Bereits seit frühester Kindheit beschäftigt sich Markus Kirschner, Verkäufer in der Weißwaren-Abteilung von Media Markt in „The Mall“ in Wien Landstraße, mit Waschmaschinen.
Zu einem Zeitpunkt, als Gleichaltrige mit ihren Autos, Legosteinen oder ihren Haustieren spielten, war die Waschmaschine seiner Eltern das bevorzugte Spielgerät. Kirschner kam blind zur Welt.
„Aufgewachsen bin ich mit einer Gorenje“, erzählt er. „Die Waschmaschine meiner Eltern hat mich von frühester Kindheit fasziniert.“ Stundenlang saß Kirschner gebannt vor dem interessanten Haushaltsgerät. Es war praktisch Liebe auf den ersten Blick.
„Die sich verändernden Geräusche, die Übergänge vom Wasch- zum Spülprogramm und als akustischer Höhepunkt das Schleuderprogramm fand ich besonders spannend.“ Etwas später, wenn die Geräte im Bekanntenkreis den Geist aufgaben, zerlegte Kirschner diese und baute sie wieder zusammen.
Vom Telefonisten zum Waschmaschinenexperten
Im Schuljahr 2013/14 absolvierte Kirschner einen Lehrgang für Telekommunikation und wurde zum Telefonisten ausgebildet.
„Im Call Center wurde mir rasch langweilig und auch das dauernde Sitzen war nicht nach meinem Geschmack.“ „Sein Wunsch, Waschmaschinen zu verkaufen, wurde immer größer“, erzählt Beate Fritz, Betreuerin der „Beruflichen Assistenz für blinde und sehbehinderte Menschen.
„Ich packte Markus und besuchte mit ihm eine Red Zac Filiale“. Da kein Verkäufer zur Stelle war, führte Kirschner ein 30-minütiges Verkaufsgespräch mit einer Kundin. Nun war auch Fritz von Kirschners besonderen Fähigkeiten überzeugt und „überrumpelte Filialeiter Michael Prager vom Media Markt. Der fand die Bewerbung höchst interessant und lud Kirschner zu einem Vorstellungsgespräch ein.
„Ich erzählte ihm, dass ich mit einer Gorenje aufgewachsen bin“, was Prager veranlasste, Kirschner einen Praktikumsplatz anzubieten. So lernte Kirschner in Kürze Marken und Geräte kennen. Im folgenden Arbeitstraining des AMS und mit Unterstützung durch die Arbeitsassistenz erlernte Kirschner während des laufenden Betriebs das Führen von Verkaufsgesprächen und das gesamte Drumherum kennen.
„Ohne die Unterstützung meiner neuen Kollegen hätte ich das nie geschafft“, erzählt Kirschner. Zahlreiche Produkt-Schulungen innerhalb der Abteilung, aber auch Gespräche und Online-Seminare mit den Herstellern der Geräte brachten Kirschner auf den aktuellen technischen Stand. Mit diesem Fachwissen und dem Gespür für Kundenbetreuung ausgestattet, gelang die Einarbeitung innerhalb kürzester Zeit.
„Ich habe den Herstellern bei meiner Ausbildung viel zu verdanken und ihnen Löcher in den Bauch gefragt.“ Eine spezielle Software erlaubt es Kirschner, sich in der internen Datenbank über die verfügbaren Geräte, Lieferzeiten und Preise zu informieren. Ein Screen Reader-Programm mit Sprachausgabe, welche auf das Keybord aufgesteckt wird, ermöglicht dies.
„Seit Anfang 2015 bin ich 30 Stunden in der Woche angestellt“, erzählt Kirschner und ist stolz, in seinem Wunschjob gelandet zu sein. „Als Plan B hätte ich mir vorstellen können, mich als Guide bei „Dialog im Dunkeln“ vorzustellen, obwohl ich noch nie dort war“, schmunzelt Kirschner.
„Mein Leben abseits der Waschmaschinen verbringe ich mit Spaziergängen in der Natur, Karten spielen und beim gemeinsamen Kochen mit Freunden.“
Ein typischer Arbeitstag
„Wenn ich bei Arbeitsantritt meine Wirkungsstätte betrete, starte ich meine Runde, um mich zu überzeugen, ob in meiner Abwesenheit neue Geräte hinzugekommen sind.“ Nicht weniger als 40 bis 50 Geräte, die verkauft werden wollen, warten auf Kirschner.
Es passiere immer wieder, dass die Kollegen noch nicht da sind und ihn deswegen über die Sortimentsveränderungen noch nicht persönlich informieren konnten. Da sich die neuen Geräte zumeist ähneln, kann Kirschner aufgrund seiner umfassenden Erfahrung sofort erkennen, um welchen Produzenten es sich handelt. Alles was er nicht selbst ertasten konnte, erzählen die mindestens zwei Kollegen, die ebenfalls in der Abteilung arbeiten.
Die Online-Recherchen taten ihr Übriges, dass Kirschner rasch am neuesten Stand über die Neuankömmlinge war.
Da betritt der erste Kunde Kirschners Reich. „Obwohl ich immer mit einem Gehstock und dem Blindenbutton auf der Arbeitskleidung ausgestattet bin, hält mir auch dieser Kunde sein Handy vor das Gesicht, um mir zu zeigen, für welches Gerät er sich interessiert“, amüsiert sich Kirschner. Als ich ihm erkläre, dass ich vollblind bin, ist der Kunde erstaunt.“
Aus Erfahrung weiß Kirschner, dass manche Kunden eine gewisse Berührungsangst haben. Deshalb verwundert es nicht, dass ein wenig Zeit verstreicht, bis der potenzielle Käufer sein Anliegen vorträgt. Dieser Kunde interessiert sich für eine Miele, weil sein altes Gerät den Geist aufgegeben hat.
Aufgrund der positiven Erfahrungen möchte der Kunde abermals ein Produkt dieser Firma erwerben. „Wodurch unterscheiden sich eigentlich Miele- von Siemensgeräten“, will er wissen. „Eigentlich nur durch das Design“, antwortet Kirschner.
Mit Gehstock und Ertasten der Geräte findet der erfahrene Verkäufer rasch zu den Miele Waschautomaten. Das Nachfolgegerät ist rasch vorgestellt, indem Kirschner die beweglichen Teile „ausbaut“ und gemeinsam mit dem Interessenten „begreifbar“ macht.
Einen Spezialwunsch hat der Kunde freilich noch: „Ich hatte mich zwar daran gewöhnt, aber meine alte Maschine verursachte einen ziemlichen Lärm, der mich bis in das Wohnzimmer verfolgte.“
Bei der Beantwortung der Frage ist Kirschner in seinem Metier: „Dieses Gerät kann ich in dieser Hinsicht wärmstens empfehlen“, und streicht dabei fast zärtlich über die Waschmaschine, „weil sich der Motor unter der Trommel befindet und daher keinen Keilriemen benötigt.“
So wird das Geräusch beim Schleudern tief gehalten. Darüber hinaus will der Kunde wissen, woran man erkennt, ob die richtige Wäschemenge eingefüllt wurde. „Oben in der Trommel muss die ganze Handfläche hineinpassen, sonst leidet die Waschleistung.“
Mit den benötigten Informationen versorgt, ersteht der Kunde das Gerät, das innerhalb von zwei Werktagen lieferbar ist. Beim Hinausgehen befrage ich den Käufer, wie er mit der Beratung zufrieden war. „Ich habe mich kompetent, freundlich und professionell behandelt gefühlt, obwohl ich beim ersten Kontakt ein wenig skeptisch war“, so der Kunde.
Kirschner hat den Verkauf in Eigenregie durchgeführt, nur beim Schreiben der Rechnung unterstützt ihn eine Kollegin. „Ich glaube, dass an einer Lösung gebastelt wird, mit der ich künftig auch den Zahlungsvorgang ganz selbständig durchführen kann.“
Schon wartet der nächste Kunde. „Was kann ich für Sie tun“, tastet sich Kirschner mit Hilfe seines Langstocks und der Berührung seiner Lieblinge zum nächsten Verkaufsgespräch vor …
Yasemin
19.02.2017, 10:30
Ich freue mich für Herrn Kirschner. Damit versteckt sich zumindestens ein Blinder nicht im Callcenter und berät sogar Nichtblinde.
Frank Barbara
18.02.2017, 22:39
Ich kenne Markus Kirschner seit seiner Kindheit. Ich freue mich sehr für ihn, das er seine Leidenschaft trotz seiner Einschränkung ausleben kann. Ich wünsche ihn alles erdenklich Gute! Liebe grüße Babsi
Lotte Lepschy
18.02.2017, 04:29
Ich bewundere Herrn Kirschner und seine Kompetenz.ich durfte ihn auch schon kennenlernen!
Es ist super dass es einen Arbeitgeber gibt, der ihn und unsere Lebenseinschränkungen so aktzeptiert .
Danke auch an die Arbeitgeber und Kollegen.
Petra Flieger
17.02.2017, 14:36
Vielen Dank für diesen gelungenen Beitrag. Kritisch möchte ich allerdings Folgendes anmerken: Wieso konnte Herr Kirschner nach der Pflichtschule nicht eine Lehre als Einzelhandelskaufmann absolvieren, sondern musste (ganz offensichtlich gegen seine eigentlichen Interessen, Neigungen und Fähigkeiten) eine Ausbildung als Telefonist machen. Diese Tätigkeit ist historisch eine typische für blinde Personen, das sollte aber heute keinesfalls mehr routinemäßig angeboten werden und für Herrn Kirschner war es jedenfalls die falsche. Wo bleibt da die qualifizierte Berufsberatung für behinderte Jugendliche in Österreich?