5 Jahre Verfassungsänderung

Eine Zwischenbilanz

Gleichstellung jetzt!
BIZEPS

Am 14. August 1997 trat – zur Freude der Behindertenbewegung – folgende Verfassungsänderung in Kraft: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“ (Artikel 7 Abs.1 B-VG)

1997: Meilenstein
Dieses Jahr brachte neben der oben erwähnten Verfassungsänderung – Antrag der ÖVP, der einstimmig beschlossen wurde – auch eine Novelle der Schulgesetze, die die Integration von behinderten SchülerInnen in der Sekundarstufe ermöglichte. Weiters trat eine Änderung der Verwaltungsverfahrensgesetze in Kraft, durch die ein Diskriminierungsverbot für behinderte Menschen geschaffen wurde, das auch verwaltungsstrafrechtlich geahndet werden kann. Dieses Jahr war sehr erfolgreich und stellt daher einen Meilenstein für die Bürgerrechte behinderter Menschen dar.

1998: Die Suche beginnt
Die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung (SLIÖ) schlug vor, im Bundeskanzleramt / Verfassungsdienst eine Arbeitsgruppe einzurichten, die Diskriminierungen in Gesetzen aufzeigt.

Diesem Vorschlag kam der Bundeskanzler nach und installierte eine „Arbeitsgruppe zur Überprüfung der Rechtsordnung hinsichtlich behindertendiskriminierender Bestimmungen“, an der neben der SLIÖ auch die ÖAR und Integration:Österreich, sowie BeamtInnen unterschiedlicher Ministerien, der Ämter der Landesregierungen und die BehindertensprecherInnen beteiligt waren. Die Behindertenbewegung erstellte für diese Arbeitsgruppe als Vorarbeit zwei Arbeitsbehelfe, die die Grundlage für die Arbeiten bildeten. 1998 war geprägt von diesen Arbeiten.

Im September erzielten wir z. B. als eines der ersten Ergebnisse, daß Bestimmungen in den Wahlgesetzen im Rahmen der Beschlußfassung des sogenannten „Demokratiepakets“ geändert wurden, um behinderten Menschen das Wählen zu erleichtern.

Nun begann auch die Arbeit in den Bundesländern. Dafür wurden in einigen Bundesländern ähnliche Arbeitsgruppen wie im Bundeskanzleramt eingesetzt.

Das Land Vorarlberg ergänzte seine Verfassung um den Satz: „Das Land bekennt sich zur Verpflichtung der Gesellschaft, alte und behinderte Menschen zu unterstützen und die Gleichwertigkeit ihrer Lebensbedingungen zu gewährleisten“.

1999: Erste Ergebnisse liegen vor; Gleichstellung wird eingefordert
Nach 15 Monaten Arbeit legte der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes im März einen mehr als 100 Seiten umfassenden Bericht vor. Darin enthalten sind eine Vielzahl von diskriminierenden Gesetzesstellen, die umgehend beseitigt werden sollten.

Einige davon – wenn auch leider die weniger wichtigen – Diskriminierungen wurden in einem, im Juli beschlossenen „Bundesgesetz, mit dem zur Beseitigung behindertendiskriminierender Bestimmungen das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, u.a. geändert werden“, beseitigt.

Weil sich Gleichstellung nicht nur auf die Novellierung diskriminierender Gesetze beschränken kann, hat die Abgeordnete Theresia Haidlmayr (GRÜNE) im November Anträge zur „Anerkennung der Gebärdensprache 23/A(E)“, sowie für ein „Behinderten-Gleichstellungsgesetz (Beh-GStG) 31/A“ gestellt.

Wieder wurden Ergebnisse des Berichtes aus dem Bundeskanzleramt umgesetzt. Diesmal bei einer Novellierung des Behinderteneinstellungsgesetzes.

BIZEPS erstellt die Broschüre „Gleichstellung jetzt!“, von der schon fast 5.000 Exemplare verteilt worden sind.

2000: Neue Regierung zeigt kein Interesse
Österreich erlebt mit dem Regierungswechsel eine turbulente Zeit, und die anschließenden Sparpakete binden viele Energien der Behindertenbewegung. Die FPÖ-ÖVP Regierungserklärung läßt erahnen, daß im Bereich Gleichstellung keine Akzente mehr gesetzt werden sollen, weil in diesem Bereich keine Ziele genannt werden.

Die im Vorjahr von Abg. Haidlmayr (GRÜNE) eingebrachten Anträge (Behindertengleichstellungsgesetz und Anerkennung der Gebärdensprache) werden im Mai einem Unterausschuß des Verfassungsausschusses zugewiesen.

Insider des parlamentarischen Betriebes sagen voraus, daß dies einzig deswegen passiert, um sie NICHT behandeln zu müssen. Genau das tritt auch ein. Seit Mai 2000 liegen die Anträge unbehandelt in einem Unterausschuß, der genau einmal getagt hat. Lapidare Anmerkung des Protokolls: „In der Sitzung vom 24. Mai 2000 wurde kein neuer Termin vereinbart!“

BIZEPS startet – mit einer finanziellen Starthilfe des Liberalen Landtagsklubs in Wien – die Kampagne „Gleichstellung jetzt!“ Wir beginnen Diskriminierungen aufzuzeigen und auch rechtlich zu bekämpfen.

2001: Der Schwung ist weg
Eine Auswirkung des Sparpaketes ist die Besteuerung der Unfallrenten. Teile der Steuereinkünfte wurden für die sogenannte „Behindertenmilliarde“ zur Schaffung von Arbeitsplätzen für behinderte Menschen verwendet. Viele Organisationen reichten Projekte ein und waren mit diesen Projekten voll ausgelastet. Das Thema Gleichstellung verlor an Schwung.

Das Land Oberösterreich erweiterte seine Landesverfassung um eine Bestimmung für behinderte Menschen.

Nach jahrelanger Diskussion trat im Juli endlich eine Änderung im Rahmen des „Kindschaftsrechtsänderungsgesetzes“ in Kraft, die die Sterilisation nur mehr in ganz engen und klar definierten Grenzen zuläßt. Früher wurden Menschen mit geistiger Behinderung durch Gesetze nicht vor einer Sterilisation geschützt; es reichte z. B. die Einwilligung der Eltern .

Aufhorchen läßt die Behindertenbewegung der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in seinem Erkenntnis B2128/00 vom 27. November 2001. Dort wird klar und unmißverständlich vor Augen geführt, daß sich aus der Verfassungsbestimmung in Artikel 7 der Bundesverfassung tatsächlich ein subjektives Recht, nämlich, nicht wegen einer Behinderung gegenüber nichtbehinderten Menschen benachteiligt zu werden, ableiten läßt. (Es wird erkannt, daß § 39 Abs. 1 Z. 3 Arbeitslosenversicherungsgesetz in Konflikt mit dem Gleichheitssatz steht.)

2002: Neuer Anlauf?
Besonders die Jahre 2000 und 2001 waren sehr frustierend für uns, weil die Bundesregierung in dieser Zeit keine Akzente im Gleichstellungsbereich setzte. Häufig war sogar der Fall, daß sie Handlungen setzte, die – unserem Empfinden nach – klar gegen den Geist der Verfassungsbestimmung verstießen.

Im Februar brachte die Abg. Haidlmayr (GRÜNE) daher fünf Anträge ein, – 613/E(A) bis 617/E(A) – um zu erfahren, ob und inwieweit der Bericht von Bundeskanzleramt / Verfassungsdienst umgesetzt wurde. Bisher wurden diese Anträge – mangels Interesse der Regierungsparteien – nicht behandelt.

Die Abgeordnete Lapp (SPÖ) stellte im Juli drei Anfragen – 4174/J, 4230/J und 4231/J – um zu erfahren, inwieweit die Empfehlungen des Berichtes Bundeskanzleramt / Verfassungsdienst in den einzelnen Ressorts umgesetzt wurden. Wir erwarten die Antworten darauf im Herbst.

Und sonst?
Diese Aufstellung läßt sich noch beliebig erweitern, und viele Aktivitäten und Auswirkungen sind nicht leicht nachzuvollziehen. Beispielsweise werden bei Stellungnahmen von Behindertenorganisationen zu Gesetzen (besonders von der ÖAR) häufig Bezüge zum Artikel 7 der Bundesverfassung betont. Hier wurde sicherlich erreicht, daß diskriminierende Bestimmungen erst gar nicht zu einem Gesetzestext werden.

Es gab auch eine Reihe von Veranstaltungen zum Thema „Gleichstellung“. Jede dieser Veranstaltungen bringt uns unserem Ziel eines umfassenden Behindertengleichstellungsgesetzes näher.

Auch in der öffentlichen Diskussion hilft uns die Verfassungsbestimmung sehr. Besonders deutlich wurde dies bei der Kampagne gegen das diskriminierende Museumsquartier. Der Druck von uns und den Medien, die die baulichen Mängel klar als Diskriminierung werteten, zeigte Erfolg.

Ausland als Inspiration
Heuer trat in Deutschland ein Behindertengleichstellungsgesetz in Kraft, und auch in der Schweiz wird intensiv darüber diskutiert.

Mit Freude konnten wir verfolgen, daß im benachbarten Ausland die Diskussion um Behindertengleichstellungsgesetze zügig voranschritt.

Erreicht wurde dies meist durch den Zusammenschluß und die Zusammenarbeit all jener Organisationen und Personen, die gemeinsam am Thema arbeiten wollen. In Österreich kann bei diesem Punkt noch einiges verbessert werden und es ist begrüßenswert, daß sich ein „Forum Gleichstellung“ mit dem Ziel gebildet hat, ein Behindertengleichstellungsgesetz zu erreichen.

Zusammenfassung
In den letzten fünf Jahren ist im Bereich Gleichstellung viel passiert, doch es bleibt unbestritten, daß gerade in den letzten zwei Jahren der politische Gegenwind sehr stark war und wir eigentlich mehr erreichen wollten, als das der Fall war.

Einer der Vorkämpfer, der kürzlich verstorbene Prof. Heinz Barazon, schrieb in BIZEPS-INFO vor einigen Jahren: „Zusammenfassend muß festgelegt werden, daß viel Arbeit und Energie nötig sein wird, um die Aufnahme der Behinderten in den Art. 7 der Bundesverfassung in der Realität wirksam werden zu lassen.“

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