Alle einsteigen, Zug fährt ab

"Alle einsteigen", und wirklich ALLE, war lange Zeit ein Wunsch, der leider nur zum Teil erfüllt werden konnte.

Hebelift im railjet
BIZEPS

Nach und nach hat in den letzten Jahren auch die Barrierefreiheit als technische Anforderung Akzeptanz in der Planung und Entwicklung von Schienenfahrzeugen gefunden. Der railjet bietet Kundinnen und Kunden hier viele Vorteile.

Während andere Themen, wie Brandschutz, als selbstverständlich hingenommen wurden, kann man sich als Techniker beim Thema Barrierefreiheit nur wundern, welche Produkte die Industrie noch anzubieten wagt. Der railjet hebt sich da wohltuend ab. Er zeigt ohne viel Aufsehen, was gute Technik kann.

Hochgeschwindigkeitszug

Seit dem Fahrplanwechsel 2008/2009 am 14. Dezember 2008 sind bei den ÖBB auf der Westbahn-Strecke zwischen Wien und Salzburg die ersten railjet-Züge im Einsatz. Dieser neuen Hochgeschwindigkeitszug wurde von Siemens im Auftrag der ÖBB-Personenverkehr AG entwickelt. Experten der ÖBB und Behindertenverbände waren an der Entwicklung beteiligt.

Für mobilitätseingeschränkte Personen bringt der railjet nicht nur den größten Fortschritt bei Zügen seit den Rollstuhl-Wagen Anfang der 80er Jahre, er setzt hinsichtlich Barrierefreiheit Maßstäbe im internationalen Vergleich. Der technische Aufwand, der dahinter steckt, verdient Beachtung.

Der mühsamste Teil jeder Reise war für mobilitätseingeschränkte Personen meist schon der Weg vom Bahnsteig in den Zug. Das Überwinden der ersten, manchmal hohen Stufe, das Organisieren und die Verwendung des Hebeliftes für Rollstuhlfahrer, das Finden der Türen für blinde Menschen war oft schon Stress und Mühe.

Türen leicht gefunden

Für blinde Menschen finden sich neben zahlreichen taktilen Informationen auch Tongeber, die durch einen (mit den blinden und sehbehinderten Experten abgestimmten) „Piepston“ die oft nervige Suche nach dem Türöffner erleichtern.

Jeder kennt die Situation: Man steht entweder beim Umsteigen oder weil man nicht ewig am Bahnhof warten möchte unter Zeitdruck, Zug und Tür zu finden. Dass Eisenbahnwaggons trotz häufiger Reinigung außen nicht immer sauber sind, weiß man dann spätestens nach dem Tasten nach der Tür. Die akustische „Wegleitung“ zur Tür beim railjet ist ein echter Komfortgewinn.

Barrierefreier Einstieg

Im Gegensatz zum Nahverkehr, wo stufenloser Einstieg bereits bei vielen Zügen und Stationen möglich ist, ist das Einsteigen für gehbehinderte Menschen und Rollstuhlfahrer bei den schnellen Zügen des Fernverkehrs schwieriger zu bewerkstelligen.

Züge des Fernverkehrs mit Geschwindigkeiten über 200 km/h brauchen große Raddurchmesser, wodurch ebenerdige Niederflur-Einstiege technisch nicht machbar sind. Aus Sicherheitsgründen ist noch dazu bei Bahnsteigen ein gewisser Spalt zum Fahrzeug hin erforderlich, u. a. weil Züge sicher vorbeifahren müssen. Beim railjet gibt es als unterste Stufe eine Klappstufe, die den Spalt bei 55 cm hohen Bahnsteigen fast zur Gänze waagrecht abdeckt und bei 38 cm hohen Bahnsteigen das Einsteigen wesentlich erleichtert.

Richtungsweisender Rollstuhlhebelift

Für Rollstuhlfahrer ist ein zukunftssicher dimensionierter Rollstuhlhebelift im Bistrowagen des railjet eingebaut, der für den railjet aus einem bewährten Serienprodukt entwickelt, dabei aber wesentlich verbessert wurde.

Dieser fahrzeuggebundene Hebelift ermöglicht frontales und seitliches Abfahren, dabei ist er sicher, rasch und einfach zu nützen. Das bemerkenswerte Detail aus Sicht eines Technikers ist, dass einerseits das Platzangebot auf dem Hublift größer ist als das ISO-Maß, andererseits die Außenabmessungen nur geringfügig größer sind. Dadurch kann er auch auf relativ schmalen Bahnsteigen eingesetzt werden, auf denen z. B. die Verwendung eines Bahnsteighebeliftes nicht bzw. kaum möglich ist.

Durch den technisch und optisch gut gelungenen Einbau in einer Verkleidung seitlich der Wagentür ist er auch gut gegen Beschädigungen geschützt.

„Rücksichtsvolle“ Türsteuerung

Der hohe Planungsaufwand seitens des Bestellers ÖBB-Personenverkehr AG sei noch an einem kleinen, aber wichtigen Detail dargestellt: Beim railjet schließen die Türen automatisch nach ca. zehn Sekunden.

Um überall in Europa fahren zu können, hat der railjet zumindest drei Steuerungsprogramme. Dieses Detail zur Türsteuerung ist aber nur Bestandteil des ÖBB-Programms.

Planeinsatz begann mit Fahrplanwechsel

Als Techniker der ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG, der die Inbetriebnahme dieses Fahrzeuges unterstützt, gratuliere ich allen Beteiligten zu diesem Erfolg. Seit Fahrplanwechsel (14. Dezember 2008) läuft der Planeinsatz der ersten railjet-Züge, fast monatlich kommt nun ein neuer hinzu.

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4 Kommentare

  • Alles gut und recht, aber bin gerade
    bei diesen 4 bescheuerten hohen Stufen mit schweren Koffer brutal heftig gestolpert und habe mir neben einem fetten Blauen den Zehennagel weggefetzt.. wieso muss der Einstieg bitte so hoch und kompliziert sein?!?

  • Lieber Klaus, ich danke Dir von Herzen. Barrierefreiheit – zugleich Menschenrecht und technische Herausforderung. Freie Wahl von Ausbildung und Beruf, keine Abhängigkeit von „Gnade“ und „Wohlwollen“ anderer … Der railjet ist hier technisch ein wichtiger Beitrag und technisch eine Benchmark! Die railjets findet man im Fahrplan als „rj“. Und es werden mehr.

  • Toll, endlich Bahnbenutzung auch für uns! Umweltfreundlicher, sicherer, entspannter, billiger! Danke für den Einsatz! Wie finde ich heraus, welche Züge für mich geeignet sind?

  • Lieber Wolfgang! DANKE für deine Umsichtigkeit, dein ständiges Bemühen und deinen tollen, kämpferischen Einsatz, um Bahnhöfe und rollendes Material für ALLE benutzbar zu machen!