Die Umsetzung des öffentlich-rechtlichen Auftrags des ORF lässt zu wünschen übrig. Das neue ORF-Gesetz muss verpflichtend gewährleisten, dass gehörlose und blinde Menschen das Medium auch konsumieren können. Ein Kommentar für die Presse vom 15.9.09.
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Good News aus dem Hause ORF: „orf.at“, die Infoplattform im Internet, ist barrierefrei. Eigentlich ein Grund zur Freude. Trotzdem ein Re-Check beim Verein BIZEPS: Martin Ladstätter, Medienexperte im Zentrum für Selbstbestimmtes Leben, ist skeptisch: „Das haben wir gleich, in zwei Sekunden überprüfe ich das.“
Es dauert fünf Sekunden, und das Testergebnis ist eindeutig: „Es hat sich nichts geändert!“ Orf.at entspricht nach wie vor nicht einmal dem untersten Level der Zugänglichkeit für blinde Menschen. Dieser Missstand ist gerade deshalb untragbar, da blinde Menschen Informationen über das Internet beziehen und der ORF eine zentrale Nachrichtenquelle darstellt.
Ausgetrickst!
Eine fast unglaubliche Tragikomödie des Küniglbergs spielte sich zuletzt um die Einstellung des TV-Magazins „Wochenschau“ auf dem Rücken behinderter Menschen ab. Zur Vorgeschichte: Unter Generalintendantin Monika Lindner wurde bereits 1996 die „Wochenschau“ erstmals in Gebärdensprache ausgestrahlt. Dies war ein völliges Novum für den ORF, das er damals stolz verkündete. Damit machte der ORF Woche für Woche gehörlosen Menschen eine Nachrichtensendung in ihrer Sprache zugänglich.
Unverständlicherweise versuchte der ORF 2002 und zuletzt 2008, die Wochenschau aus dem Programm zu kippen, obwohl mittlerweile die Gebärdensprache in der Verfassung anerkannt war und die Sendung Zusehergewinne verzeichnete. Aufgrund massiver Proteste von Behindertenorganisationen konnte das Ende der Wochenschau verhindert werden.
Diesen Sommer trickste die Geschäftsführung jedoch alle aus: Während alle Redakteure und die Interessenvertreter auf Urlaub waren, wurde das Ende der Wochenschau verkündet. Begründung: Alle vier Redakteure haben den Golden Handshake angenommen und gehen in Pension. Stimmt nicht, hält die Redakteurin Dr. Liliane Roth-Rothenhorst in einer Stellungnahme an Behindertenorganisationen fest. Sie dementiert diese Version, sie hat nichts unterschrieben. Seit 6. September gibt es die Wochenschau nicht mehr und damit auch keine Nachrichtensendung im normalen ORF-Programm, welche in Gebärdensprache gedolmetscht wird.
Dabei würde die tägliche Dolmetschung der „ZiB1“ keine Mehrkosten verursachen. Denn was kaum jemand weiß: Sie wird bereits seit 2004 gedolmetscht ausgestrahlt. Warum dies noch niemandem aufgefallen ist? Die Erklärung ist einfach: Der ORF versteckt dieses Sendeformat auf seinem digitalen Satellitenableger „ORF2 Europe“. Dadurch können gehörlose Menschen, welche über einen Kabelanschluss verfügen, das barrierefreie Sendeformat größtenteils nicht empfangen, und es bleibt generell für viele unsichtbar. Angesichts der angespannten Finanzsituation ist unverständlich, warum der ORF nicht die barrierefreie „ZiB1“ in ORF2 ausstrahlt.
Kunden zweiter Klasse
Der ORF behandelt behinderte Menschen nicht als gleichwertige Kunden. Obwohl auch gehörlose Menschen Rundfunkgebühren bezahlen, sind laut letzter EBU-Umfrage nur 25 Prozent (2007) des Gesamtprogramms untertitelt und damit zugänglich. Annähernd 15.000 behinderte Menschen zahlen Rundfunkgebühren, wodurch der ORF – wenn er diese zweckgebunden verwenden würde – eine Verdoppelung der derzeitigen Teletext-Untertitelungskosten von 2,7 Millionen Euro erreichen könnte. Man fragt sich bei der geringen Untertitelungsquote, wo die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrages bleibt.
Zum Vergleich: Großbritannien und Irland untertiteln bereits seit 2007 hundert Prozent ihres Programms. Schweden und Belgien untertitelten zum gleichen Zeitpunkt 65 Prozent und Frankreich 60 Prozent. Die Schweiz legt Wert auf Qualität: Die gesamte Primetime von 19 bis 22 Uhr soll noch dieses Jahr untertitelt werden. Der WDR hat für 2009 angekündigt, das Untertitelangebot auf 90 Prozent zu verdoppeln. Die ARD untertitelt im derzeitigen deutschen Wahlkampf alle Wahlkampfsendungen und bietet damit gehörlosen Menschen eine wesentliche Möglichkeit, an der Demokratie teilzuhaben.
Barrierefreier ORF
Diese Woche wird im Parlament das neue ORF-Gesetz diskutiert. Der ORF fordert die Gebührenrefundierung in der Höhe von jährlich 60 Millionen Euro. Das ORF-Gesamtbudget bewegt sich in Richtung eine Milliarde Euro. Dies müsste ausreichen, um den Programm- und öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen. Sollte der Staat eine Gebührenrefundierung oder regressive Restrukturierungssubvention zugestehen, müsste dies jedenfalls mit der gesetzlichen Verankerung folgender Auflagen verbunden sein: erstens Untertitelung des gesamten Fernsehprogramms, zweitens barrierefreies Internetangebot und drittens zehn Prozent Audiodeskriptionshilfen (Erklärungshilfen im Zweikanalton).
Das Behindertengleichstellungsgesetz sieht für den gesamten öffentlichen Bereich Etappenpläne und Übergangsbestimmungen bis 2015 vor. Dann muss spätestens auch der ORF barrierefrei für seine Kunden zugänglich sein!