Die behindertendiskriminierende Notariatsaktspflicht dürfte nun endlich fallen

Mit dem Entwurf des Justizministeriums für ein Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008 soll auch das Notariatsaktsgesetz geändert werden.

Justitita mit Blindenstock
Krispl, Ulli

Die Geschichte der Bekämpfung der behindertendiskriminierenden Notariatsaktspflicht für schriftliche Rechtsgeschäfte von blinden, gehörlosen bzw. der lautsprachlichen Kommunikation nicht mächtigen Personen im Notariatsaktsgesetz, RGBl. Nr. 76/1871, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 98/2001, ist lang.

Zuletzt wurden noch im Juni 2006, also kurz vor Ablauf der XXII. Gesetzgebungsperiode, verschiedene Varianten der Bereinigung des Notariatsaktsgesetzes von den behindertendiskriminierenden „Bevormundungen“ seitens der Interessensvertretungen sehbehinderter und blinder Menschen – Blickkontakt, Österreichischer Blinden- und Sehbehindertenverband und Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs – mit den führenden Beamten des Justizministeriums diskutiert. Nun wurde die von den Behindertenorganisationen präferierte Variante wieder aufgegriffen und als Artikel IX in das Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008 (BRÄG 2008) aufgenommen.

Die wesentlichen Inhalte des Gesetzesentwurfes

Zunächst soll mit dem Entwurf die Notariatsaktspflicht für die Rechtsgeschäfte von „Tauben, die nicht lesen“ oder „Stummen, die nicht schreiben können“, die sich jetzt noch in § 1 Abs. 1 lit. e Notariatsaktsgesetz findet, ersatzlos aufgehoben werden. Nach den Erläuterungen dazu heißt es, dass „für diese Regelung keine sachliche Rechtfertigung mehr erkennbar ist, zumal § 886 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) nach Rechtsprechung und Lehre auch auf Analphabeten anzuwenden ist, so dass diese Bestimmung, auch wenn sie als Schutzvorschrift gedacht war, diskriminierende Wirkung ausüben könnte“.

Der für Urkunden über Rechtsgeschäfte unter Lebenden, die von gehörlosen Menschen, die nicht lesen bzw. von der lautsprachlichen Kommunikation nicht mächtigen Menschen, die nicht schreiben können, in eigener Person errichtet werden, anwendbare § 886 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches lautet:

„§ 886. Ein Vertrag, für den Gesetz oder Parteiwille Schriftlichkeit bestimmt, kommt durch die Unterschrift der Parteien oder, falls sie des Schreibens unkundig oder wegen Gebrechens unfähig sind, durch Beisetzung ihres gerichtlich oder notariell beglaubigten Handzeichens oder Beisetzung des Handzeichens vor zwei Zeugen, deren einer den Namen der Partei unterfertigt, zustande. Der schriftliche Abschluß des Vertrages wird durch gerichtliche oder notarielle Beurkundung ersetzt. Eine Nachbildung der eigenhändigen Unterschrift auf mechanischem Wege ist nur da genügend, wo sie im Geschäftsverkehr üblich ist.“

Vom Anwendungsbereich der grundsätzlichen Notariatsaktspflicht in § 1 Abs. 1 lit. e des Notariatsaktsgesetzes sollen also nurmehr alle Urkunden über Rechtsgeschäfte unter Lebenden, die von „Blinden“ in eigener Person errichtet werden, erfasst bleiben, wobei der vorgeschlagene § 1 Abs. 3 Notariatsaktsgesetz nun die Grundlage dafür schaffen soll, dass man den Schutz durch die Errichtung des schriftlichen Rechtsgeschäftes von blinden Menschen in Form eines Notariatsaktes auch durch ausdrückliche Erklärung – opting out – abbedingen kann. Der vorgeschlagene § 1 Abs. 3 lautet:

„(3) Ein Notariatsakt nach Abs. 1 lit. e ist nicht erforderlich

1. für Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens und für bankübliche Verträge über die Eröffnung von Girokonten;

2. für andere Rechtsgeschäfte, ausgenommen Bürgschaftserklärungen, wenn der blinde Mensch dem Vertragspartner ausdrücklich erklärt, auf die Einhaltung der Formvorschrift des Abs. 1 lit. e zu verzichten.“

Dazu heißt es in den Erläuterungen: „Nach eingehenden Vorgesprächen mit Interessensvertretungen der betroffenen Personen soll auf deren Wunsch, damit die Schutzvorschrift für blinde Personen keinesfalls diskriminierende Wirkung entfalten kann, die schon bisher gegebene Ausnahme nicht nur für Urkunden über Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens und die Eröffnung von Girokonten zur Anwendung kommen, sondern immer auch dann, wenn die blinde Person ausdrücklich erklärt, auf die Einhaltung der Formvorschrift zu verzichten. Sinnvollerweise wird ein solcher Verzicht auch zu dokumentieren sein, um Streitfällen im Nachhinein vorzubeugen. Auf die Ungültigkeit mangels Einhaltung der Form soll sich aber nach wie vor nur die durch diese Formvorschrift geschützte Person (also der blinde Mensch) berufen können, nicht aber auch der Vertragspartner.“

Nur für Bürgschaftsverträge können blinde Personen den Schutz durch die Notariatsaktsform nicht abbedingen. Dazu wird in den Erläuterungen ausgeführt: „Wegen der Missbrauchsgefahr gerade durch nahe stehende Personen (wie die Praxis des Verbraucherschutzes bei Bürgschaften im familiären Umfeld immer wieder aufzeigt) und im Hinblick darauf, dass blinde Menschen in besonderem Maße auf Vertrauenspersonen angewiesen sind und diese weniger einfach überwachen können, soll einem Verzicht auf die Notariatsaktsform bei Bürgschaften – zum Schutz der blinden Person – keinerlei Rechtswirkung zukommen. Für Bürgschaften blinder Menschen ist daher nach wie vor die Notariatsaktsform unverzichtbar und eine Bürgschaft nur in Form eines Notariatsakts bindend.“

Diese Änderung des Notariatsaktsgesetzes soll mit 1. Jänner 2008 in Kraft treten. Die Begutachtungsfrist zum BRÄG 2008 läuft noch bis 28. September 2007.

Hier kann der Gesetzesentwurf nebst Erläuterungen downgeloadet werden.

Schlussfolgerungen

Grundsätzlich ist der Entwurf als besonders gut gelungen zu erachten. Als Feinschliff der Novelle des Notariatsaktsgesetzes wäre es nur noch wünschenswert, dass einzelne sprachliche Diskriminierungen im Gesetzesentwurf bereinigt würden; so sollte es im Gesetzestext statt „Blinde“ in der substantivischen Form wohl besser „blinde Menschen“ heißen, wie dies ja im vorgeschlagenen Text des § 1 Abs. 3 Notariatsaktsgesetz auch formuliert wurde. Und in den Erläuterungen sollte man die historisch begründbaren Ausdrücke „Taube“ und „Stumme“ vielleicht zeitgemäßer als „gehörlose Menschen“ und „der lautsprachlichen Kommunikation nicht mächtige Menschen“ bezeichnen.

Insgesamt stellt diese Maßnahme des Justizministeriums aber einen bedeutsamen großen Schritt vorwärts auf dem Weg zu einer diskriminierungsfreien Rechtsordnung dar, der seitens der Interessensvertretungen der Menschen mit Behinderungen nur vollinhaltlich zu unterstützen sein wird.

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