1915 – ein historischer Moment für die Geschichte der Behindertenbewegung

Siegfried Braun gründete die „Erste österreichische Krüppelarbeitsgemeinschaft“, die in der Zwischenkriegszeit Beratung für behinderte Menschen organisierte und behindertenpolitisch aktiv war.

Behinderte Personen der Krüppelarbeitsgemeinschaft präsentieren Körbe; mit Siegfried Braun
Das interessante Blatt

Siegfried Braun kann als einer der entscheidenden Gründer der österreichischen Behindertenbewegung gesehen werden. Braun schrieb 1934 rückblickend:

Schon im Jahre 1915 bemühte ich mich, eine Auskunfts- und Beratungsstelle für Krüppel zu errichten [‚Krüppel‘ war damals ein von behinderten Menschen selbst verwendetes normales Wort, Anm. VS]. Aus folgenden Ursachen: Im Jahre 1913 war ich von Olmütz in Mähren nach Wien übersiedelt, in der Hoffnung, daß von den großen Versprechungen, die mir Primarius Dr. Kienast als Leiter des damaligen Krüppelfürsorgevereines ‚Leopoldineum‘ und der berühmte Orthopäde Prof. Lorenz als Leiter der Universitätsklinik machten, wenigstens ein Bruchteil eingelöst werden würden.

Aber von beiden Seiten bekam ich als Abfertigung jene Worte zu hören, die immer als Damoklesschwert über uns Schwerkrüppeln hängen, wenn wir arm sind und keine Angehörigen besitzen, die in eigener Entsagung die schwere Pflicht übernehmen, die eigentlich Aufgabe des Staates und der Gesellschaft sein müßte. ‚Am besten ist es, Sie gehen ins Siechenhaus‘, das war der letzte Rat der Wissenschaft an einen 22 jährigen Menschen. Mich befiel Verzweiflung. Ich sagte mir: ‚Gut, ich geh‘ ins Siechenhaus, aber vorher schaffe ich eine Stelle, die anderen Krüppeln das jahrelange Suchen und dann Zuspätkommen für eine Hilfe nach Möglichkeit erspart.‘ “ (Der Krüppel, 9/10 1934, S. 37-38)

Siegfried Braun gründete die „Erste österreichische Krüppelarbeitsgemeinschaft“, die in der Zwischenkriegszeit Beratung für behinderte Menschen organisierte und behindertenpolitisch aktiv war. Wie diese sehr aktive Bewegung in der Zwischenkriegszeit arbeitete und scheiterte, ist jetzt nachzulesen.

Diese Geschichte und wie es nach dem zweiten Weltkrieg und ab den 1970er-Jahren mit einer Neuen Behindertenbewegung weiterging, ist jetzt in einer Dokumentation über den Zeitlauf von 100 Jahren Behindertenbewegung nachzulesen: http://bidok.uibk.ac.at/projekte/behindertenbewegung/

Zeitungsausschnitt
Das interessante Blatt, 12.11.1931, Seite 7 und 8
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2 Kommentare

  • Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie stark bis in die 1990er Jahre zwischen „Kriegsinvaliden“ und „Zivilinvaliden“ unterschieden wurde. Während die eine Gruppe mit Trafiken und großzügigen Unterstützungen versorgt wurde blieb für die Andere fast gar nichts. Die Unterstützung für Zivilblinde betrug 1981 je nach Bundesland zwischen 2600 und 3000 Schilling. Jene für Kriegsinvalide mit ihren Trafiken österreichweit 8000 Schilling.

    • wie mit den Löhnen zw. Herren und Damen: ein Problem der Regierenden.