Sommercamp 09: Voll dabei mit Assistenz

Ein Portrait über Esther Hoffmann, geschrieben von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul.

Portrait von Esther Hoffmann
Ottmar Miles-Paul

Für Esther Hoffmann hat der Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention eine besondere Bedeutung. Denn die 35jährige Frau aus München, die einen Elektrorollstuhl nutzt und bei den meisten Aktivitäten des täglichen Lebens auf Assistenz angewiesen ist, lebt wie alle anderen Menschen auch, mitten in der Gemeinde. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul hat am Rande des Sommercamps in Graz ein Porträt von der engagierten Frau erstellt. (Fotos vom Sommercamp 2009 in Graz)

„Das Haus, in dem ich heute lebe, hat fünf behindertengerechte Wohnungen. Alle anderen Wohnungen des vierstöckigen Hauses werden von Menschen ohne Mobilitätseinschränkungen bewohnt. Das heißt, dass ich mich in der Hausgemeinschaft voll integriert fühle und nicht ausgesondert wie in einer Einrichtung“, betont Esther Hoffmann. Das war nicht immer so. Gemeinsam mit ihrer Schwester wuchs die heutige Münchnerin in einem 650 Einwohner zählenden Ort im nördlichen Saarland auf. Schon in dem kleinen Dorf war Esther Hoffmann integriert, sie war damals das einzige behinderte Kind in der Ortschaft. 1989, als alle ihre Freundinnen und Freunde zur Ausbildung in andere Städte gingen, wollte sie auch nicht alleine zurück bleiben.

„Ich besuchte dann die Vorklasse zum Berufsgrundschuljahr im Vinzenzheim in Aachen. Ein Jahr später ging ich nach Bigge-Olsberg im Sauerland, wo ich das Berufsgrundschuljahr zwei Jahre besuchte. 1993 bekam ich einen Platz im Berufkolleg für Wirtschaft und Verwaltung in Rhöndorf, wo ich meinen Realschulabschluss mit Schwerpunkt Wirtschaft und Verwaltung absolvierte“, erzählt Esther Hoffmann.

Nachdem sie die Fachoberschule für Sozialwesen aufgrund zweier wichtiger Fächer um das Abitur zu erlangen nicht schaffte, ging sie nach langen Überlegungen in die Werkstätten der Stiftung Pfennigparade in München. Dies war für sie ein schwerer Entschluss, denn sie wollte nicht in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen arbeiten. „Rückblickend kann ich sagen, dass mir in meiner Situation nichts besseres passieren konnte“, bemerkt sie. Denn dort erkannten der Gruppenleiter und der Sozialdienst, wo ihre Stärken lagen, nämlich im sozialen Bereich. Hier bekam sie schnell einen Außenarbeitsplatz bei den Netzwerkfrauen Bayern.

„Dort setze ich mich intensiv für die Selbstbestimmung behinderter Menschen mit dem Schwerpunkt auf behinderte Frauen ein und habe dabei auch für mich selbst erkannt, dass ich nicht länger in Einrichtungen für behinderte Menschen leben möchte.“

Sie entschloss sich, den Kampf für eine eigene Wohnung aufzunehmen. Im Jahr 2007 konnte sie dann endlich aus der Wohngemeinschaft für körperbehinderte Menschen ausziehen. Hier wohnte sie mit vier weiteren Menschen mit Behinderungen zusammen in einer Wohnung. „Ich musste mich an Duschpläne, Bettgehzeiten und gemeinsame Essenszeiten halten. Mein Leben wurde dadurch massiv fremdbestimmt“, so Esther Hoffmann.

Heute beschäftigt Esthere Hoffmann acht Assistentinnen und Assistenten, die sie bei ihrer individuellen Lebensführung unterstützen. „Jetzt kann ich an Aktivitiäten wie dem Sommercamp für ein selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen oder an Fortbildungen oder Veranstaltungen auch außerhalb von München teilnehmen. Auch die Urlaubsplanung kann ich individuell gestalten.

Aufgrund meiner Schullaufbahn, die in verschiedenen Städten stattfand, habe ich in ganz Deutschland Bekannte und Freunde, die ich jetzt ohne weiteres besuchen kann.“ Was anfangs für Esther Hoffmann viel Arbeit war, geht ihr heute viel leichter von der Hand: Dienstpläne mit den Assistentinnen und Assistenten gestalten, diese anleiten, sich darum zu kümmern, dass die Stundenzettel pünktlich und korrekt ausgefüllt beim Lohnbüro ankommen oder auch mal Konflikte lösen, gehört heute selbstverständlich zu ihrem Alltag.

Was Esther Hoffmann gelungen ist, hofft sie auch für andere behinderte Menschen zu ermöglichen. Deshalb unterstützt sie diese mit Rat und Tat, ihre Wünsche und Ziele zu formulieren und umzusetzen. „Hier ist der Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention, in dem das Menschenrecht auf ein Leben mitten in der Gemeinde mit der entsprechenden Unterstützung verankert ist, ein gutes Instrument“, weiß Esther Hoffmann.

Um dieses Menschenrecht auch vollständig in die Praxis umzusetzen, tritt Esther Hoffmann zusammen mit einer Vielzahl behinderter Menschen und ihrer Verbände dafür ein, dass die Leistungen für die Assistenz vermögens- und einkommensunabhängig gewährt werden.

„Es kann nicht sein, dass nur weil man Assistenz braucht, oft keine Partnerschaft gelebt werden kann, weil der Partner mit in die Zahlung für die Assistenz genommen wird. Es kann auch nicht sein, dass man, wenn man einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hat, nur wenig von seinem Gehalt behalten kann oder entsprechende Ersparnisse aufgebraucht werden müssen“, kritisiert die engagierte Münchnerin die derzeitigen Regelungen.

Als persönlichen Wunsch für die Zukunft wünscht sich Esther Hoffmann daher, dass die Assistenz für behinderte Menschen zukünftig schnell und unbürokratisch gewährt wird.

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