Das „Persönliche Budget“ in Deutschland: Für mehr gleichberechtigte Teilhabe

Ein Fahrzeug, das erst mal in Fahrt kommt, lässt sich zum Glück auch lenken.

Elke Bartz
bifos

In Deutschland wird das „Persönliche Budget“ ab 1. Jänner 2008 zur Regelleistung. Eine Situation, von der Menschen mit Behinderung in Österreich noch träumen. Grund für eine Anfrage zu den Rahmenbedingungen dieser innovativen Leistungsform, die den betroffenen Menschen mit seinen tatsächlichen Bedürfnissen in das richtige Verhältnis zu den benötigten Hilfestellungen stellt.

Die Fragen stellte Gerhard Lichtenauer von der österreichischen Bürgerinitiative „Daheim statt Heim“, die Antworten gab Elke Bartz von der deutschen Bundesinitiative „Daheim statt Heim“ und Vorstandsmitglied vom „Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen“ in Deutschland.

Gerhard Lichtenauer: Menschen mit Behinderung in Österreich beobachten mit Interesse die Entwicklungen bezüglich „Persönlichem Budget“ in Deutschland. Bevor wir uns aber in den deutschen Gesetzbüchern einlesen müssen, bitte ich um kurze Beantwortung folgender Fragen:

1. Wird das „Persönliche Budget“ einkommens- und vermögensunabhängig gewährt?

Elke Bartz: „Jein“, es gelten die seitherigen Sozialgesetzbücher, denn das Persönliche Budget ist „lediglich“ eine neue Finanzierungsform, keine neue Leistungsart. Das heißt, Sozialhilfeleistungen sind nach wie vor einkommens- und vermögensabhängig, die der anderen Sozialgesetzbücher nicht.

2. Gibt es einen Regress auf das Vermögen von Angehörigen bzw. auf später erworbene Einkünfte oder Vermögen des Budgetnehmers?

Elke Bartz: Angehörige müssen maximal bis zu 20 Euro monatlich leisten, wenn Sozialhilfeleistungen beantragt werden. Späteres Einkommen und Vermögen des Leistungsberechtigten werden dann (sofern sie über bestimmten Freibeträgen liegen) berücksichtigt.

3. Können die Helfer selbst angestellt werden oder „muss dies über eine Organisation“ erfolgen?

Elke Bartz: Helfer können auch selbst beschäftigt werden.

4. Gibt es die Möglichkeit informeller Hilfestellungen gegen „Taschengeld“ für Minder- und Nebenbeschäftigte oder ist das neue System nur für arbeitsgesetzliche Beschäftigungsverhältnisse gedacht.

Elke Bartz: Nur für legale Beschäftigungsverhältnisse und dazu zählen auch Teilzeitbeschäftigungen.

5. Kann man das Budget auch für die Angehörigenbeschäftigung verwenden?

Elke Bartz: Normalerweise nein. Einige wenige Kostenträger gestatten es jedoch. Das ist aber eine kulante Ausnahme.

6. Geht es um tatsächliche Deckung des individuellen Bedarfs, gibt es Stundengrenzen oder Betragsgrenzen, was sind die Stundensätze?

Elke Bartz: Laut Gesetz muss es der Bedarfsdeckung genüge tun. Allerdings sollen die PBs in der Regel nicht die Höhe der seither bezogenen Sachleistungen übersteigen. Die Stundensätze sind auszuhandeln.

7. Gibt es Altersgrenzen (nach oben bzw. nach unten) für Assistenznehmer?

Elke Bartz: Nein, weder in die eine noch in die andere Richtung.

8. Gibt es eine Bevorzugung von behinderten Menschen in Beschäftigungsverhältnissen, also „Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz“ oder sind die Geldleistungen davon unabhängig?

Elke Bartz: Nein, jeder behinderte oder von Behinderung bedrohte Mensch ist leistungsberechtigt.

9. Welche Nachweise für widmungsgemäße Verwendung sind gefordert, gibt es die Möglichkeit „Überschüsse“ für späteren intensiveren Bedarf aufzusparen, in welchen Grenzen?

Elke Bartz: Die Nachweise erfolgen unterschiedlich, je nachdem wie es in der Zielvereinbarung verabredet ist. Einige wenige Kostenträger verzichten auf Leistungsnachweise (was eigentlich nicht ganz korrekt ist), andere fordern detaillierte. PB können innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (meistens ein Jahr) flexibel eingesetzt werden. Anders ginge es ja auch nicht, da z. B. der Januar 31, der Februar nur 28 (bzw. 29) Tage und das Persönliche Budget ja jeden Monat die gleiche Höhe hat.

10. Gibt es eine langfristige Planungssicherheit, d.h. kann man sich darauf verlassen, diese Leistungen hinkünftig beziehen zu können, um dies in die Lebensplanung einbeziehen zu können?

Elke Bartz: In der Regel werden Persönliches Budgets anfangs für ein halbes, danach für ein ganzes Jahr bewilligt, wobei es auch möglich ist, längere Zeiträume zu bewilligen.

11. Im Rahmen der Budget-Tour ist die Rede von „potenziellen“ Budgetnehmern, wie ist das zu verstehen?

Elke Bartz: Das sind eigentliche alle behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen (siehe oben).

12. Werden Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen bis hin zu schweren gehirnorganisch bedingten Behinderungen oder Demenz von diesen Leistungen ausgenommen (diskriminiert)?

Elke Bartz: Nein.

13. Sind Modelle mit advokatorischer Assistenz möglich?

Elke Bartz: Ja.

14. Wird das „Credo“ der Selbstbestimmt-Leben-Bewegungen als Begründung für Leistungsverweigerung bedarfsdeckender Hilfen missbraucht, wenn „die Selbstbestimmung fehlt“?

Elke Bartz: Nein.

15. Entsteht in Deutschland mit der Regelleistung Persönliches Budget bereits eine solide Grundlage für ein Leben „Daheim statt im Heim“ oder ist es wie bei uns in Österreich, dass für Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen oder demenziellen Erkrankungen auch weiterhin nur die Aussonderung ins „Heim“ einerseits oder andererseits exzessive Angehörigen- Ausbeutung bleibt?

Elke Bartz: Das Problem ist die Begrenzung auf die vormals bezogene Sachleistung. Dies birgt zweifelsohne die Gefahr, dass „Fitte“ aus Einrichtungen ausziehen können, andere mit hohem Assistenzbedarf zurückbleiben. Hier wird die Praxis zeigen, ob diese Befürchtungen eintreten und wie man ihnen entgegensteuern muss.

16. Welche Rahmenbedingungen sind im Sinne der Initiativen „Daheim statt Heim“ begrüßenswert und welche sind noch ungenügend?

Elke Bartz: Ambulant muss gestärkt werden und die Förderungen für stationäre Angebote müssen ausgesetzt werden. Es fließen nach wie vor überproportionale Mittel in die stationäre Versorgung (ca. 93 % der Eingliederungshilfen!).

Gerhard Lichtenauer: Ich bin sehr erfreut über diese Entwicklungen in Deutschland, da läuft ja vieles schon in eine sehr gute Richtung. Ein Fahrzeug, das erst mal in Fahrt kommt, lässt sich zum Glück auch lenken.

Elke Bartz hat ein „Handbuch zum Persönlichen Budget“ geschrieben. Es kostet 5 Euro zuzüglich Porto und kann bei ForseA bestellt werden. Auf der Homepage von ForseA gibt es auch nähere Informationen dazu.

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