10 Jahre Pflegevorsorge – Vom „Meilenstein“ zum Menschenrecht?

Hätten wir damals auf Fachleute gehört, dann gäbe es dieses Gesetz noch heute nicht.

Fragen rund ums Bundespflegegeldgesetz
Scharl, Magdalena

Zum Glück aber war die österreichische Behindertenbewegung von ihrem Recht auf Gleichstellung überzeugt und hörte nicht auf die zahlreichen Skeptiker. Dies gab uns auch die Kraft, den Kampf um unsere Rechte aufzunehmen und gemeinsam zu einem Ende zu führen.

Ist unser Kampf erfolgreich gewesen? Hat es sich gelohnt? Haben wir alles erreicht, was wir wollten? Was hat sich verändert? Wird jetzt niemand mehr gegen seinen Willen in ein Pflegeheim eingewiesen?

Nun, wir haben nicht alles erreicht, was wir damals angestrebt hatten: nämlich die völlige Gleichstellung mit den Kriegsopfern sowie ein Pflegegeld in der Höhe des tatsächlichen Bedarfs.

Die Kriegsopfer (und mit ihnen einige andere Personengruppen) erhalten vom Sozialministerium noch immer bessere Leistungen, und von Geldleistungen in der Höhe des tatsächlichen Bedarfs sind wir noch meilenweit entfernt – gerade in diesem Sektor besteht sehr großer Handlungsbedarf. Und noch immer werden behinderte Menschen gegen ihren Willen in ein Pflegeheim eingewiesen.

Doch für viele behinderte Menschen hat sich die Lebensqualität seither stark verbessert und daher hat sich unser Kampf gelohnt.

Die von uns erhobene Forderung nach einem einheitlichen Pflegegeld, unabhängig von der Ursache der Behinderung und der Höhe des Einkommens war bereits ein wesentlicher Schritt in Richtung Gleichstellung von verschiedenen Gruppen von behinderten Menschen.

Die Pflegevorsorge leistet aber einen wichtigen Beitrag zur Selbstbestimmung behinderter und pflegebedürftiger Menschen.

Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die Geldleistungen der Pflegegeldgesetze die Betroffenen in die Lage versetzten, Hilfe und Persönliche Assistenz einzukaufen und damit – wenigstens teilweise – selbstbestimmt zu leben.

Das Pflegegeld ist aber noch mehr: es ist ein erster und sehr wichtiger Schritt in Richtung Gleichstellung mit nichtbehinderten Menschen. Hier zeigt sich aber – im Umkehrschluß – auch, daß die derzeitige Situation einen eindeutigen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot in Artikel 7 des Bundes-Verfassungsgesetzes darstellt.

Im internationalen Vergleich schneidet unsere Regelung nicht so schlecht ab: Wir haben zwar nicht jene Regelungen wie z. B. einige skandinavische Länder, wo für die Gruppe von schwerbehinderten Menschen Assistenz rund um die Uhr finanziert wird. Wenn wir aber unsere Pflegegeldlösung etwa mit der in Deutschland vergleichen, dann schneidet Österreich beträchtlich besser ab.

Die Pflegevorsorge ist eine der ganz wenigen österreichischen Gesetzesmaterien, bei deren Zustandekommen die Betroffenen aktiv und nachhaltig mitgewirkt haben und die ohne das Engagement der Behindertenbewegung sicherlich niemals oder zumindest nicht in diesem Umfang zustande gekommen wäre.

Unserem Kampf mußte aber auch mit Unterschriftsaktionen, Mahnwachen, Brief- und Telefonaktionen, Demos sowie mit einem 10tägigen Hungerstreik Nachdruck verliehen werden.

Es besteht kein Zweifel: Unser Kampf ist noch nicht zu Ende! Vielleicht sollte das zehnjährige Jubiläum ein Anlaß sein, gemeinsam ernsthaft und intensiv über wichtige und notwendige Weiterentwicklungen und Verbesserungen nachzudenken.

In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen und vergessen werden, daß „Zehn Jahre Pflegevorsorge“ für uns beinahe auch ebenso viele Jahre „Abwehrkampf“ gegen Verschlechterungen bedeutet haben.

Denn immer wenn es um Einsparen gegangen ist, war unsere Personengruppe mit dabei, ja sogar eine der ersten gewesen, bei welcher der Sparstift angesetzt worden ist. Ohne Rücksicht deshalb, weil man sich von uns den geringsten Widerstand erwartete.

Auch die jetzige Bundesregierung hat beschlossen, das Pflegegeld – entgegen vorangegangener Ankündigungen und Versprechungen – wieder nicht zu valorisieren.

So verliert dieser Zuschuß von Jahr zu Jahr immer mehr an Wert, was dazu führt, daß das für die Betroffenen geschaffene Stück Gleichstellung immer kleiner, die dadurch verursachte Diskriminierung von Jahr zu Jahr größer wird.

Diese Vorgangsweise empfinden wir als Mißachtung unserer Personengruppe!

Erfreulich an der Pflegevorsorge ist, daß sie weniger kostet als seinerzeit von den BeamtInnen im Sozialministerium errechnet wurde, vor allem aber viel weniger, als von den Medien in regelmäßigen Abständen immer wieder kolportiert wird.

Andere, bewußt aufgebauschte Gruselmeldungen betreffen das angeblich rasante Ansteigen der Bezugsberechtigten und der in diesem Zusammenhang düster an die Wand gemalten Unfinanzierbarkeit des Systems. Auch hier spricht die Realität eine andere Sprache.

Durch die Einführung der Pflegevorsorge hat sich jedoch die Situation der BewohnerInnen in Pflegeheimen keineswegs verbessert. Die Strukturen sind dieselben geblieben. Das ist für uns ein unhaltbarer Zustand und stellt ein Versagen aller Beteiligten dar, auch der Behindertenbewegung.

Welche aktuellen Forderungen müssen nun im Sinne einer Weiterentwicklung der Pflegevorsorge vorrangig realisiert werden?

„offene Stufe“
Da wäre vor allem die schon längst überfällige Einführung einer sogenannten „offenen Stufe“, bei der an Betroffene gegen Nachweis Direktzahlungen geleistet werden, mit denen es NutzerInnen von Persönlicher Assistenz ermöglicht werden soll, ihren Tagesablauf bedürfnisgerecht zu gestalten.

Als Ergänzung zur Pflegevorsorge muß endlich ein Assistenzsicherungsgesetz geschaffen werden, das die Kosten der Persönlichen Assistenz für jenen Kreis von Betroffenen trägt, die einen hohen Assistenzbedarf haben und die für sich „Persönliche Assistenz“ als die geeignetste Lebensform ansehen.

Schlußendlich muß die Valorisierung im Gesetz festgeschrieben und der den Betroffenen durch die Nichtvalorisierung vorenthaltene Betrag rückwirkend ab 1996 erstattet werden.

Es bleibt zu hoffen, daß wir in den kommenden 10 Jahren nicht wieder gegen Verschlechterungen ankämpfen müssen, sondern daß die notwendigen Verbesserungen endlich in Angriff genommen werden können.

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