vom Fliegen abgeschaut. Es gibt Warteräume und die Passagiere dürfen erst kurz vor Abfahrt des Zuges zum Gleis. Behinderte Passagiere dürfen vor allen anderen einsteigen, wenn der Zug gerade eingesetzt wird. Das war bei uns der Fall. Ähnlich wie bei der Deutschen Bahn AG gibt es auch bei Amtrak (so heißt die amerikanische Bahngesellschaft) Personal, das behinderten Reisenden behilflich ist.

Es handelt sich dabei um Gepäckträger, die leider all zu oft lieber Koffer tragen und dort mehr Aussicht auf Trinkgeld sehen, als behinderte Reisende zum Zug zu begleiten. Der „Red Cap“ ließ uns also prompt stehen. Da ich keine Ahnung hatte, wie die Züge aussehen (mit Stufen oder ohne), fragte ich ihn noch, ob ich alleine in den Zug käme. Er war da zuversichtlich und verschwand.

Die Einrichtungen des Bahnhofs sind – bis auf ein paar sehr steile Rampen – barrierefrei. Auf jedes Gleis führen Fahrstühle, große gelbe Streifen mit Noppen markieren die Gleiskante gut sichtbar. Als wir am Zug ankamen, sah ich, dass der Einstieg zwar um Welten besser war als bei deutschen Zügen. Es gab nur eine, allerdings sehr hohe Stufe, die zu überwinden war. Aber nun wollte ich es schon ganz genau wissen und fragte, ob es denn eine Rampe gebe: Man wurde nervös, schaute sich fragend an und sagte „Nein, aber wir helfen Ihnen.“

Das war zwar nett gemeint, entsprach aber nicht meinen Vorstellungen von barrierefreiem Reisen. Dennoch fand ich es faszinierend, dass man einen Zug, der den europäischen Modellen doch sehr ähnlich sieht, fast ebenerdig in einen Bahnhof einfahren lassen kann. Bei den meisten anderen Bahnhöfen auf der Strecke, war das allerdings nicht der Fall und die Reisenden mussten sich, wie bei uns, mit den Koffern die Treppen hochquälen.

Der Zug war sehr komfortabel ausgestattet – zumindest für Menschen, die auf zwei Beinen durch den Zug gingen. Die Sitze erinnerten an die Business Class eines Flugzeugs, man konnte fast liegend die Landschaft an sich vorbeiziehen lassen. Unser Zug hatte in jedem Wagen einen Rollstuhlplatz. Zwei Rollstuhlfahrer konnten zumindest in unserem Zug aber nicht so ohne weiteres zusammen sitzen.

Der Platz neben der Stellfläche für den Rollstuhl verfügt über eine klappbare Armlehne und ermöglicht das problemlose Umsteigen. In moderneren Zügen gibt es an jedem Platz eine Steckdose, auch der Rollstuhlstellplatz hat eine eigene. Letztlich ermöglicht die Amtrak auch Rollstuhlfahrern ein bequemes Reisen – vorausgesetzt sie müssen nicht zur Toilette. Während die Wagen recht bequem ausgestattet sind, ist die Toilette der große Schwachpunkt.

Zwei Toiletten gab es in unserem Wagen – eine winzige Toilette für nicht behinderte Fahrgäste und eine Toilette, die angeblich eine Rollstuhltoilette sein sollte. Wer diese Toilette nutzen will, muss schon akrobatisches Können beweisen und sollte einen Rollstuhl haben, der kaum breiter ist als 60 Zentimeter, sonst gibt es Probleme. Mit einem E-Rollstuhl oder gar Assistenz wird es eng oder unmöglich. Die Toilette ist von keiner Seite direkt anfahrbar.

Direkt vor der Toilette ist ein Waschbecken – auch das hat sich die Amtrak vielleicht von den Flugzeugen abgeguckt. Am Eingang steht ein großer Mülleimer, der erst aus dem Raum getragen werden muss, sonst passt kein Rollstuhl hinein. „Barrierefreies Reisen“ sieht anders aus.

Die Bahnstrecke zwischen New York und Toronto ist traumhaft und besonders im Herbst sehr schön, wenn die Wälder in verschiedenen Farben leuchten. Auch die Niagara Fälle kann man vom Zug aus bewundern.

In unserem Zug gab es ein kleines Bistro – für Rollstuhlfahrer unerreichbar, weil die Gänge zu schmal sind. Und überhaupt ist man gut beraten, sich seine Verpflegung bei einer 12-Stunden-Tour selbst mitzubringen. Die Auswahl war nicht üppig.

In Toronto angekommen, ähnelte das Prozedere doch sehr den deutschen Gepflogenheiten. Der Bahnsteig ist weit unterhalb des Zuges und die „Red Caps“ kommen mit einem Hublift. Bei der Abfahrt dann genau das gleiche. Anmelden muss man sich nicht, es ist eh immer jemand am Zug, der den Hublift bedienen kann.

Wer auch bei engerer Umgebung noch klar kommt, sollte beim nächsten USA-Urlaub ruhig mal das Zug fahren in Erwägung ziehen – alleine schon, um die teilweise fast ebenerdigen Einstiege hochfluriger Züge zu bewundern und die schönen Strecken zu genießen. Allen anderen sei gesagt, dass Amtrak längst nicht die Erwartungen erfüllt, die behinderte Reisende vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten haben.

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