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Oblak: „Ambitioniertes Regierungsprogramm der neuen Bundesregierung“

Eine erste Analyse des Regierungsprogrammes für die XXIII. Legislaturperiode.

Am 9. Jänner 2007 wurde das Regierungsprogramm der heute, am 11. Jänner 2007 angelobten SPÖ-ÖVP-Bundesregierung der Öffentlichkeit vorgestellt.

Nach einer ersten Durchsicht der 167 Seiten durch das Funktionärsteam von Blickkontakt kommt die amtierende Vorsitzende, Sylvia Oblak, zu folgender Analyse: „Aus meiner Sicht handelt es sich um ein sehr ambitioniertes Regierungsprogramm. Für mich als Bildungs- und Arbeitsreferentin sind natürlich die unter dem Kapitel Bildung und Wissenschaft festgeschriebenen Regierungsziele von besonderem Interesse. Hier kann ich dem Ansatz ‚Die Wahlfreiheit der Eltern für den Bildungsweg ihrer Kinder muss dabei erhalten bleiben‘ viel abgewinnen, da dies auch stets die Grundhaltung Blickkontakts war, den Eltern freizustellen, ob sie einen integrativen oder einen sonderbeschulten Weg einschlagen wollen; dabei ist aber jedenfalls darauf zu achten, dass wir endlich zu einer tatsächlichen Wahlfreiheit ohne faktische Zwänge hin in die Sonderbeschulung gelangen. Dabei muss aber das primäre Ziel der bestmöglichen Integration oder noch besser, der Inklusion, sein. In diesem Zusammenhang halte ich das Regierungsziel, die Integration als wichtigen Teil der Lehreraus- und -weiterbildung vorzusehen und die Integration nach der 8. Schulstufe zu verwirklichen sowie die integrative Berufsausbildung ausweiten zu wollen, für absolut wesentliche Initiativen zu einem funktionierenden und zielgerichteten Schritt in Richtung eines Systems inklusiver Bildung.“

Und weiters nimmt Oblak zu den paktierten Zielen im Bereich der sozialen Herausforderungen der Pflege durchaus kritisch Stellung: „Das das Prinzip der Sicherung der größtmöglichen Wahlfreiheit deutlich betont wird ist sehr erfreulich, da das für uns Menschen mit Behinderung eines der wesentlichsten Prinzipien ist, um mit der Geldleistung Pflegegeld, die frei verfügbar sein und bleiben muss, unseren Bedürfnissen gerechte Pflege selbst organisieren zu können. In diesem Zusammenhang halte ich es aber für ein absolut enttäuschendes und inakzeptables Ergebnis, dass die neue Bundesregierung sich für die nächsten vier Jahre der Legislaturperiode lediglich eine einmalige stufenabhängige Erhöhung des Pflegegeldes und nicht die, wie die österreichische Behindertenbewegung aber auch die Pflegedienste und die Länder stets gefordert haben, laufende Valorisierung des Pflegegeldes zum Ziel setzt; hier kann aus meiner Sicht das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Und im übrigen finde ich es zwar durchaus zweckmäßig, dass die Koalitionspartner eine Arbeitsgruppe zur Neugestaltung der Pflege, die leistbare Pflege und Betreuung sichern soll, einrichten will, doch dass dieser Arbeitsgruppe lediglich Vertreter des Bundes, der Länder und Gemeinden angehören sollen und die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen hier nicht erwähnt sind, kann, so hoffe ich zumindest, wohl nur ein redaktionelles Versehen sein.“

Die beabsichtigte Weiterführung der Beschäftigungsinitiative und die Ziele im Bereich der Arbeitswelt beurteilt Oblak als durchaus positiv, wobei hier ein eingehender Dialog mit den ExpertInnen der Behindertenbewegung vor der Umsetzung zu führen sein wird.

Im Kapitel „Menschen mit Behinderung“ finden sich dann auch noch die behindertenpolitischen Kernthemen Behindertengleichstellung und Beschäftigungsmaßnahmen näher ausgeführt und auch der Abschnitt Staats- und Verwaltungsreform enthält für behinderte Menschen nicht unwesentliche Aspekte.

Der Begründer von Blickkontakt und seit Dezember 2006 nun als Ehrenpräsident fungierende Rechtsexperte des Vereines Blickkontakt, Mag. Michael Krispl hält dazu fest: „Zunächst halte ich die unter dem Titel Staats und Verwaltungsreform angekündigte Verfassungsreform, die einen übersichtlichen und im Sinne des Europavertrages weiterentwickelten Grundrechtskatalog mit garantierten, also wohl gemeint durchsetzbaren, Grundrechten, wie insb. auch die Garantie der Menschenwürde und die Garantie des Schutzes vor Diskriminierung aufgrund z. B. einer Behinderung und garantierte soziale Grundrechte mit geeigneten Rechtsschutzinstrumenten, sowie eine Neuverteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern enthalten soll, nicht zuletzt im Hinblick auf die im Verfassungskonventshearing im Parlament im Dezember 2003 von den ExpertInnen der Behindertenbewegung formulierten Anforderungen an eine neue Bundesverfassung für ein im Interesse von Menschen mit Behinderung absolut wesentliches Regierungsziel der neuen Bundesregierung. Vielleicht wird es nun endlich möglich, Tatbestände, wie die Behindertengleichstellung oder die Barrierefreiheit zu zentralisieren und damit für einen österreichweit einheitlich hohen Standard der Behindertengleichstellung zu sorgen.“

Zu den Weiterentwicklungsvorhaben in Sachen Behindertengleichstellung meint Krispl: „Wenngleich ich mir gewünscht hätte, dass unsere Expertenmeinung genügt, um die Beseitigung der immer wieder aufgezeigten Schwachstellen des Behindertengleichstellungsgesetzes als Regierungsziel aufzunehmen, ist es doch erfreulich, dass es zumindest zu einer Evaluierung der Effektivität des Behindertengleichstellungsrechts kommen soll, da wir damit die chance bekommen, die von uns bereits im Zuge des Entstehungsprozesses des Behindertengleichstellungspakets, zuletzt natürlich bei der Expertenanhörung im Verfassungsausschuss des Parlaments, aufgezeigten Schwachstellen, wie z. B. Fehlen eines Unterlassungs-/Beseitigungsanspruches, nicht präzisierter Begriff der Barrierefreiheit, das Fehlen durchsetzbarer materieller Gleichstellungsrechte, bloße Beweislasterleichterung statt Beweislastumkehr, abschreckendes Prozesskostenrisiko im Gerichtsweg, unerhört schwaches Verbandsklagerecht, empfindliche Übergangsfristen etc., mit einer Novelle zum Behindertengleichstellungsgesetz endlich zu beseitigen. Es freut mich persönlich auch sehr, dass nach der erklärten Absicht der Koalitionspartner auch die Beseitigung von Diskriminierungen in den Materiengesetzen, und hier ausdrücklich genannt etwa im Notariatsaktsgesetz, im Wege von Sammelgesetznovellen beabsichtigt ist. Hierbei wäre aus meiner Sicht an den bereits sehr guten und umfangreichen Vorarbeiten des Justizministeriums und der Sehbehinderten- und Blindenorganisationen zur Novellierung des Notariatsaktsgesetzes aus dem Jahr 2006 anzuknüpfen und die zuletzt präferierte Opting-out-Lösungsvariante für die grundsätzliche Notariatsaktspflicht von schriftlichen Rechtsgeschäften sinnesbehinderter Menschen einschließlich der generellen Ausnahme von der Notariatsaktspflicht für Alltagsgeschäfte umzusetzen. Es freut mich aber ferner, dass im Urheberrecht die Klärung des Verhältnisses „freie Werknutzung – technische Schutzmaßnahmen“ im Bereich der digitalen Rechte im Vordergrund stehen soll und das

Recht auf Privatkopie digitaler Datenträger durchgesetzt werden soll. Darin sehe ich eine realistische Chance, die Diskriminierung, die mit der Urheberrechtsgesetz-Novelle 2002 im Bereich der freien Werknutzung und der Verwendung von digitalen Medien geschaffen wurde nun doch unseren damaligen Forderungen entsprechend zu bereinigen.“

Bereits im Zuge der Entstehung des Behindertengleichstellungspakets war die nicht zuletzt von den Ländern Vorgeschlagene Abschluss einer Vereinbarung nach Art. 15a der Bundesverfassung zur Behindertengleichstellung Thema und findet sich so auch in den Erläuterungen zum Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz. Auch dazu findet sich ein Passus im neuen Regierungsprogramm, den Mag. Krispl so kommentiert: „Es ist zwar durchaus zu unterstützen, dass, wie dem Regierungsprogramm zu entnehmen ist, es zu einer raschen Umsetzung einer Art. 15a-B-VG-Vereinbarung zur Etablierung harmonisierter, barrierefreier Bauordnungen sowie zur Einführung von Kriterien des anpassbaren Wohnbaus bei der Vergabe von Wohnbauförderungen kommen soll, doch darf dabei nicht darauf vergessen werden, dass es einer 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern bedarf, die einen auch in den Ländern umzusetzenden Standard der Behindertengleichstellung definiert und verbindlich vorschreibt; dies ist nicht zuletzt auch deshalb wichtig, als die Gleichstellungsstandards auf Länderebene derzeit völlig inhomogen sind und z. B. im Land Wien aktuell in einer Arbeitsgruppe Rechtsbereinigung an der Erarbeitung eines Wiener Landes-Behindertengleichstellungsgesetzes gearbeitet wird. Der Bund sollte daher aus meiner Sicht so rasch wie möglich die Verhandlung mit den Ländern diesbezüglich beginnen und forcieren.“

Wenig Klarheit bringt das Regierungsprogramm jedoch zur nicht ganz unwesentlichen Frage, wie all diese Maßnahmen finanziell bedeckt werden sollen, denn davon wird die Qualität der Maßnahmen wohl erheblich abhängen.

Nun, es bleibt also abzuwarten, inwieweit die durchaus ambitionierten behindertenpolitischen Zielsetzungen in den nächsten vier Jahren tatsächlich umgesetzt werden. Daran wird die wahre Qualität dieses Regierungsprogrammes zuletzt zu messen sein.

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