308 Menschen mit Behinderungen unter 60 Jahren in Wiener Pflegewohnhäusern!

Eine kritische Zwischenbilanz zum Projekt "jüngere behinderte Menschen in Pflegewohnhäusern" des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV).

Ortschild mit Aufdruck Wien
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Im August 2013 erschien in der Tageszeitung Kurier ein Artikel mit dem Titel „Mit 41 im Seniorenheim„.

Damit griff der Kurier ein Thema, einen Umstand auf, von dem Insider schon sehr lange wussten, aber gegenüber der Öffentlichkeit verschwiegen hatten.

Andere hatten schon länger eine vage Vermutung, aber keine konkreten Informationen. Und auf diese warten wir großteils auch noch heute.

Zunächst gute Reaktionen und konstruktive Konsequenzen

Die IVS Wien (Interessensvertretung sozialer Dienstleistungsunternehmen) reagierte mit einer entsprechenden Presseaussendung „Rückschlag für Menschen mit Behinderung: IVS Wien spricht sich entschieden gegen Spezialstationen in Geriatriezentren aus„. Auch BIZEPS hat darüber berichtet und beim Krankenanstaltenverbund und FSW nachgefragt.

Die zuständige Stadträtin Mag.a Sonja Wehsely (SPÖ) reagierte prompt und setzte eine ExpertInnengruppe zum Thema „Betreuung und Pflege von jüngeren Menschen mit Behinderungen in Wiener Pflegeeinrichtungen“ ein. Unter der Koordination des Dachverbandes Wiener Sozialeinrichtungen sollen verschiedene Interessensgruppierungen eine Darstellung der derzeitigen Situation erarbeiten und davon ausgehend Lösungswege vorschlagen.

Bis dato hat die ExpertInnengruppe vier Sitzungen abgehalten. Die VertreterInnen kommen aus der KAV Teilunternehmung Geriatriezentren und Pflegewohnhäuser, der Volksanwaltschaft, Dienstleistungsorganisationen, dem FSW und der Interessensvertretung behinderter Menschen (IVbM).

Die Grundlage für ein weiteres Arbeiten ist bzw. wäre eine detaillierte Erhebung über die betroffenen behinderten Menschen. Naturgemäß ist das eine – zugegebenermaßen aufwendige – Arbeit, die dem KAV und dem FSW obliegt. In den Sitzungen selbst kann grundsätzlich nur präsentiert, diskutiert, hinterfragt und insistiert werden.

Numerische Metamorphosen …

Laut KAV „lebten in den Pflegeeinrichtungen des KAV im September 2013 rund 220 Personen unter 60 Jahren. Dazu kommen 79 Personen aus dieser Gruppe, die im sozialtherapeutischen Zentrum Ybbs leben.“

Diese und weitere Zahlen haben sich im Laufe der Monate immer wieder geändert. Damit paarten sich unvollständige Informationen über die Art der Behinderung und/oder Erkrankung.

Die aktuelle Situation hat der Fonds Soziales Wien in einer Kurzpräsentation in der letzten ExpertInnengruppe so umschrieben:

Im Rahmen der „Überprüfung der Passgenauigkeit der sozialen Dienstleistung für Menschen mit Behinderung unter 60 Jahren in Pflegewohnhäusern des KAV mit ärztlicher Rund-um-die-Uhr-Betreuung mit Stichtag 1.3.2014“ wurden insgesamt 308 Personen erhoben.

Der FSW hat weiters eine Aufschlüsselung dargelegt: Anzahl der Personen pro Pflegewohnhaus bzw. Geriatriezentrum. Bei einer Evaluation durch den FSW haben „50 BewohnerInnen unter 60 Jahren selbst den Wunsch geäußert, die Einrichtung zu wechseln.“ Wirklich zentrale Erkenntnisse brachten diese Zahlen jedoch nicht.

… und babylonische Sprachverwirrung

Sehr oft wurden und werden für ein und dieselbe Sache unterschiedliche Begriffe verwendet. Weiters sind immer wieder Abgrenzungen unklar, ebenso die Information, was bei einem Begriff mit inkludiert ist und was nicht.

So spricht man halt von: Geriatriezentren, Pflegewohnhäusern, Pflegeeinrichtungen, Spezialstationen, Wachkoma, Langzeitbeatmung, Gerontopsychiatrie, Casemanagement, Assessments & Re-Assessments, Fehlunterbringung, Verhaltensstörungen, psychischer Herausforderungen, chronisch somatischer Symptomatik, körperlicher Symptomatik, neurologischer und psychiatrischer Symptomatik, schwer mehrfach behinderter Menschen …

Viele offene Fragen

Der KAV formulierte zum Beispiel: „Unserem Auftrag gemäß werden bei uns Bewohnerinnen und Bewohner betreut, die eine stationäre Langzeitpflege, therapeutische Maßnahmen und eine laufende medizinische Betreuung, unabhängig vom Lebensalter, rund um die Uhr benötigen.“ Doch wer entscheidet darüber, wann diese Kriterien (Pflege, Therapie, medizinische Betreuung) zutreffen? Muss dies unbedingt in einem – zugegebenermaßen zwar modernen – Pflegewohnhaus mit durchschnittlich 300 Betten, einer Großeinrichtung wie anno dazu mal sein? Praktisch Krankenhausatmosphäre rund um die Uhr für den Rest eines Lebens? Und ist das mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar? Mitnichten!

Weiters betont der KAV, „dass es sich bei den beiden Stationen (Anm. Spezialstation für jüngere Menschen in einem Pflegewohnhaus) in Innerfavoriten und Baumgarten um die einzigen diesbezüglichen Projekte handelt und keine weiteren geplant sind.“

Aber sollen jetzt diese beiden Spezialstationen wirklich weiter betrieben werden? Gibt es einen internen engagierten Zeitplan, wann die betroffenen Menschen in anderen Wohnformen unter würdigen und konventionskonformen Umständen so weit wie möglich selbstbestimmt leben können? Wie schauen eigentlich die tatsächlichen Pläne des FSW und des KAV aus?

Mehr als „sauber, satt und warm“?

Die Expertengruppe konnte sich im Oktober im Rahmen einer kurzen Führung durch das Pflegewohnhaus Innerfavoriten einen ersten Eindruck über diese Spezialstation machen. Für mich war es bereits die zweite Führung. Über meinen ersten Ein- und Ausblick habe ich schon berichtet.

Doch auch mein zweites Mal verstärkte meinen negativen Eindruck von dieser Großeinrichtung. Von außen macht das Gebäude schon einen imposanten, aber ab-/verschlossenen Eindruck. Auch Erreichbarkeit und Infrastruktur sind problematisch.

Zwar sind die Zimmer der Bewohner und Bewohnerinnen, die wir gesehen haben, grundsätzlich modern. Doch mir sind viele Sachen aufgefallen, die mich sehr nachdenklich stimmten. Sind das die Antworten, wie wir mit behinderten, schwer-chronisch-kranken und auch alten, dementen und hochbetagten Menschen umgehen sollen?

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3 Kommentare

  • Im Zentrum muß immer der Gedanke der Selbstbestimmung sowie der einer inklusiven Gesellschaft stehen.

  • Dieses Thema geht unter die Haut! Es wäre zu betonen, daß es im Sinne der Umsetzung der UN-Behindertenkonvention wesentlich wäre, häusliche Assistenz und Pflege nach Wunsch der betroffenen Personen ebenso zu ermöglichen wie solche in Spezialeinrichtungen /Haimen.
    Gerade in Wien dürfte es aber doch einige Personen/Familien geben, die eine spezialisierte RundUmBetreuung in solchen Zentren schätzen, zB weil sich niemand die Verantwortung für die Pflege von Menschen mit Behinderung zutraut, die zB im Koma liegen oder gerade eine Seria von Schlaganfällen hinter sich haben, und Betroffene, die froh sind, daß sie in allem Unglück, das ihnen gesundheitlich widerfährt, einen gesicherten Pflegeplatz haben, der auch einigermaßen wohnortnah zu Angehörigen ist (im Vergleich zur früheren Unterbringung in „Lainz“). Es sollte niemand genötigt werden, in eine solche Einrichtung zu gehen. Aber insgesamt möchte ich dem Projekt einen kleinen Pluspunkt geben. In meinem Bekanntenkreis hat es einen Fall gegeben, in dem die Lebensgefährtin und Mutter des Sohnes des Betroffenen, die außerhalb Wiens lebt, nach einem Spitalsaufenthalt nicht gleich bereit war, die Pflege des Betroffenen zu übernehmen. Hier konnte eine schrittweise Reintegration des Betroffenen von der Spezialeinrichtung heraus und in ein häusliches Umfeld hinein erfolgen, mithilfe der Einrichtung der Stadt Wien…

  • Jeder dem klar ist, dass es morgen ihn selbsttragenden kann muss dagegen aufstehen. Leider schieben wir diesebGedanken von uns.