Jagd nach dem Recht

Sehbehinderten- und Blindenorganisationen einhellig für geplante Änderung des Notariatsaktsgesetzes

Heftige Widerstände gab es im Begutachtungsverfahren gegen die geplanten Lockerungen der Notariatsaktspflicht für sinnesbehinderte Menschen nach dem Bundes-Behindertengleichstellungs-Begleitgesetz . Nun machen Behindertenorganisationen mobil.

Ende Jänner lief die Frist zur Begutachtung des Bundes-Behindertengleichstellungs-Begleitgesetzes ab. Teil dieses Gesetzesentwurfes ist auch eine Novelle zum Notariatsaktsgesetz, mit der es zu Lockerungen der Notariatsaktspflicht für sinnesbehinderte Menschen kommen soll. Konkret beabsichtigt das Justizministerium folgende Maßnahmen:

  • Für Rechtsgeschäfte, die eine behinderte Person in ihrer Eigenschaft als Unternehmer schließt, soll die Notariatsaktspflicht künftig nicht mehr gelten.
  • Für Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens und bankübliche Verträge, die sich auf ein Girokonto beziehen, soll die Notariatsaktspflicht dann nicht mehr gelten, wenn die blinde Person durch ein geeignetes technisches Hilfsmittel oder die gehörlose oder der lautsprachlichen Kommunikation nicht mächtige Person, unter Zuhilfenahme eines Gebärdensprachdolmetschers, Kenntnis vom Inhalt der Urkunde erhält.

Insbesondere die Österreichische Notariatskammer und die Österreichische Wirtschaftskammer sprachen sich in ihren Stellungnahmen zum Begutachtungsentwurf vehement gegen die geplante Ausnahme von Unternehmern mit Behinderung von der Notariatsaktspflicht aus. Die Kammern vermeinen in der beabsichtigten Maßnahme eine gleichheitswidrige Ausnvahme einer bestimmten Gruppe behinderter Menschen von einer notwendigen und bewährten Schutzbestimmung zu orten.

Doch wie sehen das die betroffenen Menschen mit Behinderung?

Einer der betroffenen Unternehmer mit Behinderung ist der selbst blinde Nenard Vigele, der seit einigen Jahren die Firma Cheenetel Telekommunikation BetriebsgesmbH. als Geschäftsführer leitet. Er meint dazu: „Ich spüre als behinderter Unternehmer doch immer wieder die Diskriminierungen aufgrund der Behinderung im Geschäftsleben. Die Notariatsaktspflicht für behinderte Unternehmer gehört auch dazu, da das ein großer Zusatzaufwand für mich ist, jedesmal, wenn ich einen Vertrag mit einem Geschäftspartner schließen will, zum Notar gehen zu müssen, die Geschäftspartner dazu zu bringen, den Notariatstermin auf sich zu nehmen usw. Ich habe viel mit Geschäftspartnern im Ausland, z. B. Spanien oder die Ostländer, zu tun, doch eine solche Rechtslage, die die Flexibilität eines behinderten Unternehmers derart nachteilig einschränkt, habe ich nirgendwo vorgefunden. Und außerdem denke ich, dass mir eine, mir gut bekannte und zuverlässige, Vertrauensperson oftmals mehr „Schutz“ bieten würde als der Notar. Ich kann es daher nur sehr gut heißen, wenn die Notariatsaktspflicht für Rechtsgeschäfte von behinderten Unternehmern endlich fiele.“

Und wie sehen das die Interessenvertretungen der behinderten Menschen?

Gerade die relevanten Interessenvertretungen sehbehinderter und blinder Menschen, der Österreichische Blinden- und Sehbehindertenverband, die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs und der Verein Blickkontakt begrüßen durchwegs die geplanten Änderungen zum Notariatsaktsgesetz, waren sie doch auch immer wieder mit Berichten von Betroffenen konfrontiert, die sich über Benachteiligungen durch diese rigide und teilweise überkommene Notariatsaktspflicht beklagten. Darüber hinaus machte auch das Forum Gleichstellung in seiner Stellungnahme zum Begutachtungsentwurf klar, dass die geplanten Maßnahmen insgesamt begrüßt werden. Und in gleicher Weise nahm die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (ÖAR) zum Entwurf des Bundes-Behindertengleichstellungs-Begleitgesetzes Stellung.

Nun machen der Verein Blickkontakt, der Österreichische Blinden- und Sehbehindertenverband und die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs geeint mobil gegen die Widerstände der Kammern. In einem gleichlautenden Schreiben der drei Interessenvertretungen wenden sich diese an die zuständigen Bundesministerinnen, Justizministerin Gastinger und Sozialministerin Haubner, wie folgt:

„Sehr geehrte Frau Bundesministerin!

Der Verein Blickkontakt, Interessensgemeinschaft sehender, sehbehinderter und blinder Menschen,/der Österreichische Blinden- und Sehbehindertenverband/die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs erlaubt sich, an Sie in der im Betreff genannten Angelegenheit mit nachstehendem Anliegen heranzutreten:

Eingangs möchten wir betonen, dass wir das nun vorliegende Bundes-Behindertengleichstellungs-Begleitgesetz insgesamt als weiteren wichtigen und begrüßenswerten Schritt zur Schaffung einer diskriminierungsfreien Bundesrechtsordnung ansehen und die darin vorgeschlagenen Maßnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen und Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen jedenfalls ausdrücklich begrüßen.

Um den Weg fortzusetzen, ist allerdings noch eine Reihe von weiteren Bündelgesetzen in dieser Art notwendig. Weitere Bereiche, die einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen, sind z. B. der Bildungs- und der Verkehrsbereich.

Insbesondere wird jedoch die Beseitigung der bekannten Berufszugangsschranken z. B. für blinde Juristen zum Richteramt und die beabsichtigte Lockerung der Notariatsaktspflicht für Urkunden über Rechtsgeschäfte sinnesbehinderter – speziell blinder – Personen, vor allem auch für Unternehmer mit Sinnesbehinderung, und die Ausdehnung der davon umfassten banküblichen Geschäfte im Hinblick auf Girokonten durch die vorgeschlagene Änderung des § 1 Abs. 1 lit. E NotariatsaktsG aus unserer Sicht begrüßt. Dadurch wird ein weiterer Schritt in Richtung eines selbstbestimmten Lebens von Menschen mit Behinderungen getan, was insb. für Unternehmer mit Behinderung von besonderer Bedeutung ist, haben diese doch in der Vergangenheit immer wieder über Benachteiligungen aufgrund der Einengung ihrer Flexibilität durch die Notariatsaktspflicht geklagt.

Wir erwarten uns daher, dass als erster Schritt zumindest diese vorgeschlagenen legistischen Maßnahmen vollinhaltlich umgesetzt werden. Aus unserer Sicht wäre es höchst unerfreulich, wenn hier – so wie beim Behindertengleichstellungspaket – wieder nach und nach durchaus begrüßenswerte Gleichstellungsmaßnahmen wegen der im Begutachtungsverfahren von gesetzlichen Interessenvertretungen deutlich gemachten Widerstände scheibchenweise abgetragen würden. Diesfalls muss im Sinne der Grundsätze der Behindertengleichstellung und des selbstbestimmten Lebens die Position der ExpertInnen mit Behinderung wohl doch schwerer wiegen.

Der Verein Blickkontakt/der ÖBSV/die Hilfsgemeinschaft ersucht Sie, sehr geehrte Frau Bundesministerin, daher höflichst, sich dafür zu verwenden, dass die im Entwurf des Bundes-Behindertengleichstellungs-Begleitgesetzes vorgeschlagenen Maßnahmen zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen zur Gänze vom Nationalrat beschlossen werden.

Im Übrigen verweisen wir auch auf die Stellungnahme des Forum Gleichstellung zum Bundes-Behindertengleichstellungs-Begleitgesetz und ersuchen auch um Berücksichtigung der darin über den Gesetzesentwurf hinausgehenden Anregungen.“

So weit die Positionen der Interessenvertretungen sehbehinderter und blinder Menschen. Es bleibt nun abzuwarten, ob die beabsichtigten Änderungen tatsächlich kommen oder „zum Schutz der Behinderten“ wieder scheibchenweise abgetragen werden.

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