Aktion „Nicht ins Dunkel“

Gut gemeint ist "Licht ins Dunkel" gewiss, aber auch gut gemacht? Behinderte fühlen sich vorgeführt und fordern Teilhabe statt Almosen - Kommentar im Standard vom 23. Dezember 2008.

Franz-Joseph Huainigg
Christian Müller

Eine Weihnachtsgeschichte der anderen Art:

Die Bürger von Schilda wollten ein Gemeindehaus bauen, um die sozialen Kontakte zu verstärken. Gesagt, getan: Alle halfen mit, und das Sozialhaus war bald errichtet. Aber, oh Schreck, es war im Inneren furchtbar dunkel. Man rätselte und kam bald drauf, dass die Fenster vergessen worden waren. Wie sollte Licht ins Dunkel gebracht werden? Die Schild-Bürger hatten eine Idee: Sie füllten im Freien die Fässer mit Licht und schütteten sie im Inneren des Gemeindehauses aus. Doch so sehr sie sich bemühten, es blieb dunkel.

Was hat diese Geschichte mit Weihnachten und dem ORF zu tun? Rückblick: Schon am 26. November herrschte im ORF der Ausnahmezustand. In allen ORF-Programmen wurde rührselig für die Spendenaktion „Licht ins Dunkel“ geworben, am 24.Dezember erleben wir den Höhepunkt der Charity-Show. So großartig die Idee zu „Licht ins Dunkel“ auch gewesen sein mag, sie hatte von Beginn an einen großen Haken: Es ist eine Aktion für behinderte Menschen, in der behinderte Menschen nicht mitgestalten und mitarbeiten dürfen. In der Behindertenarbeit hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan. Selbstbestimmtes Leben, Normalisierung, Integration und Partizipation haben sich durchgesetzt. In Hilfsorganisationen bemüht man sich, diesen Prinzipien immer mehr gerecht zu werden. Nicht so bei „Licht ins Dunkel“ .

Im Verein „Licht ins Dunkel“ ist kein behinderter Mensch beschäftigt, im ORF arbeitet kein behinderter Mensch redaktionell an der Gestaltung der Beiträge mit, und auch bei den Auftritten fehlen behinderte Künstler und Künstlerinnen oder gar ein betroffener Moderator.

Behinderte Menschen kritisieren daher: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint!

Das Opferklischee

Trotz des neuen Schwerpunktthemas „Armut“ werden ausschließlich behinderte Menschen klischeehaft als Opfer und fern ihrer selbstbestimmten Lebensrealität dargestellt. Würde man armutsgefährdete Menschen ähnlich in Spots präsentieren, würden SozialarbeiterInnen das zu Recht kritisieren.

Innovative Ansätze fehlen: So wäre es weitaus sinnvoller, wenn Firmen Lehrstellen und Arbeitsplätze schaffen würden, statt überdimensionale Spendenschecks im Fernsehstudio zu präsentieren. Aktive Hilfe, die direkte Begegnung mit und Integration von Betroffenen schafft, wäre weitaus effektiver.

Bei „Licht ins Dunkel“ verweigert der ORF unter Hinweis auf die „Redaktionsfreiheit“ Gespräche mit Betroffenen über eine innovative Neugestaltung. Wie produktiv und wichtig diese Einbindung wäre, zeigte das ZDF, das in den 90er-Jahren mit der „Aktion Sorgenkind“ ein ähnliches Problem der Überholtheit hatte. Man rief einen Dialog auf gleicher Augenhöhe mit Betroffenen aus, riskierte einen Neustart und kippte die eingesessene, aber vielkritisierte Marke.

„Die Umbenennung der ?Aktion Sorgenkind? in die ?Aktion Mensch? und die damit verbundene Kampagne zur Markenänderung war der größte Gewinn, den die Aktion jemals gehabt hatte“ , sagt heute die Geschäftsführerin Heike Zierden.

Die „Aktion Mensch“ hat jetzt nicht nur die Aufgabe, Gelder für Sozialprojekte zu lukrieren, sondern auch einen wichtigen Informations- und Aufklärungsauftrag, der sich beispielsweise durch die mit Betroffenen gestaltete Plakatkampagne „Gleichstellung jetzt!“ verdeutlicht.

Weihnachtliche Kaffeejause in der Hofburg. Wie jedes Jahr lud Bundespräsident Heinz Fischer Anfang Dezember behinderte und im Sozialbereich engagierte Menschen zu Keksen, Kakao und Kerzenlicht ein. Heuer bewies der Bundespräsident durch die eigenwillige Sitzordnung großes diplomatisches Geschick. An meinem Tisch saß nicht nur Christine Tschürtz-Knie, Geschäftsführerin des Spendenvereines, sondern auch Jörg Ruminak, ORF-Verantwortlicher für die Aktion.

Ich sah in dieser überraschenden Zusammenführung den präsidialen Auftrag zu einem friedlichen Dialog beider Seiten. Meine Versuche, in der stimmungsvollen Atmosphäre der Hofburg das Gespräch zu beginnen und einen Dialog zu führen, blieben leider ohne Resonanz. Wahrscheinlich war es zu laut oder der lange geforderte Dialog auf gleicher Augenhöhe so kurz vor Weihnachten doch zu viel des Guten.

Um Licht ins Dunkel zu bringen, nützt es nichts, Fässer mit Geld über behinderte Menschen auszuschütten. Nur eine Reform von innen heraus, an der Betroffene aktiv mitarbeiten, verändert auch das Bild behinderter Menschen in der Öffentlichkeit. Und darum geht es: Behinderte Menschen nicht als Almosenempfänger, sondern als das wahrzunehmen, was sie sind: gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft.

Unterstützt von Karikaturisten wie Oliver Schopf vom Standard fordern behinderte Menschen durch einen Adventkalender eine Reform von „Licht ins Dunkel“. Als Motto gilt: Nichts für uns, ohne uns!

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