Ryan Commerson mit Protestplakat

Hungern für Gebärdensprache – Interview mit Ryan Commerson

Der gehörlose Ryan Commerson hungerte mehr als eine Woche vor einer Gehörlosenschule in den USA.

Im US-Bundesstaat Michigan war der gehörlose Ryan Commerson mehr als eine Woche im Hungerstreik, um für bessere Bildungschancen gehörloser Kinder zu kämpfen. In einem kobinet-Interview erklärt er die Situation gehörloser Kinder in seiner Heimat. Das Interview wurde per Mail geführt, übersetzt und ist in leicht gekürzter Fassung wieder gegeben.

kobinet: Bitte erklären Sie unseren Leserinnen und Lesern in Deutschland, Österreich und der Schweiz, wie die Situation gehörloser Kinder in Michigan ist.

Ryan Commerson: Gehörlose Kinder darben nach einem Zugang zur Sprache. Schulabgänger der Gehörlosenschule Michigan (MSD) können wie Dritt- oder Viertklässer lesen, während im Rest des Landes die Schulabgänger eine Lesefähigkeit eines Achtklässers aufweisen.

Es ist offensichtlich, dass gehörlose Kinder in Michigan nicht die beste Bildung erhalten, die möglich wäre und die sie bekommen sollten. MSD setzt derzeit auf die „Total Communication (TC) Philosophie“, um die Schüler zu unterrichten. Die TC-Philosophie ist eine Bildungsmethode, die darauf basiert, die Methode einzusetzen, die den Bedürfnissen der Schüler gerecht wird – an die Tafel schreiben, amerikanische Gebärdensprache einsetzen, Oralismus, Lippen lesen, cued speech, und so weiter.

Aber über die Jahre wurde TC darauf reduziert, SimCom (Simultaneous Communication) – Gebärden und Sprechen zur gleichen Zeit – einzusetzen. Es gibt viele Mitarbeiter, die nicht fließend Gebärdensprache können. Und eine Folge davon ist, dass gehörlose Kinder nicht den Zugang zu Bildung erhalten, den sie verdient hätten, weil der Zugang zur Sprache fehlt.

kobinet: Was wollen Sie mit der Demonstration erreichen?

Ryan Commerson: Wir würden gerne erreichen, dass an der Gehörlosenschule von Michigan bilinguale und bikulturelle (Bi-Bi) Bildung stattfindet. Wir würden gerne erreichen, dass ein besser qualifizierter Direktor ein Bi-Bi-Programm einführt. Wir möchten, dass die Menschen in Michigan wahrnehmen, was an der Schule passiert und Maßnahmen ergreifen. Wir möchten, dass der Staat die „Deaf Child’s Bill of Rights“ (Anm. d. Red.: Gesetzentwurf, der die Rechte gehörloser Kinder in Bildungseinrichtungen festlegt) verabschiedet. All das könnte gemacht werden und manches davon wurde bereits angefangen.

kobinet: Es gibt also Bildungsschwächen, weil es Schwächen in der Kommunikation gibt?

Ryan Commerson: Ja. Derzeit gibt es nicht wenige Lehrer, die nicht in Amerikanischer Gebärdensprache ausgebildet sind. Das führt dazu, dass Schüler für andere Schüler übersetzen. Lehrer und Angestellte nutzen zudem SimCom – Gebärden und Sprechen zur gleichen Zeit – wie kann jemand zwei Sprachen gleichzeitig nutzen und behaupten, er könne die Sprachen fließend?

Das ist wie Spanisch sprechen und Deutsch denken gleichzeitig – es ist natürlich klar, dass eine der beiden Sprachen nicht fließend sein wird. Es ist einfach nicht effektiv, SimCom zu nutzen, besonders dann nicht, wenn jemand nicht fließend Amerikanische Gebärdensprache kann. Die Sprache ist nicht klar und die Schüler verstehen so nicht den ganzen Inhalt.

kobinet: Wie ist die Situation in der Gehörlosenschule von Michigan verglichen mit Schulen in anderen Staaten der USA?

Ryan Commerson: Es gibt derzeit mehr als 14 Gehörlosenschulen in den USA, die ein Bi-Bi-Programm aufgelegt haben und damit sehr erfolgreich waren bislang. Dazu gehören die Indiana School for the Deaf, Metro Deaf School (Minnesota), Minnesota State Academy for the Deaf, North Star Academy (Minnesota), Texas School for the Deaf, California School for the Deaf in Fremont, New Mexico School for the Deaf und die Rocky Mountain Deaf School (Colorado), um mal ein paar zu erwähnen.

Wer sich für die Ergebnisse der Indiana School for the Deaf interessiert, es gibt ein Powerpoint-Dokument, das aufzeigt, wie der bilinguale Ansatz bereits nach wenigen Jahren Erfolge erzielt hat.

Wie dem auch sei, es gibt immer noch viele gehörlose Kinder in den USA, die keinen Zugang zu Sprache und Bildung haben und genauso gibt es gehörlose Menschen in den USA die unterdurchschnittliche Grundfertigkeiten haben. Das muss geändert und verbessert werden. Mit mehr Bewusstsein und politischem Druck für eine bessere Sprache und besseren Bildungszugang, können wir das erreichen.

kobinet: Wann haben Sie den Hungerstreik beendet?

Ryan Commerson: Der Hungerstreik endete am Montag, den 28. November nach einem Treffen mit Dr. Jeremy Hughes (Deputy Superintendent/Chief Academic Officer des Bildungsministeriums von Michigan).

Ich habe nach acht Tagen des Darbens wieder angefangen zu essen, aber ich war immer noch nicht zufrieden bezüglich der Deaf Child’s Bill of Rights. Ich wollte den Protest fortsetzen bis einer der Gesetzgeber Interesse an der Unterstützung des Entwurfs zeigt. Am Freitag, den 2. Dezember, bekam ich eine E-Mail von Dr. Hughes, der mir mitteilte, dass das Bildungsministerium eine Arbeitsgruppe einsetzen werde, die den besten Bildungsansatz herausfinden soll. Dieser werde dann als Vorschlag an den Superintendent der Schulen, Mike Flanagan, weiter gereicht.

Das ist großartig, weil das bedeutet, dass der Staat uns zugehört hat und etwas unternimmt, die Gehörlosenschule Michigan zum Besseren zu verändern. Als ein Ergebnis werden wir hoffentlich bald positive Veränderungen für gehörlose Kinder in Michigan und im Rest des Landes sehen.

kobinet: Herzlichen Dank für das Interview.

(Das Interview führte Christiane Link)

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