ORF: Jedes schlechte Gewissen zählt

Österreich 2008, mitten in der Wirtschaftskrise: Ein Mann stapft mit seinem letzten Euro in der Manteltasche durch die Nacht. Beklemmende Musik. Es nieselt. (Ein Kommentar für den Falter).

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Die Straße ist düster, offenbar fehlt der Stadtregierung das Geld für eine ausreichende Beleuchtung. Der Mann stoppt vor einem Zigarettenautomaten, zückt seinen Euro und will sich etwas gönnen. Da beginnt der Euro hell zu leuchten. Sein Licht lässt auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine alleinerziehende Mutter mit ihrer armselig gekleideten Tochter und dem behinderten Sohn im Rollstuhl aus dem Dunkel auftauchen.

Der Mann überlegt, es wird finster, eine Stimme sagt: „Jeder Euro bringt Licht ins Dunkel“. Offenbar auch jedes schlechte Gewissen, das der ORF durch die heurige Spendenkampagne erzeugen möchte. Die Medienmacher greifen heuer stärker denn je in die Mitleids- und Tränendrüsenkiste. Wurde schon in den letzten Jahren die klischeehafte Darstellung kritisiert, wirft man jetzt allen Ethos durch die Vermischung von Armut und Behinderung über Bord, um einen möglichen Spendenrückgang zu vermeiden.

„Licht ins Dunkel-Syndrom“

Eine Alltagsgeschichte aus dem vorweihnachtlichen Leben: Ein Rollstuhlfahrer fährt zu seinem Auto, hievt sich auf den Fahrersitz und spricht einen vorbeieilenden jungen Mann um Hilfe an: „Können Sie mir bitte den Rollstuhl ins Auto…?“ Weiter kommt er nicht, denn der junge Mann zuckt die Achseln und sagt: „Tut mir leid, ich habe kein Geld“. Dann eilt er weiter. Der Rollstuhlfahrer denkt sich: „Licht ins Dunkel-Syndrom“. Seit 36 Jahren konditioniert der ORF sein Publikum auf Geldspenden, wenn man behinderte Menschen sieht. Wer behindert ist, muss auch arm sein. Oder anders gesagt: Behinderten Menschen hilft man am besten durch eine Geldspende.

Der aktuelle Bericht des Sozialministeriums „Zur Lage behinderter Menschen in Österreich“ bestätigt, dass die Armutsgefährdung von Familien mit einem behinderten Angehörigen fast doppelt so hoch ist. Allerdings läge die Armutsgefährdung ohne Sozialleistung wie Pflegegeld oder erhöhter Familienbeihilfe um 54 % höher als ohne. Nachhaltig armutsmindernd wirken laut dem Ministeriumsbericht neben den Sozialleistungen vor allem Erwerbstätigkeiten. Armut kann daher nicht durch einmalige Almosen aus der Welt geschafft werden. Ein Appell gegen das Spenden? Keineswegs.

Ziviles Engagement ist wichtig und hilft Lücken im Sozialsystem auszugleichen. Zu kritisieren ist jedoch die Darstellung behinderter Menschen in der Spendenkampagne Licht ins Dunkel. Im Vorjahr plädierten über 7500 Menschen für eine Neuausrichtung der Aktion: Beispielsweise sollten Firmen motiviert werden, statt überdimensionaler Spendenschecks Lehrstellen oder Jobs Menschen mit Behinderung anzubieten. Dies wäre nicht nur nachhaltig, sondern würde auch armutsmindernd wirken. Der ORF könnte als öffentlich-rechtlicher Sender zu einer gesellschaftlichen Veränderung beitragen.

Behindert sind wir alle

Trotz der massiven Kritik durch die Gegenaktion „NICHT ins Dunkel“ von behinderten Menschen im Vorjahr verweigerte der ORF wie schon in den Jahren davor jegliche Gesprächsbereitschaft. Ein geforderter Reformdialog zwischen Betroffenen, den ORF-Verantwortlichen und dem Verein „Licht ins Dunkel“ wurde mit dem Hinweis „verordnete Diskussion“ und „Eingriff in die redaktionelle Freiheit des ORF“ vom Tisch gewischt. Der Verein Licht ins Dunkel fühlte sich in seinem Engagement auf den Schlips getreten.

Doch das Gegenteil von „gut“ ist „gut gemeint“. Der Vorwurf, dass beim Verein Licht ins Dunkel kein behinderter Mitarbeiter beschäftigt ist, wurde von der Geschäftsführerin Tschürtz-Kny mit dem Argument zurückgewiesen, dass man ohnehin fünf Langzeitarbeitslose beschäftigt hat, „und die sind ja auch behindert“. Ich musste lächeln, da ich an die oftmals bei Licht ins Dunkel gehörte Aussage denken musste: „Behindert sind wir alle“.

In der Darstellung der Spots wird nach Ansicht behinderter Menschen oft die Würde verletzt. Beispiel aus dem Vorjahr: dankbare lernbehinderte Jugendliche werden mit nacktem Oberkörper in der Badewanne gezeigt, wie sie sich über einen von Licht ins Dunkel gesponserten Badelift freuen. Würde man auch armutsgefährdete Personen so darstellen?

Wo bleibt Barbara Stöckl?

Bei der heurigen Spendenaktion wird Starmoderatorin Barbara Stöckl fehlen. Warum? Weil sie sich bei der vorjährigen Gala zu sehr den Anliegen behinderter Menschen angepasst hatte? War sie dem ORF zu kritisch geworden? So wird heuer die Moderation in altbewährt rührseliger Form von Alfons Haider und Peter Rapp durchgeführt. In Erinnerung ist noch 2003 geblieben, als im Europäischen Jahr behinderter Menschen zum ersten, aber auch zum bisher letzten Mal behinderte KünstlerInnen auftreten durften.

Diese wurden mit ihrem Anliegen durch den Moderator Peter Rapp jedoch der Lächerlichkeit preisgegeben. „Gebärdensprache?“, juxte Rapp und verglich sie mit den Gebärden herumfuchtelnder Autofahrer in Wien. Ein lernbehinderter Sänger wurde von Rapp mit dem Kommentar anmoderiert, dass es bei ihm wohl darum gehe, dass er ein Mikrophon in den Händen hält. So darf man sich heuer wohl keine Veränderungen in positiver Hinsicht erwarten.

Spenden Sie trotzdem! Aber überlegen Sie für wen. Licht ins Dunkel hat einen Verwaltungsaufwand von zehn Prozent der Spenden. Hingegen haben Caritas etwa sechs Prozent …

Tipp zum Mitmachen: www.franzhuainigg.at Karikaturenwettbewerb und Kerzenaktion sollen in den Köpfen der ORF-Verantwortlichen ein Licht aufgehen lassen.

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