Wappen Land Wien

Situation der Persönlichen Assistenz in Wien

Geschichte und Ausblick (3. Teil des Freak-Radio Interviews von Gerhard Wagner mit Mag. Dorothea Brozek)

Gerhard Wagner: Wie sehen die Rahmenbedingungen für Persönliche Assistenz in Wien aus und wie groß ist jetzt der Spielraum von Menschen mit verschiedenen Behinderungen?

Mag. Dorothea Brozek: Ich kann sagen: Einerseits hat es mit 2002 mit Gründung der WAG im Rahmen des Behindertenhilfegesetzes die Möglichkeit gegeben, gleichsam auf einem Hilfskonstrukt Persönliche Assistenz in einem bestimmten Ausmaß über die Wiener Assistenzgenossenschaft zu organisieren.

Das war so ein Beginn, wo die Stadt Wien bereit war, etwas auszuprobieren: Im Laufe der ersten zwei Jahre stellte sich heraus, dass das für einzelne Menschen zu wenig Stunden waren – konkret sind es acht Stunden die Woche, die mit dieser „kleinen Pauschale“ finanziert wird. Einige unserer Kundinnen, Kunden und Genossenschaftsmitglieder sind einfach hartnäckig und kämpfen um ihre Möglichkeiten und um ihr Recht: So kam es zur Entwicklung, dass die sogenannte „große Pauschale“ eingeführt wurde, mit doppelt so vielen Stunden, in Form einer Direktzahlung: Das war die zweite Entwicklung.

Aber immer dann, wenn wir mit der Behörde grundsätzlich über Persönliche Assistenz diskutieren wollten, kam lange Zeit die Antwort: So etwas kennen wir überhaupt nicht!

Persönliche Assistenz gibt es überhaupt nicht in Wien, denn das was jetzt geleistet wird, ist ja überhaupt nur Behindertenhilfegesetz, das ist ja ganz etwas anderes. Ich tue mir jetzt auch schwer beim Beschreiben, denn es war so schwer zu fassen. Das war der Beginn.

Gerhard Wagner: Acht Stunden, 16 Stunden, das bezieht sich natürlich vermutlich auf den Tag…

Mag. Dorothea Brozek: … Das bezieht sich auf die Woche. …

Gerhard Wagner: Auf die Woche? Aber acht Stunden oder 16 Stunden sind ja trotzdem viel zu wenig?

Mag. Dorothea Brozek: Das ist gerade für Menschen, die Persönliche Assistenz brauchen, sehr oft viel zu wenig! Eine Herausforderung hier war und ist, dass die Stadt Wien bislang keine Stundenfinanzierung in der Behindertenhilfe kennt, sondern nur pauschale Zahlungen. Das war auch so eine Herausforderung, weil man nie den Hilfebedarf gegenüber der Behörde formulieren konnte, denn die kannte nur Pauschalen. Der Tenor war: „Macht´s halt mit den Pauschalen die Persönliche Assistenz so, wie es möglich ist!“ Wir hatten auch keine Vorgaben. Wir haben dann natürlich die Pauschalsätze durch unseren Stundensatz dividiert und so viele Stunden waren dann möglich…

2004, als die Richtlinie für Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz war dann schon ein neuer Schritt, weil es seitdem eine Finanzierung für den Lebensbereich Arbeit gibt: Behinderte Menschen haben die Möglichkeit, Persönliche Assistenz dafür finanziert zu bekommen, unabhängig vom Einkommen und so viel, wie notwendig ist.

Damit sind die Bundesländer ein wenig in der Pflicht: Denn, wenn behinderte Menschen nicht diese ganzheitliche Persönliche Assistenz haben können, dann wird Berufstätigkeit behinderter Menschen unterbunden und verhindert. Das müssen sich die Bundesländer gefallen lassen! Denn, wenn es auf der einen Seite im Arbeitsbereich möglich ist, und weil es doch viele Personen gibt, die eine umfassende Assistenz brauchen, dann haben sie nichts davon, wenn sie in der Früh, wie schon gesagt, nicht aus dem Bett kommen!

Die Bundesländer sind ganz verschieden weit. In Wien ist es jetzt so, dass es seit einem Jahr eine Arbeitsgruppe des „Fonds Soziales Wien“ gemeinsam mit betroffenen Experten und Expertinnen gibt – die WAG ist auch dabei – die an Rahmenbedingungen gemeinsam arbeitet. Seit September läuft ein Modellversuch für Persönliche Assistenz in Wien. Da wird sich zeigen, wie viel „Handschlagqualität“ die Verantwortlichen haben und für welche Rahmenbedingungen sie sich engagieren: Wollen sie ein bisschen Persönliche Assistenz mit den modernen „direkt payments“, was natürlich Grundlage der Persönlichen Assistenz ist?

Aber es wird ja immer darauf geschaut, dass es ja nicht zu viel ist, weil immer gedeckelt wird und auf die Möglichkeit des „Arbeitgebermodells“ verwiesen wird, in dessen Rahmen sich die Kunden alles organisieren können/müssen, „wenn es bei der WAG zu teuer wird“ – das ist das eine.

Gerhard Wagner: Das heißt beim Arbeitgebermodell, dass sich die Kunden alles selbst machen müssten inklusive Buchhaltung und Verrechnung?

Mag. Dorothea Brozek: Genau: Das ist die eine Möglichkeit, die ich heraushöre: Natürlich habt ihr Wahlmöglichkeit, ihr bekommt dann halt einen Geldbetrag und könnt euch Assistenz organisieren, und wenn dann in den Diskussionen ein bisschen ans Tageslicht dringt, dass es unter Umständen nicht reicht, dann heißt es neuerdings: Naja, aber im ArbeitgeberInnenmodell wird es schon reichen!

Da wird die Diskussion nicht nachvollziehbar. Denn hier gibt es sehr mühsame Diskussionen, ob überhaupt behinderte Menschen für sich anleiten können und die AssistentInnen gut einschulen können, wie sie liegen wollen, wie sie auf die Toilette gehoben werden, mit der sogenannten „Anleitungskompetenz“ gibt es oft Zweifel seitens der Behörden, ob das die Menschen mit Behinderung tatsächlich für sich übernehmen können, wenn sie nicht diplomiertes oder geschultes Personal haben. Da macht man sich in den Diskussionen viele Sorgen, aber wenn es dann um die Kosten geht, macht man sich dann plötzlich keine Sorgen, alle behinderten Menschen in das Arbeitgebermodell zu schicken. Da frage ich mich schon, sind alle Menschen als Arbeitgeber geboren? Kann das jeder einfach so ohne Beratung? Viele werden es können – ja! – und das ist gut so. Und behinderte Menschen sollen dazu auch die Möglichkeit haben. Aber sie sollen vor allem die Möglichkeit haben zu entscheiden: Mache ich das wirklich als Arbeitgeber oder mache ich das zum Beispiel als Kundin bei der WAG?

Gerhard Wagner: Mir kommt so vor, als würde man von einem Extrem ins andere fallen: Einerseits die extreme Unselbständigkeit, die heute noch, und auch in Wien, in Heimen zu finden ist, wo unbeeinflusst vom Individuum bestimmte Zeiten festgelegt werden und bestimmte Dinge fix geregelt sind, und es darüber kaum etwas zu diskutieren gibt – und auf der anderen Seite muss man doch Selbständigkeit auch lernen können. Spielt sich das tatsächlich in diesen Extremen ab – denn das Heim ist ja noch immer Realität für viele – oder ist das dann gar nicht drin in den Denkmodellen?

Würden nicht viele vielleicht selbstbestimmter leben wollen als im Heim, wenn sie könnten? Ist es dann nicht extrem, wenn man da sagt, na gut, aber wenn, dann müsst ihr euch dann gleich alles selbst organisieren?

Mag. Dorothea Brozek: Die Wiener Assistenzgenossenschaft ist ja nicht ein klassischer Anbieter. Wir sind ein Zusammenschluss von behinderten Menschen, welche die Assistenzgenossenschaft gegründet haben, um gemeinsam als ExpertInnen in eigener Sache Persönliche Assistenz zu organisieren.

Wir Gründer und Gründerinnen der WAG sind der Ansicht, dass alle behinderten Menschen, die es wollen und brauchen und wo es notwendig ist, mit Persönlicher Assistenz leben sollen. Und das muss man lernen! Ein Prinzip von Persönlicher Assistenz ist, dass wir auf Basis des „Peer Prinzips“ von einander lernen, uns weiterbilden und schulen, nämlich Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen zu sein – das ist auch einer der Bausteine der Wiener Assistenzgenossenschaft. Genauso wie wir es bei den Kolleginnen und Kollegen in Schweden gesehen haben: Wenn wir uns jetzt Herrn und Frau Meier von der Straße (ohne Behinderung) hernehmen und ihn oder sie als Arbeitgeber irgendwo platzieren würden und der oder die müsste einen Einpersonenbetrieb führen – diese Person würde ohne Schulung ganz schön ins Schwimmen kommen!

Und behinderten Menschen, denen man zuerst gar nicht zutraut, wenn sie es brauchen, dass sie etwas können, dann, wenn es ums Geld geht, ihnen gleich das Arbeitgebermodell präsentiert, das finde ich auch schamlos!

Gerhard Wagner: In welche Richtung gehen derzeit die Energien der Wiener Assistenzgenossenschaft?

Mag. Dorothea Brozek: Die Energien gehen zum Einen, die Qualitätsstandards für unsere Kundinnen und Kunden, für unsere Genossenschaftsmitglieder weiter zu entwickeln: Das heißt, dass wir weiterhin unsere Seminare „Managen will gelernt sein“ ausbauen werden und sie jetzt auch zweimal im Jahr anbieten werden – im Sinn einer Ausbildung für unsere Kunden, damit sie gute Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen sein können.

Natürlich auch in die Zusammenarbeit mit Behörde und Politik, damit wir zu einer guten und befriedigenden Rahmenbedingung für Persönliche Assistenz in Wien kommen. Ich bin ein positiv denkender Mensch und ich bin überzeugt, dass wir das auch schaffen – gemeinsam mit allen Verantwortlichen, die das auch wollen. Und bei all der Skepsis, die ich vorher auch artikuliert habe, glaube ich, dass es mittlerweile so viele Verantwortliche gibt, die es wollen, dass Persönliche Assistenz in Wien nicht mehr aufzuhalten ist!

Ergänzung, Kommentar von Gerhard Wagner:

Mittlerweile ist es Mitte Jänner, es sind vier Monate vergangen, seit der „Fonds Soziales Wien“ (FSW) unter großem medialen Aufmerksamkeit den Pilotversuch gestartet hat. Die Stadt Wien (der FSW) hatte ursprünglich in Aussicht gestellt, dass für 25 Menschen mit Behinderungen Persönliche Assistenz ermöglicht werden wird. Nun, nachdem 50, also doppelt so viele behinderte Menschen Anträge gestellt haben, ist noch kein einziger Fall bewilligt worden! Damit hängen 50 Menschen monatelang in der Luft und sind in ihrer Lebensplanung durch diese Handlungsweise des Nichtentscheidens extrem eingeschränkt, weil sie nicht wissen, ob und wann der Antrag positiv entschieden ist. Wie sagte einmal Mag. Dorothea Brozek? „Durch Warten macht man die Menschen mürbe!“

Teil 1: Über die Themen Gleichstellungsgesetz und Pflegegeld – lesen Sie hier

Teil 2: Über Medizinisches Modell versus Selbstbestimmung – lesen Sie hier

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich