Lydia la Rivière-Zijdel

„Auch behinderte Menschen können selbstverständlich Lesben oder Schwule sein“

Lydia la Riviere-Zijdel, Menschenrechtsexpertin aus den Niederlanden, im Interview zur geplanten UN-Kovention.

Die Lobbyarbeit bei der Sitzung vom 16. Jänner bis 3. Februar 2006 in New York für eine Konvention „zur Förderung und zum Schutz der Rechte und Würde von Menschen mit Behinderungen“ der UNO ist grenzüberschreitend.

BIZEPS-INFO: Welche konkreten Erwartungen haben Sie an diese Verhandlungsrunde? Welche Fortschritte könnte es geben?

Lydia la Rivière-Zijdel: Ich erwarte, dass wir alle Themen in der Konvention besprechen können, und die NGOs sowie die Regierungsdelegationen verstehen, wie wichtig es ist, noch im laufenden Jahr zu einem Ergebnis zu kommen. Ich denke, dass wir in diesen kommenden drei Wochen Fortschritte erleben werden.

BIZEPS-INFO: Welcher Punkt ist Ihnen in dieser Verhandlungsrunde besonders wichtig? Was wollen Sie inhaltlich beitragen?

Lydia la Rivière-Zijdel: Zwei Themen: Erstens: Dass die internationale Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern im Artikel 32 gut geregelt wird. Die Globalisierung zwingt behinderte Menschen in Entwicklungsländern mehr und mehr in die Armut. Die Feminisierung von AIDS spielt dabei auch eine wichtige Rolle; im Besonderen erkranken immer mehr Frauen und Kinder an AIDS und werden so zu behinderten Menschen. Jede Europäische Regierung soll in ihren Entwicklungsprogrammen behinderte Menschen (auch jene mit HIV/AIDS) mitberücksichtigen.

Der „Gender“-Denkansatz ist für die Konvention unglaublich wichtig. Behinderung unterscheidet nicht zwischen Frauen und Männern und in unserer Gesellschaft ist „Ungleichbehandlung“ (auch unter behinderten Menschen) noch immer eine Tatsache.

Zweitens: Ein „Twintrack-approach„, eine zweifache Annäherung zum Thema „Behinderte Frauen“ ist notwendig, um einerseits die „Gleichberechtigung von Frau und Mann“ analog zum EU-Vertrag weiter auszubauen, andererseits soll ein separater Artikel spezielle Frauenanliegen, wie die Bekämpfung erzwungener Abtreibung und Sterilisation sowie geschlechtsspezifischer Gewalt und Unterdrückung, abdecken.

BIZEPS-INFO: Eine der Forderungen ist, dass in Zukunft Entwicklungsprogramme grundsätzlich auch immer für behinderte Menschen zugänglich sind. Welchen Stellenwert geben Sie dieser Forderung?

Lydia la Rivière-Zijdel: Das habe ich eigentlich bereits beantwortet. Solidarität mit unseren behinderten Schwestern und Brüdern ist absolut notwendig!

BIZEPS-INFO: Behinderte Frauen fordern vehement die durchgängige Berücksichtigung ihrer Forderungen in der Konvention. Was ist hier Ihrer Meinung nach in diesem Bereich notwendig?

Lydia la Rivière-Zijdel: Das ist absolut richtig und gut so – siehe meine Antwort zu Frage 2). Es geht hier nicht um eine kleine Gruppe sondern um die Hälfte der Menschheit; bei den Frauen sogar um mehr als die Hälfte. Frauen sind heutzutage immer noch Opfer von Unterdrückung und Gewalt durch Männer. In unserer Gesellschaft herrscht eine Machtungleichheit.

Frauen leben jeden Tag mit Gewalt oder Angst vor geschlechtsspezifischer Gewalt. Untersuchungen unter behinderten Frauen und Mädchen zeigen, dass 70% der behinderten Frauen mit Gewalt zu tun haben und in 96% der Fälle Männer die Täter sind. Viele Frauen mit Behinderung – auch in Europa – werden zwangssterilisiert (im Gegensatz dazu nur ein geringer Prozentsatz der Männer mit Behinderung) oder wegen ihrer Behinderung (nicht nur einer geistigen Behinderung) abgetrieben.

BIZEPS-INFO: „The International Lesbian and Gay Association“ sowie eine Reihe von nationalen Lesben- und Schwulenorganisationen weisen daraufhin, dass in Bezug auf Mehrfachdiskriminierung die Aufzählung der „sexuellen Orientierung“ fehlt und fordern die Berücksichtigung im Konventionstext. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass in der Konvention auch die Menschenrechte von behinderten Lesben und Schwulen geschützt werden?

Lydia la Rivière-Zijdel: Ich habe bei den letzten beiden Treffen in New York sehr hart argumentiert, dass die „sexuelle Orientierung“ mit aufgenommen werden muss sowie die ILGA (The International Lesbian and Gay Association) gefragt, ob sie eine Kampagne starten möchten, um die Bewusstseinsbildung in den Regierungen zu verstärken. Auch behinderte Menschen können selbstverständlich Lesben oder Schwule sein, obwohl es nicht selbstverständlich ist, innerhalb der Behindertenbewegung dafür Verständnis dafür zu bekommen. Offenbar leben wir noch in einer sehr homo- / lesbophoben Welt. Weder Behinderung noch Homosexualität sind Krankheiten sondern eine Lebensweise.

BIZEPS-INFO: Wir danken für das Interview.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich