Informationstag zu einem Gleichstellungsgesetz
Am 16. Juni 2000 veranstaltete die Lebenshilfe Österreich eine Fortbildungsveranstaltung zum Thema Gleichstellung. Mag. Michael Krispl, Jurist und engagierter Vertreter der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, gab einen Einblick in bestehende Vorschläge für Gleichstellungs- oder Antidiskriminierungsgesetze und erläuterte notwendige Inhalte.
Ergänzt wurde sein Referat durch die Forderungen der SelbstvertreterInnen-Gruppe der Lebenshilfe Wien. Zu Beginn der 90er Jahre wurde die Forderung nach einem Behinderten-Gleichstellungsgesetz unüberhörbar. Als ersten Erfolg feierten die österreichischen Interessenvertretungen den Beschluß einer Antidiskriminierungsklausel in der österreichischen Bundesverfassung: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Der zweite Satz stellt eine Staatszielbestimmung dar: „Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“.
Diese Verfassungsbestimmung anerkennt Gleichstellung von Menschen mit Behinderung als Menschenrecht. Damit diese Klausel mehr ist, als einige zusätzliche Zeilen der Bundesverfassung, muß eine ganze Reihe von Gesetzen geändert werden, die diskriminierende Bestimmungen enthalten.
Arbeitsgruppen auf Bundesebene und in einigen Ländern wurden eingerichtet, die ersten Gesetze korrigiert. Krispl: „Dieser Prozeß wird nie abgeschlossen werden können, weil jedes neue Gesetz genauso wie die bereits bestehenden auf mögliche Diskriminierungen durchleuchtet werden muß.“ Um Gleichstellung über Gesetzestexte hinaus zu erreichen, ist wiederum ein Gesetz notwendig.
Schon die Benennung dieses Gesetzes muß durchdacht sein: „Der Begriff der Gleichbehandlung würde positive Diskriminierung im Sinn einer erwünschten unterschiedlichen Behandlung ausschließen und unter Umständen gravierende Schlechterstellung auslösen“, meinte Krispl. „Nur Gleichstellung ermöglicht besondere Unterstützung etwa als Nachteilsausgleich.“ Der Begriff der Antidiskriminierung ist Krispl zu „abwehrend“.
Ein Gleichstellungsgesetz kann aus zwei völlig unterschiedlichen Zugängen geschaffen werden:
- Ein horizontales Gesetz enthält Grundsatzbestimmungen, die auf verschiedene diskriminierte Gruppen angewandt werden können: Menschen mit Behinderungen, Angehörige von ethnischen oder religiösen Minderheiten, homosexuelle Menschen und viele mehr. An einem Entwurf zu so einem horizontalen Gesetz arbeitet das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte.
- Ein vertikales Gesetz geht über Grundsatzbestimmungen weit hinaus und beinhaltet detaillierte Regelungen für eine bestimmte diskriminierte Gruppe. Ein erster Entwurf für ein Behinderten-Gleichstellungsgesetz wurde von den Grünen als Antrag an den Nationalrat eingebracht.
Michael Krispl favorisiert klar ein vertikales Gesetz. „Diskriminierung aufgrund von Behinderung betrifft alle Bereiche des Lebens“, so Krispl. „Es müssen daher alle Bereiche auch gesetzlich detailliert geregelt werden.“ Das Problem dabei sei die geteilte Zuständigkeit für Lebensbereiche auf Bund und Länder. Ziel aller Bemühungen müsse daher die Schaffung eines Bundesgesetzes und von 9 Landesgesetzen sein.
Die folgenden Inhalte dürfen nach Michael Krispl keinesfalls fehlen:
- Definitionen: Es muß festgelegt werden, was unter Begriffen wie „Behinderung“, „Lebensbereiche“ und mehr im Gesetz verstanden wird. Das Bundesbehindertenkonzept der Regierung aus dem Jahr 1992 kann als Grundlage für Definitionen verwendet werden.
- Die Gliederung des Gesetzes muß nach Lebensbereichen erfolgen: Arbeit, Bauen, Freizeit, Kommunikation, Gesundheit, Rechtsschutz und vieles mehr.
- Zu allen Lebensbereichen müssen detaillierte Regelungen geschaffen werden.
- Zur Durchsetzung von Ansprüchen müssen Vermittlungsmöglichkeiten – zum Beispiel in Form von Schiedsstellen – geschaffen werden, um nicht jede Diskriminierung vor Gericht klagen zu müssen.
- Ohne definierte Sanktionen zur Durchsetzung eines Rechtsanspruches wäre das Gleichstellungsgesetz „zahnlos“.
- Das Gesetz soll die Verbandsklage zulassen: Der einzelne benachteiligte Mensch kann sich durch eine Institution vertreten lassen. Das, so Krispl, erscheine vor allem bei strukturell bedingten, allgemeinen Diskriminierungen notwendig.
- Neben materiellem Schadenersatz muß auch ideeller Schadenersatz geltend gemacht werden können. Andernfalls könnten etwa Diskriminierungen im gesellschaftlichen Zusammenleben nicht geahndet werden: Ein verwehrter Zutritt zu einer Gaststätte aufgrund der Behinderung löst keinen materiellen Schaden für den Betroffenen aus.
- Eine Neuerung im österreichischen Recht wäre eine Beweislastumkehr: Die Unschuldsvermutung gilt nicht, es liegt am Beschuldigten zu beweisen, daß er die ihm vorgeworfene Handlung nicht gesetzt hat.
- Etliche bestehende Diskriminierungen können nicht unmittelbar mit Gesetzesbeschluß beendet werden, als Beispiel seien bauliche Barrieren genannt. Es müssen daher Umsetzungsfristen festgelegt werden, die allerdings in einem überschaubaren Rahmen bleiben müssen. Krispl: „Eine 50-Jahre-Frist im Lebensbereich Arbeit dient nur unseren Nachkommen, wir selbst profitieren davon wohl nicht mehr.“
Eine erste schnelle Erhebung unter den Anwesenden zeigte bereits, daß Menschen mit geistiger Behinderung in den bestehenden Entwürfen noch zu wenig beachtet werden. Die Lebenshilfe Österreich richtete daher eine Arbeitsgruppe ein, die auf die Berücksichtigung der Interessen von Menschen mit geistiger Behinderung in einem Gleichstellungsgesetz achten wird.
Gleichbehandlung ist … SelbstvertreterInnen über ihre Forderungen
Eine SelbstvertreterInnen-Gruppe innerhalb der Lebenshilfe Wien befaßt sich seit mehreren Monaten intensiv mit der Frage der Gleichstellung. Stellvertretend präsentierten Franz Hoffmann, Sepp Hofmeister und Elfriede Tomacek ihre Forderungen. Gleichstellung wird definiert als: „Gleichbehandelt zu werden, gleichberechtigt zu werden, genauso wie ´normale´ Menschen.“
Anhand konkreter Beispiele erläuterte die Gruppe zunächst, wo Menschen mit geistiger Behinderung im Alltagsleben Diskriminierungen ausgesetzt sind. Der Schwerpunkt lag dabei auf baulichen Barrieren und beim Mangel an Respekt der Gesellschaft vor Menschen mit geistiger Behinderung. „Wir wollen nicht als Depperte und Behinderte beschimpft werden.“
Folgende Forderungen an ein Behinderten-Gleichstellungsgesetz wurden schriftlich zusammengefaßt:
- Ein Vertreter von uns behinderten Menschen im Parlament
- Mehr Arbeitsplätze für uns behinderte Menschen (werden nicht ausgeschrieben)
- In jeder öffentlichen Einrichtung sollte bei der Treppe ein Geländer dabei sein
- Einbau von Liften in öffentlichen Einrichtungen als Pflicht
- Für RollstuhlfahrerInnen sollte es in Geschäften geeignete Hilfsmittel zum Einkaufen geben (z. B. spezielle Körbe)
- In öffentlichen Verkehrsmitteln spezielle Einrichtungen, damit mehr Zeit für uns behinderte Menschen beim Einsteigen bleibt (Tür wird oft zu schnell zugemacht)
- Im Gesetz sollte vorgeschrieben sein, daß öffentliche Einrichtungen behindertengerecht sein müssen.
- Die selben Rechte zu haben wie andere Menschen auch, mit seinem Partner zusammen leben können, ohne daß es finanzielle Benachteiligungen gibt
- Eintritte in alle Freizeiteinrichtungen (z. B. Discos)
In der Diskussion wurden diese Forderungen noch um einen Aspekt ergänzt: BeamtInnen und ÄrztInnen nehmen sich zu wenig Zeit, um Menschen mit geistiger Behinderung alles verständlich zu erklären.