Sterbehilfe

Todesstrafe für Behinderte?

Clarence Ray Allen hatte gestern seinen 76. Geburtstag.

Zum Feiern wird ihm wohl wenig zumute gewesen sein – er wurde heute, am 17.1.06 mit einer Todesspritze hingerichtet, nachdem bis zuletzt alle Gnadengesuche abgelehnt wurden.

Der bereits vor 23 Jahren zum Tode Verurteilte ist blind und beinahe taub, auf den Rollstuhl angewiesen und hatte kürzlich eine schwere Herzattacke. Er ist der älteste zum Tode verurteilte Gefangene in Kalifornien. Allen soll 1980 die Ermordung von drei Menschen angeordnet haben (er behauptet seine Unschuld), während er bereits lebenslänglich wegen eines früheren Mordes hinter Gittern saß.

Die Vollstreckung des Urteiles ist zwar nicht mehr oder weniger menschenverachtend und abzulehnen als wäre er nicht behindert, schwer krank oder fortgeschrittenen Alters, aber diese Tatsache macht die Sinn- und Nutzlosigkeit solchen Handelns noch deutlicher.

Ob die Hingerichteten in der Todeszelle Gewandelte wurden, wie die vor acht Jahren in Texas exekutierte Karla Fay Tucker oder der vor einigen Wochen in Kalifornien zu Tode gespritzte Stanley „Tookie“ Williams oder die ihnen zur Last gelegten Verbrechen leugnende Todeskandidaten wie nun der blinde Clarence Ray Allen oder unreuige Schwerverbrecher, die sich ihrer abscheulichen Verbrechen bis zur letzten Minute rühmen – für alle Hinrichtungen gilt, dass letztlich keinesfalls auch nur ein bisschen Gerechtigkeit vollzogen wird.

Befürworter der Todesstrafe müssten konsequenterweise auch für Folter und Blutrache eintreten sowie bereit sein, selber Hand anzulegen.

Dass dies zu Anarchie und Willkür nach dem Recht des Stärkeren führt, ist jedem klar. Das biblische Gesetz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ist als frühe regulative Einschränkung zu solch ausufernder Selbstjustiz zu betrachten.

Aber unabhängig davon, wie man grundsätzlich zur Todesstrafe steht, ist es eine Tatsache, dass z.B. auch in den Vereinigten Staaten, trotz rechtsstaatlicher Prozesse, einige der Hingerichteten (vielleicht 5 %) tatsächlich unschuldig waren, also definitiv Opfer von Justizmorden wurden.

Das allein sollte Grund genug sein, von der irreversiblen Todesstrafe abzugehen!

Weltweit werden jährlich etwa viertausend Menschen hingerichtet (etwa 90% davon in China), die Meisten davon ohne ordentlichen Prozess, oft im Geheimen. Die Schuld der Hingerichteten ist oft nur, politisch oder religiös anders zu denken als von oben verordnet.

Trotz zahlreicher Appelle, den behinderten Todeskandidaten Clarence Ray Allen zu begnadigen, z. B. auch durch den Generalsekretär des Europarates und durch die Evangelische Kirche Österreichs, zeigt der Gouverneur „Terminator“ Arnold Schwarzenegger auch dieses Mal mit dem „Daumen nach unten“.

So diese Aufrufe sicher gut gemeint und richtig sind, soll deren Doppelbödigkeit aber auch nachdenklich stimmen – warum?

Es gehört anscheinend in Europa zum guten Ton, sich über die brutale US- Gesellschaft zu echauffieren, welche sich niederen Rache-Instinkten hingibt.

Die Neue Welt wird von der Alten Welt aufgefordert, sich mit der Abschaffung der Todesstrafe „allen zivilisierten und demokratischen Ländern“ anzuschließen.

Wir Europäer fühlen uns besser und in Bezug auf die Todesstrafe sind wir, historisch bedingt, tatsächlich etwas geläuterter. Vielen vielleicht unbequem, möchte ich eine Analogie zu diesem aktuellen Fall herstellen:

Durch die Rasterfahndung nach behindertem Leben mittels vorgeburtlicher Diagnostik wird immer ausgefeilter nach Abweichungen von der Norm gesucht und gefunden.

Die „Terminierung“ (sogar Spätabtreibung bis hin zur Geburt) behinderter Mitmenschen (oft durch eine Todesspritze) nach sogenannter „Eugenischer Indikation“ ist fast überall im „zivilisierten“ Europa, so auch hierzulande, Realität!

Die Toleranz gegenüber solch unhaltbaren Unrechtes führt nun in Europa sogar zu ernsthaften Diskussionen über Früh- Euthanasie an Neugeborenen bei schwerer Behinderung oder Krankheit. In den Niederlanden ist diese Praxis bereits Realität!

Die Zeitabstände, nach denen sich nachdenkliche (quer- bzw. selbst-denkende) österreichische Politiker, oder sonstige Personen des öffentlichen Lebens, durch Äußerungen zu diesem Unrecht die Finger verbrennen, werden auch immer länger.

Nach der Idee einer „Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ wie im Film „Minority Report“ wäre in diesem Sinne das einzige „Verbrechen“, dessen man die noch nicht geborenen Mitbürger beschuldigen kann, das zukünftige Verursachen von möglicherweise höheren Kosten für Ausbildung, eventuell Behandlung, Rehabilitation und Betreuung (als der Durchschnitt).

Sind uns, als eine der reichsten Gesellschaften der Welt, die möglicherweise dadurch zu erzielenden Einsparungen weiterhin so viel wert, dass wir elementare Menschenrechte weiterhin aus niederen Motiven so brutal mit Füßen treten?

Wann reihen wir uns wieder in die Gemeinschaft von zivilisierten Gesellschaften ein? Im Jahr „Eins“ des Behindertengleichstellungsgesetzes wäre das vielleicht eine Chance!

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