Gute Nachricht: Diesmal keine Diskriminierung

Was wäre das für ein seltsamer Begriff von Solidarität, wo gerade die Versicherten ausgeschlossen werden, die vor einem Arbeitsunfall schon eine Krankheit hatten?

Eine Frau im Rollstuhl mit Gipsbein wird von einer Ärztin begutachtet.
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Hier finden Sie einen Bericht einer betroffenen Frau, die nicht namentlich genannt werden möchte:

Frau H., eine MS-Patientin, die seit Jahren mit dem Bus ins Büro fährt, stürzte beim Aussteigen im Februar so unglücklich, dass sie sich den Oberschenkelhals brach. Übliche Versorgung im Spital, danach Rehabilitation. Als Mitglied der Gewerkschaft für Privatangestellte (GPA, nun erweitert GPA-djp) hat man einen Anspruch auf Spitalsgeld aus der „Solidaritätsversicherung“ des ÖGB.

Sie reichte also ein und schickte einen Bericht des Spitals mit. Dort ist neben dem OS-Bruch auch die Rede von der „Grunderkrankung enc.diss“ (d.h. Multiple Sklerose). Mit dem Sturzunfall hat diese nichts zu tun, denn wie gesagt ist die Betroffene seit Jahren mit zwei Krücken mobil, steigt Stiegen, führt ein ziemlich normales Leben. Seit dem Sturz sitzt sie im Rollstuhl, vorübergehend.

Wochen später kommt ein Brief von der Wiener Städtischen Versicherung, die die Gewerkschftsmitglieder versichert: eine glatte Absage! Nach den Geschäftsbedingungen sei Frau H. von der Versicherung ausgeschlossen, da sie „von einem Nervenleiden befallen“ (!) sei.

Sie protestiert, bei der GPA und bei der Versicherung: erstens ist Multiple Sklerose eine Autoimmunerkrankung, zweitens der Begriff Nervenleiden aus der Mode (Psychiater nannten sich früher auch Nervenärzte). Bei MS wird man von NeurologInnen behandelt, und mit psychischen Symptomen hat das ohnehin unscharfe Krankheitdbild der enc.diss – der Krankheit mit den tausend Gesichtern- nichts zu tun.

Die oft vermutete Depression bei MS ist keine zwangläufige Folge der Krankheit. Mit den gern verordneten Stimmungsaufhellern sind echte Diskriminierungen und Barrieren sowieso nicht zu beschönigen, bei manchen steigern sie die Lust, für ihr Recht notfalls auch eine Schlichtungsstelle einzuschalten …

Was sei das für ein seltsamer Begriff von Solidarität, wo gerade die Versicherten ausgeschlossen werden, die vor einem Arbeitsunfall schon eine Krankheit hatten? Laut Behindertengleichstellungsgesetz sei so eine Vorgangsweise doch sicher nicht erlaubt.

Auf Initiative der GPA, der die Sache anscheinend peinlich ist, wird ein wenig eingelenkt: eine „Kulanzzahlung von 150 Euro“ wird Frau H. zugesprochen. Ha! Es geht ja doch, aber sie will es nun genau wissen. Die 150 Euro entsprechen etwa Pflegegeld Stufe 1, einmalig. Ein Pappenstiel. Was würde jemand als Spitalgeld erhalten, der nicht von der Versicherung ausgeschlossen ist? Vermutlich mehr – also wird eine Schlichtung im Bundessozialamt vereinbart.

Zwei Herren der Wiener Städtischen, eine Vertreterin der GPA-djp, ein Vertreter von BIZEPS, das „Diskriminierungsopfer“ und eine Moderatorin des Bundessozialamtes sitzen um den Tisch (Siehe: Schlichtung GPA-djp und Schlichtung Wiener Städtische). Gleich zu Beginn spricht der Versicherungsvertreter Frau H. 308 Euro zu, das bekomme ein Versicherter ohne MS in diesem Falle maximal. Ob sie nun zufrieden sei?

Natürlich nicht, denn nun könne man besprechen, wie denn solche Geschäftsbedingungen in Zukunft gehandhabt würden. Müsste der/die nächste behinderte Person nun auch protestieren und eine Schlichtung anstrengen, um zu ihrem gleichen Recht zu kommen? Die GPA-Verteterin befürchtet, man könne ohne Ausschließungsgründe „überhaupt keine Arbeitsunfallversicherung mehr anbieten“. Unklar bleibt, wie viele „Ausgeschlossene“ es pro Jahr gibt und ob sich das Herumstreiten mit ihnen finanziell auszahlt. Für das Image von ÖGB und Gewerkschaft und auch der Wiener Städtischen ist die unfaire Pseudo-Kulanz jedenfalls mehr als schädlich!

Was als Treppenwitz bleibt: Die anwesenden zwei Menschen im Rollstuhl waren das anscheinend nötige „lebende Anschauungsmaterial“, um nicht behinderten VerteterInnen zweier großer Organisationen, die unsere Lebensbedingungen mitbestimmen, buchstäblich vor Augen zu führen, was selbstbestimmtes Leben sein kann. Aber bitte, gern geschehen!

Wenn die Solidaritätsversicherung ihren Namen künftig korrekt erfüllt und, ohne diskriminierende Risikoauslese, jede versicherte Person im Schadensfall ohne Tricks gleich abfindet, war der Vormittag nutzbringend verwendet.

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