Behinderten Menschen wird noch immer ihr Recht auf Persönliche Assistenz vorenthalten und ihnen somit die benötigte Unterstützung verwehrt.

Betroffene bündeln nun ihre Kräfte und haben Mitte Oktober 2007 das Aktionsbündnis „Persönliche Assistenz“ gegründet.
„Es reicht!“, sagen sich viele, die auf Persönliche Assistenz angewiesen sind. Behinderte Menschen aus ganz Österreich bündeln nun ihre Kräfte, um die Finanzierung einer ganzheitlichen und bedarfsgerechten Persönlichen Assistenz auch in Österreich durchzusetzen.
Probleme in Wien
Persönliche Assistenz ist bekanntlich kein wirtschaftliches Problem, weil die Stundensätze deutlich unter jenen der Sozialen Diensten liegen. Es ist eine Machtfrage, hält eine der rund 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines ersten Treffen am 23. Oktober 2007 in Wien fest.
Wien tut sich seit Jahren besonders schwer mit Persönlicher Assistenz. Während in anderen Bundesländern Persönliche Assistenz schon seit zehn Jahren eine Leistung der Behindertenhilfe ist, lehnte dies Wien konsequent ab.
Erst in den letzten Jahren begann eine zaghafte Öffnung. Zuerst wurde die Leistung „Erhöhte ambulante Monatspauschale“ (EAMP) als Möglichkeit herangezogen; später dann ein Modellprojekt Persönliche Assistenz gestartet. Doch nun stehen die Signale wieder auf „retour“.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Treffens berichteten von den Problemen bei der Beantragung der EAMP und der Angst, dass diese Leistung eingestellt wird. „Ich wäre gezwungen meine eigene Wohnung und mein Lebensumfeld aufzugeben“, berichtet eine andere Teilnehmerin und zeigt sich sehr verunsichert.
Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Modellprojektes sieht es nicht besser aus. Hat sich die Stadt Wien – administriert durch den Fonds Soziales Wien (FSW) – bereit erklärt, diesen Schritt zu wagen, folgt nun die Ernüchterung.
Soll beendet werden, was gut funktioniert?
Das System funktioniert sehr gut, die Menschen sind zufrieden, 110 Personen haben allein im Modellprojekt Beschäftigungsverhältnisse erlangt. Doch der Stadt bereiten die Kosten große Sorgen. Die Signale deuten auf eine Einstellung des Modellprojektes, obwohl die bezahlten Stundensätze nur einen Bruchteil der Kosten von Sozialen Diensten ausmachen.
Verängstig sind daher die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Todesurteil Heim. „Ich weiß wie es in Pflegeheimen ist; das überlebe ich nicht“, bricht die Verzweiflung aus einer der teilnehmenden Personen.
Eine andere ergänzt, dass es ohne Persönliche Assistenz für sie nicht möglich ist, ein Praktikum oder den Beruf auszuüben. Da hilft es ihr nichts, wenn sie Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz vom Bundessozialamt bezahlt bekommt. Zuerst muss sie überhaupt aus dem Bett kommen und diese Persönliche Assistenz – finanziert von der Stadt Wien – ist in Gefahr.
Wieder von vorne anfangen?
„Ich müsste von vorne anfangen“, so wieder ein anderer Teilnehmer des Treffens am 23. Oktober. Die aufgebaute Organisation seiner Unterstützung würde ohne Finanzierung zusammenbrechen. Ihm sei aber wichtig, sich die Dinge selbst einteilen zu können, hält er fest.
Noch ein anderer Teilnehmer des Modellprojektes rechnet vor. Er bekäme rund 6 Stunden Pflegehilfe pro Tag. Die kosten genauso viel wie seine 24 Stunden organisierte Persönliche Assistenz. Soziale Dienst leisten keine Nachtdienste und sind daher für ihn keine Alternative; er müsste ins Heim, erzählt er. „Ich geh in kein Heim“, hält vorsorglich seine Sitznachbarin fest.
Behinderten Menschen wird in Wien viel zu oft ihr Recht vorenthalten. Beispiele von der Ablehnung der EAMP werden erzählt und wie man sich erfolgreich dagegen wehren kann.
Vorenthaltene Hilfe ist strukturelle Gewalt
Die Gruppe war beim ersten Treffen sehr verärgert und ist bereit, Ungerechtigkeiten aufzuzeigen. Vorenthaltene Hilfe ist strukturelle Gewalt. „Wir müssen an uns selber glauben und werden für unser Recht kämpfen“, fasst jemand aus der Gruppe zusammen. Viele nicken.
Hannes Wurstbauer,
04.11.2007, 12:53
Diskriminierung Behinderter, Menschenwürde u.s.w. Sie „Anonymschreiber“ verspotten Namen! Für mich eine klare Rote Karte.
Gerhard Lichtenauer,
03.11.2007, 14:10
Auf den Punkt gebracht: Es geht um die Frage „Hilfe oder Verwertung“! Wollen wir den Menschen mit Hilfebedarf und seine berechtigten Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen oder die Situation des Angewiesenseins eines Mitmenschen auf Unterstützung, für eigene Zwecke missbrauchen?
Die Versuchung lautet: Ausnützen für Gewinn- und Marktanteile, Absicherung und Festigung des eigenen Status, für politische Profilierung und gesellschaftliche Anerkennung als Wohltäter oder für Staatshaushalts- Konsolidierung zu Lasten der schwächsten und abhängigsten Minderheit. Letztlich geht es nur um Macht!
Obwohl „Persönliche Assistenz“ in Reinkultur erwiesenermaßen die effizienteste Form der Hilfe, mit den besten volkswirtschaftlichen Auswirkungen ist, hat dieses Modell, durch seine absolute Dezentralisierung und Vermeidung fast jeglicher Overheadkosten wenig Attraktivität für all Jene, die mitnaschen möchten.
Anonymous,
03.11.2007, 12:31
Welche Protestmaßnahmen sind geplant? Bei der EM 2008 ist es zu spät. Eine spektakuläre Aufklärungsprotestaktion wäre angebracht. Ein Aktionsbündnis zu gründen ist zu wenig ohne sich effektive Maßnahmen zu überlegen, wie die berechtigte Forderung der PA schlüssig an die Öffentlichkeit gebracht wird. Es gibt massive Interessen, Lobbyisten von Heimbetreibern, Heimerrichtern, Pflege-NGOS, die ein selbstbestimmtes Leben mit flächendeckender PA gar nicht wünschen, die das mit dem ökonomischen Vorwand verhindern wollen. Durch Unwahrheiten wird das Volk (siehe 24 Stunden Pflege) für dumm „verkauft“. Die kämpfen um den österreichischen Sozialkuchen und sind durch politische Entscheidungsträger, Mandatare und Lobbiysten, die deren Interessen vertreten momentan am längeren Ast. Die breite Öffentlichkeit hat keine Ahnung.
@Alexandra – glauben Sie wirklich, wenn Sie die Argumentation der „Verhinderer“ benutzen, sich an den schlechten Beispielen zu orientieren, daß dies der Sache nützlich ist?
@ Hannes Wustelbauer – Klaus Widl hat gemeint, daß viel früher so ein Bündnis gegründet hätte werden sollen, für ALLE die PA wollen, da ja bekannt war, daß immer wieder Ablehnungen willkürlich erfolgt sind. Jetzt, wo das Gesamtprojekt gefährdet ist, auch die eigene PA, gründet man dieses Bündnis – Hoffentlich nicht zu spät.
Anonymous,
03.11.2007, 11:54
@Alexandra: Es geht doch nicht darum, dass es die Touris interessiert, sondern darum, dass sich die Stadtregierung die Stimmung nicht durch – sichtbare! – Proteste vermiesen lassen will. Nur so funktioniert’s im politischen Geschäft. Dass wir in irgendwelchen Hinterzimmen sitzen, Konzepte schreiben und Resolutionen verfassen – darüber lachen die doch nicht einmal mehr, so wurscht ist ihnen das.
Klaudia Karoliny,
02.11.2007, 22:03
DARAN liegt wohl unser Problem, dass wir uns kein Gehör verschaffen, keine politische Kraft werden, dass wir immer bloß nicken. Ich hoffe, wir raffen uns endlich mal zusammen uns SAGEN, was Sache und Ungerechtigkeit ist. Wir verlangen nicht mehr vom Leben, wie sonst jemand, der keine Behinderung hat und haben SOVIEL mehr Aufwand und Kosten, wenn wir LEBEN wollen!
Alexandra,
02.11.2007, 21:45
@anonym … Das interessiert doch keinen EM-Besucher, wie die sozialen Zustände hier sind. Das sind Touris, die Wien Geld bringen und dazu nicht wenig. Vorteile haben dadurch Geschäfte und die Gastronomie. Zu glauben, dass man durch „massive Aktionen“ irgend einen Fremden dazu bringt, unsere Situation zu verstehen oder uns gar zu unterstützen, ist lächerlich. Denn in vielen europäischen Ländern gehts noch schlimmer zu und die lachen eher über unser Problem. Allein wenn man an Ungarn oder Tschechien denkt, die haben nicht mal annähernd ein Auffangnetz für ihre behinderten Mitbürger.
Ja, und ich stimme Gerhard absolut zu, dass es eine österreichweite Regelung geschaffen werden, so dass Keiner mehr benachtteiligt wird. Hier gehts nicht um irgendwelche Klagen gegen Unternehmen, die zB keine barrierefreien Webseiten, Lifte oder Rampen haben.
Hier gehts um (Lebens)Existenzen und um Integration, wie sie sein sollte. Es geht schlichtweg um das, was wir uns als Menschen wünschen – und dazu brauchen wir kein Behindertengleichstellungsgesetz – nämlich um Gleichstellung in allen Bereichen, die wir mit Assistenz sehr wohl erreichen könnten. Es sollte ein Tool sein, mit dem wir unsere Fähigkeiten ausbauen können. Und es liegt auch an uns Betroffene mit diesem Tool verantwortungsbewusst umzugehen.
Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass wir überhaupt PA haben, deshalb ist es um so wichtiger dafür zu kämpfen um auch unser eigenes Leben verantwortungsvoll zu leben.
Hannes Wurstbauer,
02.11.2007, 18:01
Lieber Klaus Widl! Ihr Staunen in Ehren. Sehen Sie unser gelungenes Modellprojekt als positiven Anfang! Wir Teilnehmer zeigen nicht nur für uns, sondern auch für Euch auf. Wir haben ein so genantes „Bündnis“ gegründet. Wir würden uns freuen,wenn Sie und viele von Euch „mitbündeln“! Gemeinsam haben wir mehr Gewicht!
Anonymous,
02.11.2007, 11:10
Man sollte mit massiven Aktionen während der Fussball-EM drohen. Da haben sie glaube ich am meisten Panik davor: sich zu blamieren, wenn die Augen der Welt auf sie gerichtet sind. Die sollen ruhig erfahren, wie hartherzig und eiskalt die „Sozial“-„Demokraten“ hier mit den weniger Sportlichen umgehen.
Gerhard Lichtenauer,
29.10.2007, 12:37
Es kann und darf nur darum gehen: Österreichweit bedarfsdeckendes „Persönliches Budget“ oder wie es auch immer genannt wird, mit Rechtsanspruch zur selbstbestimmten Organisation des individuell benötigten Hilfebedarfs für ALLE Menschen mit Behinderung.
„Persönliche Assistenz“ nach dem Arbeitgebermodell würden grob überschlagen, etwa bis zu 2000 Personen in Österreich benötigen. Menschen mit schweren kognitiven Behinderungen dürfen dabei nicht diskriminiert werden, diese benötigen zusätzlich bedarfsgerechte advokatorische Assistenz durch Vertrauenspersonen.
Die unsinnige, ungerechte und menschenunwürdiger Aussonderung hilfebedürftiger Menschen in Sonderwelten – den so genannten „Heimen“ – muß endlich offensiv bekämpft und geächtet werden, zumal sie eine weitere Entsolidarisierung der Gesellschaft fördert und enormen volkswirtschaftlichen Schaden anrichtet! Die Geldvernichtung mit dem VerAnstaltetem Hilfemodell darf uns nicht egal sein, das international erprobte Modell der „Persönlichen Assistenz“ entspricht einer ganzheilichen sozialen Dimension des Hilfebedarfs, ist wesentlich effizienter und günstiger als jegliche stationäre „Unterbringung“, menschenwürdiger und entspricht dem Wunsch und Bedürfnis der Betroffenen und ist auch Forderung der UN-Konvention über die Rechte von menschen mit Behinderungen.
Klaus Widl,
29.10.2007, 12:09
Auch wenn ich nachstehende Meinungen gut verstehe und unterstütze, bin ich immer wieder ein wenig erstaunt darüber, dass nur von den Befürchtungen jener Personen, deren Leistungen PA und EAMP mit 31.3.2008 auslaufen, geschrieben wird.
Was ist mit ALLEN jenen, denen die Leistung – trotz Zutreffen der Zugangskriterien – seit Jahren gar nicht zuerkannt und daher die Möglichkeit auf ein selbstbestimmtes Leben verwehrt wurde. Und das seit Jahren; trotzdem konnte ich keine Proteste wahrnehmen. Für mich kommt daher ausschließlich eine Lösung für ALLE (ca. 350 Personen in Wien) in Frage!
Alexandra,
27.10.2007, 21:21
Ja, ich wäre auch für eine Bündelung unserer Kräfte. Wer konkrete Pläne hat, sollte das hier reinschreiben. Es muss eine Möglichkeit geben, die EAMP aufrecht zu erhalten. Der soziale und wirtschaftliche Schaden wäre enorm, wenn die EAMP abgeschafft werden würde. Ein sozialer Abstieg, den niemand will, aber so sein wird. Bitte, sagt, was wir als Betroffene tun können?
Annemarie Srb Rössler,
27.10.2007, 20:40
Nun geht es wieder los mit dem Leben in der Angst. Wer leistet den Nachtdienst nach dem 31. März 2008? Behinderte Menschen, die Geld für PA erhalten, sowohl im Modellprojekt als auch von der EAMP mussten im Rahmen der Förderung lang gewachsene Strukturen ändern und reguläre Arbeitsverhältnisse schaffen. Dies ist natürlich verständlich, da öffentliche Gelder nachgewiesen werden muss. Für viele von uns war der Weg sehr mühsam sich alle Kompetenzen die man als ArbeitgeberIn braucht, anzueignen.
Sollten nun die Geldleistungen von der Stadt eingestellt werden, müssen wir uns alle die davon betroffen sind, nun wieder am Schwarzmarkt umsehen um uns die lebensnotwendige Hilfe zu organisieren?
Die im Rahmen des Modellprojektes über hundert neu geschaffenen Arbeitsplätze gingen auch verloren.
Wien ist laut dem Hamburger Abendblatt (27.10.07) die fünftreichste EU Region und das Budget wurde für 2008 um weitere 479,5 Millionen Euro erhöht. Dennoch ist die Stadt Wien möglicherweise nicht bereit die notwendigen Mittel für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen auszugeben.
Wir müssen unsere Kräfte bündeln und zusammenarbeiten – und uns gegenseitig stützen, denn es geht um unsere Existenz und Menschenwürde!