Der Standard: Kürzlich wurde das UN-Jahr der Freiwilligen feierlich eingeläutet. (Gastkommentar von Bernd Marin)

Der Kommentar von Bernd Marin im „Der Standard“:
Festredner Christoph Badelt bezifferte den Wert der Freiwilligenarbeit hierzulande mit rund drei Milliarden Schilling pro Woche. Dieser Schattenpreis sei aber fiktiv, da für marktübliche Tarife die unbezahlten Leistungen weder erstellt, noch bestellt werden könnten.
Unbezahlbar
Denn: Was nichts kostet, kann doch viel wert sein. Völliger sozialer Kollaps, wenn die unbezahlte Schwerarbeit des „Ehrenamts“ nur einen einzigen Tag aussetzte: Krankentransporte, Bergungen, Katastrophen- und Brandschutz, Essen auf Rädern, Besuchsdienste, die Betreuung von Jugendlichen, Flüchtlingen, Folteropfern, zivilen Kriegsüberlebenden oder Behinderten, Hospizbewegung, Sterbebegleitung, Selbsthilfe für AIDS- und Krebskranke, Beschäftigungs-, Bewährungs- und Nachbarschaftshilfe, Geld- und Blutspenden, Essen und Notschlafstellen für Obdachlose, Amnesty, Um-weltschutz, Dorfverschönerung, Volksmusik, Freiwillige Feuerwehr, Bergrettung, nichts ginge ohne Freiwillige.
„Nicht für nichts“
Nimmt Volunteering im Non-Profit-Sektor reguläre Arbeit weg? Wird Hilfsbereitschaft in prekärer Arbeit ausgenützt? Oder würde, was freiwillig nicht erbracht wird, über Steuern und Gebühren unfinanzierbar und als marktfähig kommerzielles Angebot nur für Reiche erschwinglich sein?
Und wird nicht in Schulgemeinden, Mütterzentren oder Seniorengenossenschaften weniger „Aufopferung“ und „Nächstenliebe“ als Selbsthilfe und Solidarität praktiziert ? Während das altbackene „Ehrenamt“ noch nach Armenfürsorge und Vormundschaftswesen des 19. Jahrhunderts klingt, ist bürger-schaftliches Engagement des 21. Jahrhunderts nützlich für andere wie für eine(n) selbst: Es vermittelt auch neue Erfahrungen, Qualifikationen, Erfolgserlebnisse, Anerkennung, Befriedigung, Selbstverwirklichung im Gemeinwesen – Lebenssinn jenseits bloßen Konsumierens.
Denn meist macht bezahlte Arbeit weniger Spaß, Freizeit weniger Sinn als Freiwilligenarbeit – unbezahlt ist unbezahlbar, aber „man arbeitet nicht für nichts“. Immer schon hatte „Gotteslohn“ einen immateriellen, heute aber einen faireren Gegenwert, der lange durch Ausbeutung, Unterwürfigkeit und Heuchelei gedrückt war. Auch künftig werden Mitgefühl, Solidarität, Werte unverzichtbar sein: Aber Selbsthilfe, Selbstorganisation und Selbstverwirklichung und nicht selbstverleugnendes „Aufopfern“ für andere sind jetzt treibende Kräfte von Engagement und Alternativen zu bloßer Konsumtrottelei geworden.
Tatsächlich sind 42 Prozent der ÖsterreicherInnen aktiv. Ein Viertel der bisher Inaktiven wäre noch zu gewinnen. Denn Benchmarks zu Non-Profit-Volunteering zeigen unser Land, wie bei vielen Sozialdaten, eher bei Südost- als bei Nordwesteuropa: Kaum zehn Prozent der aktivsten Österreicher erbringen die 20 Monatsstunden Volunteering durchschnittlicher Amerikaner oder Holländer neben ihrer Berufsarbeit.
Denn beruflich Aktive sind trotz größerer Zeitnot auch ehrenamtlich aktiver. Zwar gäbe es ohne Hausfrauen und Pensionisten kaum ein Vereinsleben, doch ist ihre Rolle weit unter ihrer großen Zahl: Personen mit der meisten Freizeit geben am wenigsten davon für Freiwilligenarbeit. Niemand würde Hausfrauen und Pensionisten für unwilliger halten, dem Gemeinwesen zu dienen: Eher scheinen sie, wie Arbeitslose, unwillentlich „unfähiger“, weil unfreiwillig isoliert auch von Freiwilligenarbeit und Sozialbezügen. Doch Millionen materiell abgesicherter, gesunder, gut ausgebildeter, erwerbsloser Damen und Herren mit Tagesfreizeit über Jahrzehnte sind die große Reserve ungenutzten Engagements.
Bürgerbeteiligung wird moderner: Aus Honoratiorenvereinen werden soziale Unternehmen und zivile Initiativen, wo Aktive in die eigenen Hände nehmen, was Markt und Staat versäumen.
Neue Philosophie
Der Staat wird nicht aus seiner Pflicht entlassen: Er muss ein Umfeld kultivieren, in dem Selbstorganisation, freiwilliger Einsatz und Mitgestaltung des Zusammenlebens gedeihen. New-Welfare-Mix: Auch Private brauchen öffentliche Transfers, der Staat wiederum Partner jenseits von Ämtern und Märkten. Nicht „Sparen in der Not“ öffentlicher Kassen, sondern die Ermöglichung unverzichtbarer Eigenbeiträge zu einer lebenswerteren Gesellschaft sollte staatliche Verantwortung leiten.
Bürgersinn, persönliche Verantwortung, Eigeninitiative und Arbeit am Gemeinwesen sind neben Sozialschutz und -rechten das soziale Kapital lebendiger Demokratie und moderner Wohlfahrt. Unhaltbar hingegen ist paternalistische Fürsorge „von der Wiege bis zur Bahre“ wie auch zeitgeistig-darwinistisches, vulgärliberales laissez-aller sozialen Kahlschlags. Ein schlanker, starker Staat würde dem Zivildienst und der Freiwilligenarbeit statt „Nichtuntersagungsbescheiden“ neue Betätigungsfelder und Unterstützungen eröffnen: Mandate, Verträge, Lizenzen, Anerkennung, Mitsprache, Begleitung, Fortbildung , Aufwandsersatz, Tätigkeitsausweise, Versicherungsschutz, Pensionsanrechnung, ja, auch Geld und Steuervorteile, z.B. für Freistellungen für „Sozialzeit“ statt Kündigungen durch Unternehmen usw.
Will man die Entfremdung zwischen Bürger und Staat überwinden, wird man unsere Selbstaktivierung besser fördern müssen und nicht bürokratisch oder parteipolitisch gängeln.