„Alles-oder-nichts-Prinzip unbefriedigend“: Teilpension für Invalide?

Die Presse: Pensionsexperte Tomandl zeigt im "Presse"-Gespräch auf, welche Schwächen zum Ansturm auf Invaliditätspension führen und welche Lösungen es gäbe

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„Die Presse“ führte ein Gespräch mit Pensionsexperte Tomandl:

Die Prävention reicht nicht aus; eine Teil-Invaliditätspension fehlt; Nachteile gegenüber Unfallrentnern bestehen.

Ein Beschäftigter fährt mit seinem Motorrad zur Arbeit. Unterwegs trifft er einen Freund, der zufällig den gleichen Weg hat, und nimmt diesen mit. Aus Verschulden des Lenkers kommt es zu einem Unfall, beide sind querschnittgelähmt. Der Lenker des Motorrads erhält, weil das Unglück auf dem Arbeitsweg passiert ist, eine Unfallrente und eine Invaliditätspension. Der Beifahrer, sofern er fünf Jahre sozialversichert war, nur die Invaliditätspension.

„Ist das ein vertretbares System?“, fragt der Leiter der Pensionskommission der Regierung, der Arbeits- und Sozialrechtler Theodor Tomandl im „Presse“-Gespräch. Sein Beispiel soll zeigen, daß es Probleme um Invaliditäts- und Unfallrenten gibt. „Warum wird der Privatverunfallte eigentlich soviel schlechter, der Mensch nach einem Arbeitsunfall soviel besser behandelt?“ Derzeit gibt es rund 375.000 Invaliditätspensionen in Österreich. Im Schnitt entfällt bereits gut ein Drittel der Neuzugänge in den Ruhestand auf Invaliditätspensionen. Außerdem gibt es rund 107.000 Menschen, die eine Unfallrente beziehen. Der Wiener Universitätsprofessor ist beauftragt, nach der Pensionsreform im Vorjahr auch Änderungen im Invaliditätsrecht vorzuschlagen. „Wir wollen eine sinnvolle Neuordnung, um die Schwächen des Systems zu beseitigen. Das ist etwas, was sehr vielen Menschen etwas bringen wird“, beteuert er.

Derzeit zeichnen sich für Tomandl drei Schwerpunkte ab: 1. Die Prävention und Rehabilitation im Zusammenhang mit arbeitsbedingten Krankheiten sei nicht ausreichend. 2. Das jetzige „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ bei Invaliditätspensionen sei „von zwei Seiten unbefriedigend“. Denn entweder jemand bekommt eine volle Invaliditätspension oder gar nichts, wenn er auf einen anderen Beruf verwiesen werden kann. 3. Es gibt Benachteiligungen bei Invaliditätspensionen gegenüber Unfallrenten.

„Rehabilitation zu spät“
Schwerpunkt eins: Bereits im vergangenen Oktober gab es eine Tagung mit Ärzten. Haupterkenntnis für Tomandl: Es scheine sich herauszustellen, daß Prävention und Rehabilitation bei berufsbedingten Gesundheitsproblemen üblicherweise viel zu spät einsetzen. Überdies erfahre die Pensionsversicherung eigentlich erst davon, wenn der Arbeitnehmer seinen Pensionsantrag stellt. Wenn jemand einmal so weit sei, daß er einen Antrag stelle, wolle er eine Pension und keine Rehabilitation mehr. „Die Verbesserung der Prävention und Rehabilitation ist daher ein Hauptanliegen“, stellt Tomandl klar.

Ihm gibt auch die Aufteilung der Pensionierungen wegen Invalidität zu denken: In 42 Prozent der Fälle sind Probleme des Bewegungs- und Stützapparates schuld. An zweiter Stelle rangieren bereits – mit steigender Tendenz – neurologische und psychiatrische Erkrankungen (20 Prozent), dahinter Herz- und Kreislaufbeschwerden (sieben Prozent). Die Mediziner seien einig, daß das Arbeitsleben nur teilweise schuld sei. „Daher kann der Ansatz zur Prävention auch nur zum Teil beim Arbeitsleben liegen.“

Schwerpunkt zwei: die Zuerkennung der Pension. Es habe sich „die Rechtspraxis völlig losgelöst von dem Konzept, das im Gesetz drinnen steht“. Eigentlich stünde eine Invaliditätspension zu, wenn jemand nur mehr die halbe Arbeitsfähigkeit hat. Bei den Angestellten sei man beispielsweise dazu übergangen, daß jemand nur auf einen anderen Beruf verwiesen werden dürfe, wenn er laut Kollektivvertrag bloß eine Stufe unter seinem bisherigen Verdienstniveau zu liegen käme. Das Ergebnis sei, so Tomandl, „daß man volle Invaliditätspensionen an Leute zahlt, die durchaus noch arbeitsfähig sind. Auf der anderen Seite bekommen Leute aufgrund ihrer Behinderung keinerlei Pension, in dem Augenblick, wo sich ein Beruf findet, auf den sie verwiesen werden können.“

Um vom „Alles-oder-nichts-Prinzip“ abzugehen, wäre eine Teilpension für Invalide zu überlegen, erläutert er unter Hinweis auf ausländische Modelle. Dabei böten sich zwei Varianten an: ein Einkommensmodell (bei dem sich die Höhe der Pension nach dem tatsächlichen Einkommensverlust aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigung richtet) oder ein Arbeitszeitmodell (Teilpension bzw. Vollpension hängen von den Arbeitsstunden je Tag ab). Tomandl: „Der Vorteil besteht darin, daß auch Teilinvalide eine Leistung bekommen können, eine Vollpension aber nur jene, bei denen nur mehr eine geringe Arbeitsfähigkeit gegeben ist.“

Experte sieht Nachteile
Schwerpunkt drei: Tomandl sieht Nachteile der Bezieher von Invaliditätspensionen gegenüber Unfallrentnern: Um Anspruch auf eine Invaliditätspension zu haben, muß man fünf Jahre sozialversichert sein, Anspruch auf Unfallrente nach einem Arbeitsunfall besteht hingegen sofort. Die Höhe der Invaliditätspension liegt selten über 60 Prozent der Bemessungsgrundlage und muß auch voll versteuert werden. Hingegen waren Unfallrenten bis Anfang 2001 steuerfrei, bei Härtefällen (und das sind laut Regierung rund 60.000 der 107.000 Unfallrentner, Anm.) wird die Steuer künftig rückerstattet. Wenn die Invalidität Folge eines Arbeitsunfalls ist, hat ein Betroffener Anspruch auf zwei Leistungen (Invaliditätspension und Unfallrente). In vielen derartigen Fällen mache das dann mehr als der vorherige Verdienst aus, so Tomandl.

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