Volle Blase? Bitte warten!

Wenn berufsständische Interessen vor die Bedürfnisse behinderter Menschen gestellt werden, bleibt die Blase voll, der Darm unentleert und die Atemkanüle lebensbedrohlich verstopft.

barrierefreies WC
BIZEPS

Luise F. lebt in einer oberösterreichischen Wohngruppe für behinderte Menschen. Wenn sie durch die Hitze etwas zu viel Wasser getrunken oder zu viel wasserhältiges Obst gegessen hat, kann es sein, dass plötzlich schon um 15:00 Uhr ihre Blase voll ist. Obwohl sie es könnten, darf keiner der BehindertenbetreuerInnen sie katheterisieren.

Luise muss bis 18:00 warten, dann kommt die mobile Krankenschwester und mit ihr die Erleichterung. Bis dahin heißt es Schmerzen aushalten, spastische Krämpfe ertragen und eventuell sogar Gesundheitsschäden durch den Urinrückstau in die Nieren riskieren.

Man muss der Tatsache ins Auge sehen, dass nicht alle behinderten Menschen zu Hause leben können. Wenn man große Pflegeheime durch kleine Wohngemeinschaften und kleine Wohngruppen (bis zu 8 Personen) ersetzen möchte, muss man auch die Rahmenbedingungen für die Pflege behinderter Menschen entsprechend ihren Bedürfnissen adaptieren.

In familienähnlichen Wohnstrukturen kann nicht rund um die Uhr eine Pflegefachkraft auf Abruf bereit gestellt werden. Daher ist es notwendig, dass pflegerische Tätigkeiten für eine bestimmte behinderte Person in der WG von einer Pflegefachkraft an eine/n BetreuerIn delegiert werden können.

In der Novelle 2008 zum Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) konnte das wichtige Delegationsprinzip geschaffen werden. Dadurch können pflegerische Tätigkeiten von Pflegefachkräften an PersonenbetreuerInnen im Rahmen der 24-Stunden-Betreuung und an persönliche AssistentenInnen delegiert werden. Es ist völlig unverständlich, warum man ausgebildete BehindertenbetreuerInnen in Wohngruppen vom Delegationsprinzip noch immer ausschließt. Die derzeitige gesetzliche Regelung im GuKG führt zu teilweise absurden Situationen in Wohngemeinschaften:

Ein Abführzäpfchen darf nur die diplomierte Fachkraft verabreichen, auch einfache Verbände dürfen trotz Infektionsgefahr von BehindertenbetreuerInnen nicht gewechselt und sogar die Atemkanüle darf bei Verschleimung nur von einem diplomierten Krankenpfleger abgesaugt werden. Sogar bei Notfällen ist ein entsprechender mobiler Dienst zu kontaktieren. Wer weiß, dass bereits nach drei Minuten ohne Atmung Gehirnschäden auftreten, sieht die Irrationalität dieser Regelungen.

Betont sei, dass es hier nicht um Qualität geht. Denn eine Beatmungskanüle gut und fachgerecht absaugen, können nach einer Einschulung persönliche AssistentInnen genauso wie pflegende Angehörige. Es liegt an der Pflegegewerkschaft anstatt überholte Berufspfründe abzusichern, ein funktionierendes Case- und Care-Management aufzubauen. Dadurch würden nicht nur behinderte Menschen sondern auch Pflegefachkräfte durch neue Aufgabenbereiche profitieren.

Die Nagelprobe zwischen berufsständischen Interessen und den Grundbedürfnissen behinderter Menschen passierte im Ministerrat, wo die GuKG-Novelle auf der Tagesordnung stand.

Der wichtige Zugang zum Ausbildungsmodul der Basisversorgung wurde für BehindertenbetreuerInnen im letzten Moment vom Gesundheitsministerium aus dem Begutachtungsentwurf gekippt. Ebenso findet sich kein Ansatz eines Delegationsprinzips. Bestehendes wird festbetoniert, Flexibilisierungsansätze fehlen. Es braucht dringend eine GuKG-Reform, aber nicht diese!

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