Brandl: „Scheinbar nicht sprechen können“

Interview mit Maria Brandl vom SCHRITTEteam, sie arbeitet seit rund zweieinhalb Jahren mit KlientInnen von BALANCE. Das Interview für die Zeitschrift "Balancer" führten Josef Blaha und Jürgen Plank. Wir danken für die Verwendungserlaubnis.

Maria Brandl
Brandl, Maria

Die Arbeit mit behinderten Menschen hat Maria Brandl aufgrund ihrer persönlichen Betroffenheit begonnen: Sie hat zwei Söhne, der Jüngere ist 22 Jahre alt und mehrfach behindert. Sie ist eine Gründungsmutter der Integrationsbewegung und hat sich bisher beruflich stark für die schulische Integration von Menschen mit Behinderung eingesetzt.

Maria Brandl stammt aus Niederösterreich und hat sich nach einer kaufmännischen Ausbildung dem Bereich ‚Behinderung und Integration‘ zugewandt: Sie arbeitet heute selbstständig als Mediatorin und als NLP-Coach. Außerdem hat sie eine Moderations- und Aufstellungsausbildung und eine Ausbildung in Organisationsentwicklung absolviert. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen auf Beratung, Seminaren, Training und Coaching.

Balancer: Worin besteht Ihre Arbeit heute?

Maria Brandl: Ich mache sehr viele Seminare zur Persönlichkeitsentwicklung und zur Frage: Wie finde ich meine ‚Sprache‘? Das heißt hier: Wie erfahre ich oder wie komme ich drauf, was ich will? Das hat jetzt nicht mit Sprache direkt zu tun, denn auch Menschen, die scheinbar nicht sprechen können, haben ihre Wünsche. Ich mache Trainings mit MitarbeiterInnen von Wirtschaftsunternehmen und Institutionen zum Umgang mit behinderten Menschen und zum Aufbau von Mitbestimmungsstrukturen.

Balancer: Wie ist denn der Umgang mit behinderten Menschen in Betrieben?

Maria Brandl: Aus meiner Beobachtung heraus würde ich sagen, dass der Umgang sehr mit Angst besetzt ist, vor allem in Bezug auf Menschen mit Lernbeeinträchtigung. Menschen mit sehr hohem Intellekt – das geht noch irgendwie, aber in Bezug auf Menschen mit Lernbeeinträchtigung bestehen starke Berührungsängste. Da geht es auch um den Punkt: Sind die mehr Belastung für uns als sie uns bringen? Sind die überhaupt fähig eine Leistung zu erbringen? Dann die Frage: Wie gehe ich mit der Situation um: Was darf ich ansprechen und was nicht?

Jeder war schon betroffen

Balancer: Wie baut man diese Unsicherheit ab?

Maria Brandl: Meine Trainings sind so aufgebaut, dass es immer auch um den Hintergrund geht: Es gibt Rechte und man braucht so manches nicht mehr zu diskutieren, man muss sich darauf einstellen, dass Menschen mit Behinderung die gleichen Rechte haben wie andere und das muss man zunächst einmal wissen.

Ich setze immer bei diesem Punkt an: Wie oft waren Menschen ohne Behinderung schon selbst Betroffene? Jeder war schon in irgendeiner Form betroffen – sei es durch einen Krankenhausaufenthalt oder durch einen Unfall – und auf Hilfe angewiesen. Das sind Momente, in denen Menschen sehr stark nachzudenken beginnen und ich versuche dann herauszuarbeiten, welche Bedürfnisse plötzlich anders, welche Barrieren etwa zu bemerken waren.

Balancer: Wie sensibilisieren Sie noch?

Maria Brandl: In einer Art Rollenspiel wird den TeilnehmerInnen eine Behinderung zugeschrieben und danach bekommen sie eine Aufgabe gestellt – und dann sind sie meistens völlig hilflos, weil sie überhaupt nicht wissen, was sie tun sollen. Dann beginnen viele nachzudenken und es entsteht Achtung vor Menschen mit Behinderungen.

In einem weiteren Teil bringe ich betroffene ReferentInnen mit, die aus Ihrer eigenen Erfahrung erzählen und es dürfen Fragen gestellt werden – auch solche, die sie sich zuvor noch nicht zu stellen getraut haben. Es ist meistens nur ein Trainingstag und man kann die Welt nicht grundsätzlich verändern, aber schon etwas bewirken. Es tut sich schon etwas, die Einbindung der Betroffenen ist dabei ein Muss.

Balancer: Was tun Sie für BALANCE?

Maria Brandl: Einerseits unterstütze ich KlientInnensprecherInnen der BALANCE-Werkstätten dahingehend, dass es einmal im Monat ein KlientInnensprecherInnen-Treffen gibt. Ich moderiere und protokolliere dieses Treffen und bereite die Unterlagen für die Termine mit der Geschäftsführung vor; beziehungsweise offene Fragen zur pädagogischen Leitung oder zur Bereichsleitung.

Ähnlich ist es auch bei den BewohnerInnen-SprecherInnen, die Zusammensetzung ist da etwas anders, weil da das Bewusstsein für die Aufgaben und den Nutzen der BewohnerInnen-SprecherInnen noch nicht so gut gewachsen ist. Der dritte Bereich, in dem ich tätig bin, ist in Maria Ponsee. Dort ist im Vorjahr mit einer Organisationsentwicklung für die ganze Einrichtung begonnen worden und ich bin dafür da, mit den betroffenen Menschen ihre Wünsche und Anforderungen an etwas Neues zu erarbeiten und das dann in einen Organisationsentwicklungsprozess einfließen zu lassen.

Wie ein fremdes Wesen

Balancer: Welche Herausforderungen sehen Sie in Ihrer Arbeit für BALANCE?

Maria Brandl: Ich sehe die Menschen mit Behinderung als meine AuftraggeberInnen, dadurch ist die große Herausforderung für mich – weil es natürlich auch sehr viele Menschen mit Kommunikationsbeeinträchtigung gibt -, die Frage: Wie können wir die Menschen, die scheinbar nicht sprechen können, gut einbinden, damit sie gehört werden, damit wir ihre Bedürfnisse gut berücksichtigen können und sich nicht nur immer jene Menschen einbringen, die sprachlich sehr gut gewandt sind oder die sich gut in den Vordergrund stellen können. Das gilt vor allem im Wohnbereich, weil ich dort darauf angewiesen bin, dass in den Wohnhäusern selbst Treffen stattfinden und versucht wird, die Menschen zu unterstützen.

Meine Meinung ist immer: Auch wenn man nicht sprechen kann, hat man viel zu sagen. Und eine Herausforderung ist für mich immer, extern in die Wohnhäuser und Werkstätten zu kommen und zu sehen, was das mit dem Bereich macht – was sagen die MitarbeiterInnen dazu? Am Anfang habe ich mich ein bisschen wie ein fremdes Wesen gefühlt.

Balancer: Welche Methoden gibt es, Menschen mit Kommunikationsbeeinträchtigung eine Stimme zu geben?

Maria Brandl: Ich komme natürlich immer nur für kurze Zeit zum Einsatz, weil ich ja extern finanziert werden muss und ich bin insofern sehr stark auf MitarbeiterInnen angewiesen – ich brauche sie dafür, dass ich Menschen überhaupt verstehen kann. Sonst arbeite ich sehr kreativ, also mit sehr vielen Bildern und mit Plakaten, Symbolen und Zeichnungen.

Ich schaue auf die Reaktionen, etwa auf die Mimik und erkenne, was den Menschen Spaß macht oder was sie interessiert. Ich versuche sehr viele Frage zu stellen und mit unterschiedlichen Methoden – etwa mit Musik – einen Zugang zu finden. Und wenn ich merke, da gibt es ein Thema in der Gruppe, das ansteht, hole ich mir eine/n MitarbeiterIn als UnterstützerIn, die mir dann dolmetscht.

Balancer: Was tut der/die MitarbeiterIn in der täglichen Praxis, wenn die Grenzen von Sprachlichkeit erreicht werden?

Maria Brandl: Was der/die MitarbeiterIn macht, weiß ich jetzt auch nicht, aber es ist ja so, dass man oft wirklich nicht weiß, was die Betroffenen wollen und man interpretiert – und darin liegt auch die Schwierigkeit. Man kann sich dann sehr wohl ausmachen, dass die Betroffenen mit ‚Ja‘ und ‚Nein‘ reagieren. Ich stelle sehr viele Fragen zu einem Thema und arbeite mit dem ‚Ja‘ und ‚Nein‘: So kann auch die Augenbewegung eine Antwort sein oder ein Lächeln, da gibt es unterschiedliche Zeichen.

Balancer: Wann haben Sie mit Ihrer Arbeit Erfolg?

Maria Brandl: Wenn ich merke, dass ich im Sinne der Menschen mit Behinderung arbeite. Wenn meine KundInnen Vertrauen zu mir haben und mit mir arbeiten wollen. Wenn ich merke, dass sie halbwegs mit meiner Arbeit zufrieden sind. Wenn ich merke, dass die Betroffenen zu den Treffen kommen, zu denen ich im Namen der Geschäftsführung lade. Erfolg ist für mich, wenn ich bei einem Treffen Menschen dabei habe, die schon seit langer Zeit kommen und sich selten einbringen und plötzlich gibt es ein Thema, zu dem sie sich äußern – das ist für mich ein großer Erfolg. Erfolg ist auch, wenn die SprecherInnen nicht nur für ihre eigenen Belange da sind, sondern beginnen, sich mit Gruppenthemen auseinanderzusetzen; vor allem mit jenen Menschen, die einen hohen Unterstützungsbedarf haben.

Balancer: Was würde Ihre Arbeit erleichtern?

Maria Brandl: Meine Arbeit würde erleichtern, MitarbeiterInnen als 1:1-UnterstützerInnen für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf an meiner Seite zu haben. Erleichtern würde auch, wenn ich da oft auch wüsste, was sind – gerade im Wohnbereich – die Wünsche. Ich kann das oft nur vermuten, weil ich es oft zu wenig erfahre, weil es eben Menschen sind, die sehr schwer kommunizieren können.

Wünsche, Konflikte, Ängste, Lösungen

Balancer: Was sind denn Wünsche im Werkstättenbereich, von denen Sie erfahren?

Maria Brandl: Da geht es zum Beispiel um das Taschengeld: Warum hat das die jeweilige Höhe und warum ist es nicht mehr? Es geht um die Erklärung dazu. Was ist, wenn neue MitarbeiterInnen eingestellt werden: Haben da die KlientInnen Mitsprache und in welcher Form? Wie werden Feste organisiert, können die Betroffenen mitsprechen? Was geschieht bei Konflikten innerhalb einer Gruppe? In einer Werkstätte wird z. B. gestritten und es kommt vor, dass KlientInnen voreinander Angst haben.

Balancer: Wie oft finden Sie bei Problemen Lösungen?

Maria Brandl: Offene Fragen stelle ich an die Bereichsleitung und ich melde die Ergebnisse wieder zurück. Ich habe das Gefühl, dass der Rundlauf gut funktioniert: Ich protokolliere etwas, ich gebe es weiter an die Geschäftsleitung. Manche Dinge können auch nicht gelöst werden, aber man kann das dann zumindest erklären und der Ärger darüber ist oft weg. Seitens von BALANCE werden Bedürfnisse sehr ernst genommen und das finde ich – aus meiner externen Sicht – sehr positiv.

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